Egon Bahr ist tot. Im Alter von 93 Jahren ereilte ihn ein Herzinfarkt. Als Kind habe ich ihn im RIAS gehört, wenn meine Eltern sich in banger Erwartung ans Radio setzten. Berlin-Krise am 27. November 1958, die Spannungen bis zum 8. September 1959 als Berlins Regierender Bürgermeister, Willy Brandt (SPD) die vier Grundsätze zur Berlin-Politik formulierte. Schließlich Chruschtschows Berlin-Ultimation im Juni 1961, immer war auch Egon Bahr mit seinen Kommentaren zu hören.
Später als Leiter des Presse- und Informationsamtes des Landes Berlin und als Sprecher des vom Regierenden Bürgermeister Willy Brandt geführten Senats war er in entscheidenden Krisenjahren gegenwärtig.
13. August 1961, Mauerbau, die Kuba-Krise 1961, der Berlin-Besuch von J.F. Kennedy – und all die Gedenktage zum 17.Juni 1953, in denen Bahrs Original-Kommentare aus dem Jahr 1953 im Radio wiederholt wurden.
Bahr selbst hat 2006 über seine Rolle aufgeklärt, und sich selbst als „Kalten Krieger“ bezeichnet (Deutschlandradio Kultur 9.1.2006).
Angst und Kalter Krieg, die Stimmung in „Westberlin“ prägte durch meine Kinder- und Jugendzeit bis zum Abitur. Die Gedanken zum „Wandel durch Annäherung“, die neue „Ostpolitik“ und sind mir quasi durch Bahrs Worte zugewachsen. Alle seine wichtigen Bücher habe ich gelesen – auch um die im Innern angelegte Angst des Kalten Kriegen loszuwerden.
Mit dem Passierschein-Abkommen 1963 wurde es plötzlich möglich, von West-Berlin nach Ost-Berlin zu gelangen, und der Besuch der Verwandten in Ost-Berlin wurde möglich.
Brandts Ostpolitik habe ich miterlebt, auch durchlitten, denn im Kern blieben immer Zweifel und die gräßlichen Gefühle, die sich bei den Grenzkontrollen einstellten, wenn es über die Autobahn in den Süden zum Urlaub ging.
Erst die Erleichterungen im Transitabkommen 1972 brachten ein verändertes Grundgefühl mit sich, das als Erfolg von Brandts Ostpolitik und Viermächteabkommen persönlich erfahrbar wurde.
Auch Bahrs Weinkrampf ist mir noch präsent, als Herbert Wehner am 7. Mai 1974 zum Sturz von Willy Brandt beitrug und mir so die Abiturfreude verdarb.
Danach habe ich ihn aus den Augen verloren, obwohl er immer wieder wichtigen Ämtern Großes und seine selbst auferlegte Pflicht tat.
1982 mußte ich Bahr wieder lesen, seien Gedanken zur europäischen Abrüstung und seine Mitarbeit in der „Unabhängigen Kommission für Abrüstung und Sicherheit“, unter Vorsitz von Olof Palme. Bahrs These, Europa und Deutschland sollten im Rahmen einer Zivilmacht stärkeren Einfluss in der Welt suchen, setzte sich im breiten Bewußtsein durch, öffnete auch die Köpfe der Europäer.
Die deutsche Wiedervereinigung 1990 wurde durch Bahrs Wirken und durch seine Gedanken und Dialoge erst möglich. Wichtig war wohl seine Fähigkeit, sich in den Gegner mit Empathie hineinversetzen zu können, und nach eine klaren gemeinsamen Sprache suchen zu können. Im Gedächtnis blieben seine oft lakonischen Worte, die Hintersinn und hohe Diplomatie vereinbarten.
Zum Zustandekommen des deutsch-deutschen Grundlagenvertrag sagte Bahr damals“ am 21. Dezember 1972 in Ost-Berlin „Bisher hatten wir keine Beziehungen, jetzt werden wir schlechte haben, und das ist der Fortschritt.“
Ein Bonmot ist mir noch im Gedächtnis, das im Freundeskreis entstand: „Egon Bahr hat gewissermaßen „die Sessel der Verhandlung und die Fackel der Freiheit gleichzeitig durch das europäische Gedränge des Kalten Krieges getragen, ohne jemanden nachhaltig den Bart zu versengen.“
Egon Bahr war Berliner und Weltbürger, und hat auch in Pankow viele persönliche und politische Freunde. Ein paar Mal habe ich ihn auf Vernissagen und Lesungen in der Galerie Amalienpark gesehen. Stets war er umringt, in Gespräche verwickelt.
Einmal gelang es mir, ihm persönlich zu danken.
Nach den Kämpfen zwischen SPD und CDU um die Ostpolitik war längst auch die Wertschätzung bei den Christdemokraten gewachsen. Zum 90. Geburtstag fand der ehemalige Regierende Bürgermeister Richard von Weizsäcker dazu zeitlose Worte, denen ich mich anschließen möchte.
„Immer verbindet mich mit Egon Bahr eine hohe Wertschätzung, mit diesem Patrioten und großen Berliner, dem wir alle so viel zu verdanken haben.“