Montag, 09. Dezember 2024
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Die Oper zur Gentrifizierung

Von einem der auszog ... © LSD, Leonore Blievernicht, Volksbühne Berlin

Die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz bringt das Thema Gentrifizierung und Verdrängung als Oper auf die Bühne: „Von einem der auszog, weil er sich die Miete nicht mehr leisten konnte“. Die opulent ausgestattete Oper von Dirk von Lowtzow und René Pollesch ist ein Spiel um Gentrifizierung und Agit-Prop.

Von einem der auszog ... © LSD, Leonore Blievernicht, Volksbühne Berlin
Von einem der auszog … © LSD, Leonore Blievernicht, Volksbühne Berlin

Drei Schauspieler auf der Bühne, Franz Beil, Lilith Stangenberg und Martin Wuttke tragen die Inszenierung. Zwei Sänger wechseln sich Abend für Abend ab, Martin Gerke, Bariton und Kim Schrader, Tenor. Dazu sitzt das komplette Filmorchester Babelsberg mit Dirigent Oliver Pohl auf der Bühne, verstärkt durch den Rundfunk-Kinderchor Berlin am Georg-Friedrich-Händel-Gymnasium.

Die Regie von René Pollesch lässt erkennen, so ganz ernst ist es mit der Oper nicht gemeint, die Übertreibung auf der Bühne gehört zum Stück, das auch von Realität und Realitätsverlust handelt.

Es ist also ein Pollesch-Theaterstück, diesmal mit Live-Musik. Die Songtexte und die Komposition stammen übrigens von dem Tocotronic-Gitarristen und -Sänger Dirk von Lowtzow. Die Arrangements und Orchestrierung besorgte der Australier Thomas Meadowcroft. Musikalisch ein Genuß.

Blickfänger ist ein Killerwal, der mitten im Bühnenbild hängt, in dessen Innern die Schauspieler ihre Texte und Lieder singen.

Lange Monologe in typischer Pollesch-Manier

Das Stück lebt vom widergespenstisch-skurrilen Humor des Lied-Texter-Dichter-Gespanns Dirk von Lowtzow und René Pollesch die sich schon beide seit Jahren gegenseitig inspirieren.

Kostprobe: „Ich hafte an dir, wie eine Zecke an einem Tier“, singt Lilith Stangenberg mit piepsigster Disneystimme, zum anschwellenden Orchesterklang. „Wir haben nie gelebt, doch sind wir miteinander verklebt“, so fügt Martin Wuttke mit seiner etwas fragilen Tenor hinzu. Dazu schweben sie scheinbar schwerelos im Bauch des monstrogroßen hölzernen Orca-Wals über der funkelnden Brettern des Bühnenbodens.

Polleschs Monologe wirbeln: „Das war sie also, die Geschichte von mir und Dingsda. Es war zu Ende. Das Begehren war weg und merkwürdigerweise auch die Realität. Ich hätte vielleicht erwartet, dass ich den Realitätssinn verliere, so wie früher, wenn deine Worte und Versprechungen und das was dann passierte, nicht mehr in den Rahmen dessen passte, was ich an Vorverständnis für Szenerien mitbringen konnte. Aber diesmal, und es wird unser letztes Mal gewesen sein, war es anders. Das, was ich die wirkliche Welt nenne, die, die wir eben so verstehn können, und auseinandernehmen und auch verbessern, ist in dem Moment kollabiert, und hat sich ganz und gar aufgelöst. Es gibt dich nicht mehr. Ich meine, begehrenstechnisch, und ich frage mich, wie du vor mir verschwinden konntest. Weißt du, zu sagen, dass du für mich gestorben bist, trifft es ja nicht. Damit wischt man ja nur das Problem weg und ignoriert, was da vor einem steht, das elementare phantasmatische Objekt. Weißt du, wenn jemand wie ich, so viele Geschichten zusammengetragen hat, über alle Zustände, in denen ich mit dir war, und diese Geschichten, wenn zwei Leute dann eines Tages in einem Raum stehen, und das alles hat nichts mehr mit ihnen zu tun… Ich muss dann an diesen Film denken, den ich neulich sah. Eine Frau geht auf ein Haus zu, und man hat den Eindruck, dass das Haus den Blick erwidert. So als hätten wir eine Ahnung, dass da jemand zurückguckt, der sich aber nicht zeigt. Und das ist das Entscheidende. Obwohl wir nicht hineingucken können, gibt es diese Tendenz, dass wir dahinter jemanden vermuten. Wir können den Blick einfach nicht als Objekt stehen lassen. Wir stellen uns immer vor, dass etwas da drin steckt! Und sei es nur ein Bauchredner. Weißt du, das machen wir eigentlich die ganze Zeit mit jedem, der uns begegnet. Und wir ahnen, dass diese Vorstellung auch uns selbst produziert. Ich hab mich sowieso immer gefragt, warum ich die Subjektivität an dir relevanter fand als meine eigene. Ich produziere die Subjektivität an dir. In unserem nicht-psychotischen Leben früher, war es so, dass egal was du da sagtest – ich hörte dich damals noch sprechen, und ich konnte dich auch sehen – egal was du da sagtest, ich hörte dich. Auch wenn ich deine Gedanken nicht verstand, was ich eigentlich nie tat, ehrlich gesagt. Aber ich bildete es mir ein, weil ich das eben an dir mache: Subjektivität konstruieren. Und dadurch lebe ich auch. Und jetzt wenn du vor mir stehst, sehe ich, dass sich dein Mund bewegt, ich höre auch Töne, aber das zerreißt plötzlich alles, dann geht mir all das verloren, was ich ansonsten bei jedem toten Gegenstand kann, ihn mit irgendwas zu füllen, zumindest mit irgendeinem Bauchredner. Und d a s ist ein psychotischer Moment. Nicht die Momente als wir in der Küche gemütlich voreinander saßen und anschließend mit Messern aufeinander losgegangen sind, das ist normal, das ist die Realität. Psychotisch ist es, wenn ich dich nicht mehr sehe. Wenn ich das nicht mehr machen kann, was grundsätzlich zwar auch psychotisch ist, aber unsere wirkliche Welt konstituiert: hinter allem einen Blick und eine Stimme zu vermuten. Und grundsätzlich hat das ja auch mit unserer eigentümlichen Erfahrung zu tun: Ich kann ganz tief in dich hineinsehn, wie in ein Tamagotchi. Ja, das ist ein altes Wort, ich geb es zu. Aber wenn es um Tiefe geht, müssen wir eben alte Worte bemühen. Ich seh dein Inneres ganz gut von außen, denn wenn ich in dich hineinsehen könnte, sähe ich gar nichts.“

Kritik: wohlwollend angetan bis begeistert

„Es blitzt! – Und siehe! Überall Anleihen, überall Zitate, überall Verse zwischen Ironie und Pathos – und: Es geht auf! Es blitzt! Es ist durch und durch Pollesch. So sehr aus einem Guss war ein Pop-Theaterhybrid wohl zuletzt bei Robert Wilson und den Märchenfeen von Coco Rosie in ihrer Kindheitsfantasie Peter Pan am Berliner Ensemble.“ (Nachtkritik)

Von einem, der auszog, weil er sich die Miete nicht mehr leisten konnte
– Die Oper von René Pollesch und Dirk von Lowtzow –

Mit: Franz Beil, Lilith Stangenberg, Martin Wuttke, Martin Gerke (Bariton), Filmorchester Babelsberg, Oliver Pohl (Dirigent) und Rundfunk-Kinderchor Berlin am Georg-Friedrich-Händel-Gymnasium – Spieldauer: 1 Stunde 40 Minuten

Nächste Vorstellungen:
Dienstag, 31. März 2015, 19.30 Uhr
Donnerstag, 9. April 2015, 19.30 Uhr
Dienstag, 14. April 2015, 19.30 Uhr
Donnerstag, 23. April 2015, 19.30 Uhr

www.volksbuehne-berlin.de

Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Großes Haus | Linienstraße 227 | 10178 Berlin-Mitte

m/s