Seit Monaten tobt eine öffentliche Debatte um das geplante Freihandelsabkommen mit den USA. Seit 2010 wurden große Erwartungen geschürt – aber die ernsten Warnungen mehren sich. Einerseits werden neue Chancen für mehr Arbeitsplätze beschworen, auf der anderen Seite stehen EU-Sozial- und Umweltstandards auf dem Spiel – und die Kultur.
Ernste Zweifel an Sinn und Zweck des Freihandelsabkommens
Die Geheimhaltung der viele tausend Seiten umfassenden Dokumente des geplanten Freihandelsabkommmens hat viele Besorgnisse geweckt, dass an den Parlamenten vorbei handelsrechtliche Tatsachen geschaffen werden, die grundlegende politische und verfassungsrechtliche Prinzipien überbrücken und nach und nach außer Kraft setzen.
Kritiker befürchten vor allem, die transnational agierenden Konzerne könnten sich völlig aus nationalstaatlichen Bindungen lösen, und künftig Ländern diktieren, welche Politik auszuführen ist.
Vor allem die EU-Kommission hat die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen (TTIP) zum closed shop gemacht. Abstrus vor allem: sie hat es völlig versäumt, bei der US-Regierung auf Gleichberechtigung in den Handelsgesprächen zu pochen. Die Art wie informiert wird, entspricht eher der Praxis von „Geheimlogen“, denn demokratischer Praxis von Rechtsstaaten.
So müssen sich etwa akkreditierte europäische Beamte eigens in einen eingerichteten Brüsseler „Leseraum“ begeben, um die jeweiligen US-Positionen zu erfahren, forderte die US-Regierung.
Dass dies eine gründliche Evaluierung der Dokumente und demokratische Kontrolle durch gewählte Abgeordnete erschwert, und großes Misstrauen weckt, liegt auf der Hand.
In den USA dagegen hat der US-Senat gedrängt, und schon 2013 Beratungen über den Trade Priorities Act aufgenommen, welcher dem Kongress für TTIP-Fragen mehr Mitspracherecht sichern und einem jedem Kongressabgeordneten die Teilnahme an TTIP-Verhandlungsrunden ermöglichen soll.
Geheimhaltung verstärkt das Mißtrauen enorm
Davon können die EU-Vertreter, die europäischen und nationalen Abgeordneten sowie die Regierungsvertreter von Bund und Ländern bislang nur träumen. Letztere werden, anders als bei der Bundesregierung eingefordert, nur minimal unterrichtet. Dabei wird auch der Bundesrat künftig über das Freihandelsabkommen (TTIP) zu entscheiden haben.
Zuständigen Parlamentariern, denen ein angestrebtes Abkommen zur finalen Ratifizierung vorgelegt werden muss, wird die Einsicht in wichtige Verhandlungsdokumente noch immer vorenthalten. Vertreter von nationalen Regierungen sind frustriert, da die EU-Kommission die Positionen der Handelspartner unter Verschluss hält. Und Nichtregierungs- und Verbraucherorganisationen fühlen sich ignoriert, düpiert oder an der Nase herumgeführt, wenn sie zu Gesprächen geladen werden, um der EU mit Expertise zur Seite zu stehen, ihnen aber die Einsicht in konkret geplante Maßnahmen durch TTIP verschlossen bleibt.
Handelskommissar De Gucht wurde deshalb gedrängt, sich von den absurden Plänen verabschieden, die transatlantische Kooperation bei Regulierungsfragen in Hinterzimmern durch Lobbygruppen bestimmen zu lassen. Stattdessen müssen das neue EU-Parlament und die nationalen Parlamente eingebunden werden. Die EU-Kommission läuft sonst Gefahr, die Gespräche wie bereits beim 2012 gescheiterten Acta-Abkommen vor die Wand zu fahren.
Große ideologische Formeln von mehr Freiheit
„Freie Menschen müssen freie Märkte nicht fürchten“, „“Die „EU verspielt eine große Chance“ – so tönen die Auguren des entgrenzten Freihandels.
Tatsächlich aber werden im Freihandelsabkommen (TTIP) auch Grundsätze festgelegt, die es großen Konzernen künftig erlauben, ungehindert ihre Finanzkraft und Wettbewerbsfähigkeit zu entfalten, und nationale und regionale Märkte zu dominieren.
Wer heute etwa erlebt, die AMAZON mit kleinen Verlagen und Händlern umspringt, bekommt einen Eindruck, welche Gefahren für mittelständische und individuelle Ökonomien drohen. Auch ist die „Google-kostenlos-Ökonomie“ eine Gefahr für vorhandene Jobs in der Kreativ- und Kulturwirtschaft.
Auch die Freiheit, ganze Berufszweige wie etwa Taxifahrer per App – oder Händler und Verkäufer per „Fire-Taste“ am Smartphone überflüssig machen zu können, wird verhandelt.
Konzern-Steuervorteile bedrohen fairen Wettbewerb und soziale Marktwirtschaft
Schon heute bedrohen die geltenden Steuervorteile großer US-Konzerne wie z.B. Amazon, Apple, Coca Cola, Google, Microsoft und Starbucks den fairen Wettbewerb mit lokalen Produzenten, Händlern und Betreibern.
Experten schätzen, dass allein in Deutschland alljährlich 160 Mrd. € Steuerausfälle zustande kommen – und ein wettbewerbliches Ungleichgewicht verursachen. Im Sinne eines fairen Wettbewerbs sind diese Steuervorteile sogar „unlautere Wettbewerbsvorteile“,
die Arbeitsplätze verdrängen, Menschen in Billigjobs drängen, und ehrliche bodenständige Arbeitgeber mit nur einer „Steuernummer“ vom Markt verdrängen.
Stopp der aktuellen Verhandlungen und acht Forderungen an zukünftige Freihandelsabkommen
Der Deutsche Kulturrat, Spitzenverband der Bundeskulturverbände, fordert nun den Abbruch der Verhandlungen zum Freihandelsabkommen (TTIP) und stellt acht Grundsätze auf, die bei einem möglichen Neustart der Verhandlungen zu berücksichtigen sind.
Als unverzichtbar für alle weiteren Verhandlungen ist für den Deutschen Kulturrat:
1. Unterschiedliche Kulturbegriffe
Die USA und die EU sowie ihre Mitgliedstaaten pflegen unterschiedliche Vorstellungen von Kultur, kultureller und medialer Vielfalt sowie deren Erhalt und Förderung. Eine Handelspartnerschaft, die auf gemeinsamen Werten und gegenseitigem Respekt gegründet ist, muss diese Unterschiede akzeptieren, zulassen und darf ihre Ausgestaltung nicht durch Handelsregeln einschränken oder verändern.
2. Gemischtes Abkommen
Aus Sicht des Deutschen Kulturrates bedürfen Handelsabkommen in dieser Größenordnung und Tragweite grundsätzlich der zusätzlichen Ratifikation sowohl durch das Europäische Parlament als auch die nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten. Das impliziert, dass die nationalen Parlamente bereits in den Entstehungsprozess einbezogen werden müssen.
3. Investitionsschutz
TTIP kommt ohne ein Investitionsschutzkapitel und ohne Investor-Staat-Schiedsklauseln aus. Investitionsschutz und Investor-Staat-Schiedsverfahren bergen die Gefahr, Verfassungs- und Rechtsordnungen zu unterlaufen und die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit von Staaten in Rechts- und Regulierungsfragen zu unterhöhlen.
4. Positiv- statt Negativlisten
Positivlisten haben sich bereits im WTO-Kontext bewährt und dürfen nicht durch Negativlisten ersetzt werden. Negativlisten sind nicht geeignet, der dynamischen Entwicklung gerade in Kultur und Medien gerecht zu werden und bergen die Gefahr in sich, dass durch die Hintertür zusätzliche Bereiche erfasst werden.
5. Erhalt und Weiterentwicklung von Förderinstrumenten
Die bestehenden Rahmenregelungen und Förderinstrumente auf europäischer und nationaler Ebene für Kultur und Medien dürfen durch das Freihandelsabkommen nicht angetastet werden. Das gilt für den erwerbswirtschaftlichen wie den nicht-gewinnorientierten Sektor.
6. Sicherung von digitalen Zukunftschancen
Ausnahmeregelungen dürfen nicht auf bestehende audiovisuelle Dienste und deren Verbreitung eingeengt werden, es muss vielmehr der digitalen Konvergenzentwicklung Rechnung getragen werden.
7. Erhalt und Ausbau eines hohen Schutzniveaus für Urheber- und Leistungsschutzrechte
Urheber- und leistungsschutzrechtliche Fragen werden im internationalen Kontext im Rahmen der Weltorganisation für geistiges Eigentum verhandelt. Der Deutsche Kulturrat kann keinen zusätzlichen Nutzen darin erkennen, das Urheber- und Leistungsschutzrecht zum Gegenstand von TTIP zu machen. Dies umso mehr, weil sich das europäische Urheberrecht und das US-amerikanische Copyright-System grundlegend unterscheiden. Die Grundprinzipien des europäischen Urheberrechts, die den Urheber und seine Persönlichkeit sowie seine ökonomischen Rechte in den Mittelpunkt stellen, sind nicht verhandelbar.
8. Erhalt und Ausbau der sozialen Sicherung
Die ILO-Kernarbeitsnormen müssen die Grundlage zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in TTIP sein. Dazu zählt auch, dass diese Normen von beiden Seiten vollumfänglich anerkannt werden. Die in Deutschland bestehenden Arbeitnehmerrechte wie auch die in Deutschland bestehende soziale Absicherung der freiberuflichen Künstler und Publizisten durch das Künstlersozialversicherungsgesetz dürfen durch das Freihandelsabkommen nicht angetastet werden.
Der Präsident des Deutschen Kulturrates, Christian Höppner, sagte: „Die bisherigen TTIP-Verhandlungen müssen gestoppt werden und ein neues Verhandlungsmandat muss her. In diesem Verhandlungsmandat müssen die konsequente Ausnahme von Kultur und Medien verbrieft sein und Transparenz und Information über die Inhalte des Abkommens und den Verlauf der Verhandlungen oberste Priorität haben. Wir fordern die EU-Kommission auf, diese acht Forderungen des Deutschen Kulturrates für ein neues Verhandlungsmandat zu berücksichtigen.“
Grundlegende Fragen stehen im Raum
Das Verhalten der EU-Kommission führt inzwischen dazu, dass sich selbst starke TTIP-Befürworter abwenden. Eine spätere Ratifizierung in den nationalen Parlamenten ist sogar gefährdet, weil das bisher intransparente Verhalten das große Mißtrauen weiter bestätigt.
Die Vermutung, das das TTIP-Abkommen nur dazu genutzt werden soll, um Errungenschaften zu schleifen, die dem Markt in langen Kämpfen abgetrotzt worden sind – und als Umwelt- und Sozialstandards wichtige Identitätspfeiler des europäischen Sozialmodells sind – steht noch immer im Raum.
Leider geraten dabei die gute Chancen aus dem Blick, neue Arbeitsplätze beiderseits des Atlantiks zu schaffen, Handelsanreize zu setzen, bürokratische Hürden für Unternehmen zu eliminieren und industrielle Normen zu harmonisieren.
Auch die gute Möglichkeit, über nachhaltige Aspekte der transatlantischen Kooperation zu verhandeln – von einem Auslaufen der Subventionen für fossile Energien, einem Abbau von Handelshemmnissen für die Zukunftsbranchen der Energiewende und hin zu einer grüneren Wirtschaft ist damit ungenutzt.
Die neue EU-Kommission hat nun die Aufgabe eine progressive Agenda für die TTIP-Verhandlungen zu gestalten und einzufordern. Die EU-Kommission muß nun zuerst demokratische Standards in der Debatte herstellen, und danach in den Verhandlungen mit den USA auf Augenhöhe drängen.
Ohne eine echter Einbeziehung und Unterrichtung der nationalen Parlamente, sowie der europäischn Zivilgesellschaft wird das Freihandelsabkommen TTIP scheitern.
Weitere Informationen:
Aktuelle Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zu den TTIP-Verhandlungen
Informationen des Deutschen Kulturrates zum TTIP
Anmerkung:
Neben TTIP werden noch die Freihandelsabkommen CETA und Tisa verhandelt – diese werden in einem späteren Beitrag behandelt.
CETA
Neben dem Transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) steht auch das CETA: Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA – Comprehensive Economic and Trade Agreement) in der Kritik. Hierzu gibt es eine ausführliche Kritik bei: www.labournet.de
Tisa
Außerhalb der WHO treffen sich nach frei zugänglichen Informationen des schweizerischen Staatssekretariats für Wirtschaft SECO mehrere WTO-Mitglieder, die sogenannten RGF-Gruppe (Really Good Friends of Service) seit Februar 2012 regelmäßig in Genf unter dem gemeinsamen Vorsitz der USA und Australiens. Sie verhandeln zusätzlich das TISA (Trade in Services Agreement), das praktisch alle Dienstleistungen und Ressourcen für eine Vermarktung vorbereiten soll. Von Trinkwasser bis zu Bankdaten und Gesundheit soll ein einheitlicher Dienstleistungsverkehr in 50 Staaten hergestellt werden. Beteiligt sind: Australien, Chile, Costa Rica, EU (für 28 Mitgliedsstaaten), Hong Kong, Island, Israel, Japan, Kanada, Kolumbien, Korea, Liechtenstein, Mexiko, Neuseeland, Norwegen, Pakistan, Panama, Paraguay, Peru, Schweiz, Taiwan, Türkei und USA. Kritik dazu: www.heise.de