Freitag, 19. April 2024
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Der Verfall des Rechtsanwaltsberufes

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In Dutzenden von Mietrechtsklagen und zivilrechtlichen Auseinandersetzungen rund um Modernisierung, Bauen und Wohnen machen Betroffene Mieter immer neue unschöne Erfahrungen mit unserem Rechtssystem.

Sie treffen auf Richterinnen, die vor Haus- und Grundbesitzerverbänden Rechtstipps für effektive Räumungsklagen geben. Und sie treffen auf Rechtsanwälte, die als „Sanierungsbegleiter von Investoren“ die Jurisdiktion zum Kampfinstrument zur Erlangung wirtschaftlicher Vorteile und zur systematischen Rechtsbeugung und Entrechtung von Mietern benutzen.

In der letzten Woche gabe es im Fall „Kopenhagener Straße 46“ einen erneuten Fall von gerichtlicher Willkürentscheidung, die mit psychischer Zermürbung vor Gericht, wirtschaftlichen Druck auf Senkung der Abfindung – und Verdrängung einer alleinerziehenden Mutter endete.

Eine Frage taucht immer häufiger auf: „Gibt es einen Verfall unserer Rechtskultur“?

In einem Aufsehen erregenden Beitrag hat sich Norbert Blüm zu Wort gemeldet:

Der Verfall des Rechtsanwaltsberufes – Norbert Blüm 19.09.2014 – TELEPOLIS auf www.heise.de

Blüm beschreibt einen schleichenden Wandel des Rechtsanwaltsberufs und konstatiert: Mit der „Verkümmerung einer verbindlichen Berufsethik hat sich der Rechtsanwaltsberuf selbst degradiert.“

In den Textauszug aus dem aktuellen Buch wendet sich Norbert Blüm gegen den Verfall unserer Rechtskultur.

Zentral steht der Rechtsanwalt als „Organ der Rechtspflege“ bei Blüm im Blick: „… der Rechtsanwalt nicht irgendein „Geschäftsmann“, sondern ein „Diener des Rechtes“. Im Zentrum des Berufsbildes des Rechtsanwalts steht das Recht, das seinem Beruf den Namen gibt. Das Verständnis des Rechts ist deshalb gleichsam der Platzanweiser des Standorts des Anwalts im Rechtssystem.“

Blüm kritisiert die Abgehobenheit im Rechtssystem: „Manche Richter und Anwälte glauben, sie seien im Niemandsland der öffentlichen Kritik angesiedelt und niemandem Rechenschaft schuldig. Die Mittel der Politik reichen offenbar nicht aus, dies zu ändern. Auf der Strecke bleiben deswegen vor allem die sogenannten „kleinen Leute“, die nicht den Funken einer Chance besitzen, ihr Recht zu bekommen. Aus der Bestürzung über diese Zustände ist dieses Buch entstanden, das aufrütteln und dem Recht wieder zu Recht verhelfen will.“

Trennung von Ethik und Recht in der Kritik

Blüms Verdienst liegt auch darin, die entscheidenden Fragen an den Berufsstand der Rechtsanwälte zurückzugeben, bei dem eine Ethik-Diskussion in Gang gekommen ist:

„Das „Diskussionspapier“ der Bundesrechtsanwaltskammer“ kappt jedoch klammheimlich den elementaren Zusammenhang zwischen Recht und Ethik, indem es die Ethik ins allgemein Unverbindliche abdrängt.“

Blüm kritisiert die beabsichtigte Trennung von Ethik und Recht:

„Das normierte Berufsrecht enthält Bindungen der Anwartschaft an Mindeststandards für ein vertrauensbildendes Verhalten“ heißt es im ersten Kapitel des Diskussionspapiers (I.5).

Einen Schritt weiter setzt die Abkopplung der Ethik von Recht ein, indem die Verallgemeinerungsfähigkeit der Ethik relativiert wird. „Die Notwendigkeit einer Berufsethik heißt nicht, dass diese Ethik auch in einem allgemeinen verbindlichen Kodex niedergelegt werden müsste.“ (I.6) Die „notwendige“ Berufsethik wird also von allgemeinen verbindlichen Regeln freigestellt. Bereits in seinem Referat vor dem Deutschen Juristentag 2010 sprach der Vizepräsident der Bundesrechtsanwaltskammer Dr. Michael Krenzler von einer „Besinnung auf die unverbindliche berufsethische Regel“. Es handelt sich offenbar bei dieser Rückzugsübung von der Verbindlichkeit der berufsethischen Regel um eine Bewegung hin zu einem gesinnungsmäßigen Wohlfühlarrangement ohne regulative Relevanz, das die alte Berufsregel ersetzen soll.“

Blüms Weckruf ist eine umfassende Warnung – weil sie vor dem Verlust der europäisch geprägten Rechtskultur warnt.

Die Frage ist erlaubt:
Beobachten wir hier bereits eine schleichende „Amerikanisierung“ unseres Rechtsverständnisses, das von interessierter Seite vorangetrieben wird?“

Norbert Blüm - Einspruch

Literaturhinweis:

Norbert Blüm:
„Einspruch! Wider die Willkür an deutschen Gerichten“

Westend Verlag – Hardcover, 256 Seiten, EUR 19.99
ISBN: 978-3-86489-066-6

m/s