Am Abend des 19. September 2013 fand eine Podiumsdiskussion mit den Bundestagskandidaten des Bezirks Berlin-Mitte statt. Der Abend stand unter dem Motto: “Wir sind’s, die Bundestagskandidaten. Lernen sie uns kennen.” Die Runde der Spitzenkandidaten begann mit einer Pappkameradin: Diskussionsleiter Heiner Funken stellte ein Wahlkampfschild der Berliner SPD-Spitzenkandidatin auf den freien Platz im Podium.
„Frau Högl hat abgesagt – sie hat einen Friseurtermin“, scherzte Heiner Funken unter dem Gelächter des Publikums. Doch die Absage lag schon seit dem 10.September 2013 vor, und es kam auch kein in Aussicht gestellter Vertreter der SPD zu diesem Termin.
Auf dem Podium bliebt ihr Platz leer – bis auf das eilig herbeigeschaffte Wahlplakat mit dem mondänen Portraitfoto, das von Heiner Funken auf den Stuhl gestellt wurde.
Mit auf dem Podium saßen (v.l.n.r.):
Dr. Eva Högl (als Pappschild)
Dr. Klaus Lederer (DIE LINKE)
Ozcan Mutlu (Bündnis 90/Grüne)
Therese Lehmann (Piratenpartei)
Philipp Lengsfeld (CDU)
Hartmut Bade (FDP)
Im Mittelpunkt des Abends stand der Mauerpark und aktuelle bundespolitischen Entwicklungen. Heiner Funken dirigierte als Moderator, und führte wie üblich eine strenge Regie. Noch bevor die Kandidaten sich vorstellen durften, kam er zur Sache, und lenkte das Thema auf den Mauerpark.
Trickserei bei der CDU hebelt Abwägungsgebot aus
Philip Lengsfeld griff das Thema auf, und stellte seine Priorität vor: „Wohnungsbau, Berlin braucht mehr Wohnungen“ und sprach sich für die vorliegende dichte Bebauung des Investors Groth aus.
In einem weiteren Beitrag sagte er: „Der Mauerpark wird nicht bebaut, sondern erweitert“. Er wiederholte damit seine bereits oft geübte Wahlkampf-Formel, die über den Umstand hinwegtäuscht, das die geplante Baufläche seit 1994 im Flächennutzungsplan als übergeordnete Grünfläche ausgewiesen ist.
Mit diesem rhetorischen Trick täuscht Philip Lengsfeld seit Wochen die Bürgerinnen und Bürger, und setzt damit einen weiteren juristisch wirksamen Aspekt, um den „Wegfall des Abwägungsgebotes“ im Planverfahren zu kaschieren.
Für Bebauung, gegen unmögliche Erschließung und gegen Mißachtung des Bürgerwillens
Hartmut Bade wollte sich erst vorstellen, wurde aber von sofort Heiner Funken gestoppt. Hartmut Bade schaute einen Moment irritiert, doch er wechselte flink, und gab seine Auffassung zum Thema Nordbebauung kund: „Die derzeitige Erschließung ist unmöglich!“ Er plädiert dafür, den Gleimtunnel anzuschneiden und stattdessen eine großzügige Erschließung herzustellen, und den verbleibenden Gleimtunnel „denkmalgerecht und schön zu sanieren!“.
Bade sparte aber nicht mit Kritik: „… der Bürgerwillen und ein bereits geschlossener Kompromiß wurde mißachtet!“ – „So kann man nicht mit Bürgern umgehen, wenn man Bürgerbeteiligung ernst nehmen will!“.
Bade war auch nachdenklich, und warnte: „Hier wird womöglich etwas zu massiv geplant – und das könnte letztlich zur Verhinderung beitragen!“
Piraten unbedarft und unerfahren
Therese Lehmann räumte angesichts des langen Planungsprozeß ihre Unerfahrenheit ein: „Die Piraten sitzen erst seit einer Legislatur in der BVV“. Ansonsten stellte sie die altbekannten Linie der Piraten dar, die sich seit 2009 gegen die Mauerparkbebauung wendet.
Linkspartei konsequent gegen Bebauung
Klaus Lederer sprach sich gegen die Nordbebauung aus und verdeutlichte noch einmal die Konsequenz der Linkspartei, die sich seit 1994, erst in (rot-roter) Regierung, und im Berliner Abgeordnetenhaus gegen die Bebauung wendet. Er resümierte noch einmal den gesamten Planungsverlauf und kritisierte den städtebaulichen Vertrag, der letztlich dem Investor Groth zugute kommt.
Klaus Lederer wies darauf hin, das die Gesamtfläche seit 1994 als Grünfläche ausgewiesen ist. „Politik und Verwaltung haben seitdem versäumt, die selbst gewählte Vorgabe des Flächennutzungsplans umzusetzen!“.
„Der Senat hätte die Flächen schön seit 1994 als Grünflächen sichern, sogar enteignen können, und zum Preis von Grünflächen entschädigen können“.
Mit den nun vorliegenden städtebaulichen Vertrag wird eine Sonderregelung getroffen, die dem Investor Baurecht auf einer Grünfläche schafft, und eine immense Wertverbesserung erlaubt. Ein sonst üblicher Planungswertausgleich wurde nicht vereinbart. Zudem räumt der Vertrag einen Schadensausgleich ein, wenn kein Baurecht zustande käme. Klaus Lederer: „Der städtebauliche Vertrag grenzt an Veruntreuung!“
Klaus Lederer wurde auch an einem anderen Punkt deutlich: „Stadtentwicklungssenator Michael Müller wurde bei den Verhandlungen mit der CA Immo „… nicht über den Tisch gezogen, sowas passiert nur, wenn man nicht im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist!“
Klaus Lederer übte weiter Kritik: „Es wurde immer so getan, als sei kein Geld für den Flächenkauf da!“ „Heute wissen wir, das stimmt nicht!“
Indifferente Haltung der Grünen
Özcan Mutlu sprach sich gegen die Nordbebauung des Mauerparks aus, und erinnerte an die indifferente Haltung von Bündnis 90/Grüne im Bezirk-Mitte der Vergangenheit. „Heute sind wir weiter – und sind gegen eine Nordbebauung“.
Nur zwei Sätze weiter sagte er jedoch: „… wenn es eine angemessene Bürgerbeteiligung gibt, und die Bürger eine Bebauung wünschen, dann würde man der Entscheidung folgen“, und wiederholte diese Auffassung auch auf Nachfrage des Moderators Heiner Funken.
Özcan Mutlu wurde damit zur Enttäuschung des Abends – denn diese wachsweiche Haltung der Bündnisgrünen hat auch zum Verlust umweltpolitischer Konpetenz der Grünen geführt, die heute bis ins Abgeordnetenhaus wirkt.
Auf Özcan Mutlus Homepage sind die Worte Naturschutz, Stadtklima und Freiflächendefizit nicht mehr zu finden – stattdessen werden allgemein „Klimaschutz“ und „bezahlbare Energie“ als „Umweltkompetenz“ vertreten.
In den Parlamenten fehlt daher ein wichtiger Aspekt umweltpolitischer Bürgervertretung.
Bundespolitische Debatte und Saalwahl
Im Anschluß folgte die bundespolitische Debatte, die redaktionell nicht mehr verfolgt wurde. Auch die in der Veranstaltung vorgesehene Saalwahl wurde nicht mehr weiter redaktionell verfolgt.
Im Telefonat mit Heiner Funken wurde das Ergebnis später noch mitgeteilt: Klaus Lederer erhielt mehr Erststimmen als alle anderen Kandidaten zusammen. Bei den Zweitstimmen nahm Özcan Mutlu Platz 2 ein, dicht gefolgt von den Piraten.
Die anderen Parteien waren praktisch in der Minderheit – aber es gab an diesem Abend auch eine eindeutige Präferenz der Publikums: „Mauerpark Retten!“ stand auf den großen Transparent über der Bühne.
Im Nachgepräch zur Veranstaltung sagte Hartmut Bade auch denkwürdige Sätze zu Heiner Funken: „Man sei in einem bürgerlicher Bündnis mit der CDU, aber für das was im Plan-Verfahren durchgezogen wird, könne man sich nicht genug Fremdschämen“.
Kommentar
Das Kneifen der Berliner SPD-Spitzenkandidatin zeigt, Eva Högl hat offensichtlich Befürchtungen, beim Thema Mauerpark angegriffen zu werden. An zentraler Stelle mitten in der Hauptstadt will man in ein Stadtgebiet mit großen Grünflächen-Defiziten noch mehr Wohnungen bauen, und damit das Grün-und Freiflächendefizit noch weiter vergrößern.
Zugleich stellt die SPD seit langer Zeit den Stadtentwicklungssenator, und hat millionenteure Gutachten zum Landschaftsprogramm und zum Flächennutzungsplan erstellt. Für eine Partei, die seit so langer Zeit für das Ressort Stadtentwicklung Verantwortung trägt, ist es ein Armutszeugnis. Es ist auch ein Zeichen von Arroganz gegenüber Bürgerinteressen.
Das öffentliche Agieren (bzw. Nichtagieren) von SPD-Spitzenkandidatin Högl und CDU-Spitzenkandidat Lengsfeld hat jedoch nicht nur schlechte Seiten. Es wird nun klar: die Koalitionäre haben in unendlicher Selbstherrlichkeit und Selbstgewißheit die juristische Fallhöhe im Planungsverfahren verstärkt.
Zugleich haben CDU und SPD dem Investor Groth mit dem städtebaulichen Vertrag „traumhafte Vorzugskonditionen“ eingeräumt, die in Berlin überhaupt nicht üblich sind. Sobald Planverfahren in bezirklicher Regie erfolgen, wird immer ein Planungswertausgleich vereinbart.
Der Geruch der Begünstigung schwebt nun über dem Verfahren, zumal die Groth-Gruppe inzwischen das „meistbegünstigte Unternehmen“ im Land Berlin ist, was „öffentliche Kredite“, „Grundstücksflächen“ und „Bauvolumen“ angeht.
Der kürzlich im Rahmen der Beteiligung der Träger öffentlicher Belange im Bezirk Pankow veröffentlichte B-Planentwurf mit seiner 76-seitigen Begründung bestärkt noch diesen Eindruck.
Zieht man heute einen historischen Bogen, so haben SPD und CDU hier im Ergebnis fast 20 Jahre „Stadtentwicklungstheater“ mit millionenteuren Umweltgutachten, einer Allianz Umweltstiftung als Buffo und einem reichen Investor aufgeführt.
SPD und CDU haben fast 20 Jahre einen Flächennutzungsplan verfolgt, und geben seine Ziele an entscheidender Stelle im Stadtgebiet auf.
Ein einstmals staatliches Eisenbahngelände wird mit Millionenaufwand und Gutachten erst geschützt, dann rechtswidrig entgegen Verwaltungsbindung des Flächennutzungsplans verschachert – und soll nun aus öffentlich-rechtlichen Zweckbindungen entlassen werden, um einen Groß-Investor zu bereichern.
Welch ein historischer Zufall:
Ausgerechnet der Privatisierer des Bahngeländes aus dem Jahr 2007, der einstige Bundesfinanzminister, heutige SPD-Kanzlerkandidat und Weddinger Neu-Bürger Peer Steinbrück wird am Wahlsonntag als „besonders Betroffener“ mit seiner Hausgenossin Dr. Eva Högl beisammen sitzen können, und über den Wahlausgang sinnieren.
Er kann auch über Glaubwürdigkeit von Politik, soziale Nachhaltigkeit, Planungssicherheit, Kompetenz der SPD in der Berliner Stadtentwicklungspolitik und über die Aushöhlung der Bürgerbeteiligungsrechte in Planverfahren und Begünstigung nachdenken!“ m/s