/// Glosse /// – Straßennamen verleihen einem Ortsteil Identität, Kultur und Gedächtnis. In ganz besonderem Maße gilt es für den Pankower Ortsteil Französisch Buchholz. „Französisch Buchholz – ohne Bindestrich bitte!“ – erinnerte von Zeit zu Zeit Anne Schäfer-Junker die Redaktion, weil sich der Bindestrich eingeschlichen hatte. Für manche alten Buchholzer gilt noch ganz anderes: „Buchholz – ohne „Französisch“ – ich bin ein alter Buchholzer!“ – wird fröhlich und manchmal feuchtfröhlich verkündet.
Dabei wird dann gern auch das zweite „h“ verschluckt. Die mündliche Form „Bucholzer“ ist Umgangssprache, und bei echten Kneipenstreit im „Männerhort“ am Rosenthaler Weg kann gestritten und „herumgeholzt“ werden, wer nun „Alt-Buchholzer“, Neu-Buchholzer oder einfach nur ein Bucholzer ist.
Historische Namensgebungen
Das Angerdorf Buchholz wurde wahrscheinlich schon um 1230 gegründet, wie die meisten Dörfer auf dem südlichen Barnim. Mit der Ansiedlung von französischen Siedlern ab 1687 wurde das vom dreißigjährigen Krieg ausgezehrte Land neu kultiviert. Die vor dem Religionskrieg in Frankreich geflüchteten Hugenotten erhielten nach dem Edikt von Potsdam vor 330 Jahren durch den preußischen Staatsminister Joachim Ernst von Grumbkow eine „Französische Kolonie“.
Erste zehn Bauernfamilien und sechs Gärtnerfamilien siedelten 1687 hier, schon bald waren es 87 Siedler mit ihrem Familien, deren Familiennamen bis heute bei ansässigen Nachkommen und vor allem bei vielen Straßennamen nachweisbar sind. Um 1750 bürgerte sich die Bezeichnung Französisch Buchholz ein. Von 1817 bis 1913 trug das Dorf offiziell den Namen Französisch-Buchholz, mit Bindestrich!
Ab 1913 durchdrangen antifranzösische Ressentiments die Gemeinde, und noch vor dem Ersten Weltkrieg wurde die damalige Berliner Vorstadtgemeinde in Buchholz umbennannt. Die Eingemeindung nach Berlin erfolgte 1920, als Groß-Berlin begründet wurde.
Erst auf Anregung zweier Buchholzer Bürger-Vereine wurde der Ortsteil am 30. Mai 1999 durch die Bezirksverordnetenversammlung Pankow rückbenannt und erhielt so nach 86 Jahren wieder den früheren Namen: Französisch Buchholz. Ein Gedenkstein auf der Wiese des Pfarrer Hurtienne Platzes erinnert an das Ereignis.
Bürgerverein Französisch Buchholz e.V. nach Kalifornien ausgewandert
Der Bürgerverein hat nicht nur Probleme mit dem Bindestrich. Wurde er doch als Buchholzer Bürgerverein gegründet, und später umbenannt.
Aktuell ist der Bürgerverein Französisch Buchholz e.V. zeitweise nach Kalifornien zu Facebook ausgewandert. Dessen in Deutschland registrierte Internetseite ist „offline“. Diese musste natürlich mit digitalen Bindestrichen geschrieben werden.
Auf der neuen kalifornischen Internetpräsenz bei Facebook ist die Digitalisierung noch weiter fortgeschritten: https://www.facebook.com/franzoesischbuchholz. In der Internetadresse sind der Umlaut und der Bindestrich ganz beseitigt. Im Seitentitel steht zum Glück die richtige Bezeichnung.
Ob der Verein wieder zur registrierten Internet-Adresse zurückkehrt, ist möglicherweise im neuen Jahr ein Wahlkampfthema zwischen drei Parteien: Die Domain ist auf eine der Partei DIE LINKE zugerechnete Person zugelassen. Bei DENIC wird auch noch als „Bürgerverein Buchholz e.V.“ firmiert. Der Server wird wiederum von einer SPD-nahen Internetagentur regiert. Vorsitzender des Bürgervereins Französisch Buchholz e.V. Jens Tangenberg ist Mitglied der CDU.
Derartige politische Konstellationen sind in Pankow nicht ungewöhnlich, sondern eher typisch für Bürgervereine. Jeder kennt jeden, auch dessen Fehler und Säumnisse. Bewegung und Initiative können so auch schnell gelähmt werden.
Anachronismus Amtshaus Buchholz
Das Nachbarschaftszentrum im „Amtshaus Buchholz“ hat die alte Namensgebung des Orteils noch überdauert. Es ist irgendwo in den Zeitläuften hängen geblieben. Der im Amtshaus Buchhholz agierende Bürgerhaus e.V. bleibt als Träger bisher im Hintergrund, obwohl er die Zuwendungen für den Gebäudebetrieb erhält.
Der erst am „21.03.2012 von zehn engagierten Buchholzern gegründete Verein „Nord-Licht e.V.“ dominiert das Kulturangebot. Zwar wurde das Anliegen in die Satzung geschrieben, gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern aus dem Nordosten Berlins Veranstaltungen zu Kultur, Bildung, Politik und Wissenschaft durchzuführen.
Doch der Rückblick eröffnet eine weniger gemeinnützige und weltoffene Perspektive, als eine eher nostalgische Kulturpflege einer rund 40-jährigen speziellen Ära. Gisela Oechelhäuser, Stefan Liebich, Gregor Gysi, Siemund Jähn und ehemalige DEFA-Generalmusikdirektoren geben sich hier ein Stelldichein; natürlich auch Wahlkampfgäste. Insgesamt wird eine historische Kurzsichtperspektive in einem Ortsteil mit über 330 Jahren Kulturgeschichte gepflegt.
Auch eine hintergründige Interessenlage am Namen „Buchholz“ – ohne „Französisch“ wird deutlich, wenn man die verlegerischen Interessen der umtriebigen Förderer und Multi-Vereinsmitglieder Renate und Detlef Enneper von „Buchholz meets Buchholz“ bedenkt, die im Pankower Vereinsleben nach nicht ganz uneigennütziger Definitionsmacht streben, und den Verlag des Sohnes inspirieren. So wird mit dem „Enneperschen Traditions-Gestus“ ein mediokrer Brauchtums-Kultus entfaltet, der mit authentischer Ortskultur nichts gemein hat, und die Vereinskassen strapaziert.
Die offene Namensfrage rund um Amtshaus, Ortsteil und Kultur ist geeignet, kreative Kräfte freizusetzen, tatsächlich sind die vielen Neubürger und die wenigen aktiven Vereinsmitglieder im Ortsteil Französisch Buchholz noch nicht so recht im Miteinander integriert. Die Fördermittel kondensieren in einer kleinen aktiven Zielgruppe, statt sich für alle Bürgerinnen und Bürger gemeinnützig zu entfalten.
Wenn künftig neue Kultur- und Fördergelder fließen, sollte auch ein kulturelles Leitbild auf die Agenda kommen. In Französisch Buchholz kann sich ein viel wertvolleres Potential entfalten, wenn man sich der ganzen kulturellen Entwicklung seit der Zuwanderung der hugenottischen Flüchtlinge und Siedler stellt. Auch könnte man sich den geistigen Herausforderungen und Zeugnissen der französischen Kultur stellen, die in Berlin und im alten Preußen eine lange segensreiche Wirkungsgeschichte entfaltet haben.
Straßennamen, Namensgebungen und Jubiläen
Die Benennung von Nummernstraßen ist in Französisch Buchholz und auch anderswo ein umstrittenes Geschäft. Bei der Benennung der „Apfelnamen-Straßen“ gab es ein schönes Durcheinander, weil man den Namen Gravenstein still und behördenintern mit einer Apfelsorte in Verbindung brachte. Der Beitrag „Apfelstraßenamen-Kompott“ erinnerte an die eher kuriose Begebenheit, und düpierte die heimlichen Namensgeber.
Neuerdings vollziehen sich hinter verschlossenen Türen Verhandlungen zwischen Bezirksamt Pankow und Investoren, die bei der Projektentwicklung gern an der Namensgebung herumwünschen dürfen. Unter der Ägide von Stadtrat Jens-Holger Kirchner, dem die Verantwortung für das Vermessungsamt obliegt, wird so im engen Kreis an Namensgebungen gearbeitet.
Unter dem Schutz der Nichtöffentlichkeit werden dazu Obliegenheiten der Bezirksverordneten falsch eingeordnet: die Namensgebung des öffentlichen Straßenlandes ist eben keine private Grundstücksangelegenheit – und die Einordnung von „nichtöffentlichen Tagesordnungspunkten“ ohne Betreff verletzt grundlegende Verfassungsrechte. Der Betreff muss schon öffentlich genannt werden.
Im Baugebiet „Alter Gärtnerei“ kamen in diesem Jahr die Nizzastraße, Lyonstraße und der Brester Ring an der Bahnhofstraße neu dazu. Ganz mutig war man dabei nicht. Irgendwie sind es nun hybride Straßennamen geworden. In der Cité Foch in Reinickendorf gibt es auch original französische Straßennamen: Rue Racine, Place Molière, Avenue Charles De Gaulle, Rue Montesquieu und andere.
Wie hieß noch gleich die Straße mit dem Nobelpreisträger?
Mancher Straßennahme ist schwierig zu sprechen: heisst es nun Ferdinand Busoni Straße, wie es jüngst in der Berliner Woche quasi „durchrutschte“? Oder Ferdinand Boullion-Straße?
Der letzte Kulturbrief der Ortschronistin Schäfer-Junker rückt es gerade. Es geht weder um Nudeln noch um Suppengewürze, sondern um den Friedensnobelpreisträger Ferdinand Buisson, dessen 174. Geburtstag am Sonntag, dem 20.12.2015 begangen wurde.
Im nächsten Jahr sind also 175 Jahre zu begehen – ein Datum, das auf dem Kalender einzutragen ist. Der Radikalsozialist Buisson hat sich um die Reformen der französischen Pädagogik verdient gemacht, und um die deutsch-französische Verständigung und die europäische Einigung. 1927 erhielt er den Friedensnobelpreis. Selbst die Linkspartei kann ihn feiern!
Das Mysterium um den Vienweg
In Französisch Buchholz quert an der Triftstraße ein Weg namens Vienweg. Um die Namensgebung rankt sich eine seltsame Geschichte, die von der Ortschronistin Schäfer-Junker „ausgegraben“ wurde:
„Bei der Benennung der Straßen im neu entstandenen nördlichen Teil unseres Ortes Ende der 1990er Jahre sollte ein Weg nach dem ersten Prediger der französisch reformieren Gemeinde in Buchholz (1688) Pfarrer Pierre Vieux benannt werden, der hier eine Pfarrstelle betreute.
Doch im Jahr 1693 soll er in einem satirischen Gedicht an den Kurfürsten die Verhältnisse der Réfugiés in Kurbrandenburg behandelt haben. Das fand die französische Kolonie unanständig. Pfarrer Vieux, so beschreiben es die kirchlichen Nachrichten, soll wohl zudem etwas kritisch gewesen sein und wurde deshalb 1689 nach Spandau versetzt, wo er 1721 im 70. Lebensjahr starb.“
Doch aus dem Namen Vieuxweg wurde nichts. Zwar hätte der Bruder des Pfarrers auch Namenspate werden können, Arzt Jean Vieux war zur selben Zeit Mitglied der Französischen Gemeinde Buchholz – doch ein unaufgeklärter Behördenweg führte zu der irrtümlichen Benennung in „Vienweg“.
Und so wurde nachträglich zur Straßenbenennung ein passender Pate ausgewählt. Es kam die umgangssprachliche Deutung auf, der Vienweg sei nach dem dem großen französischen Maler Joseph-Marie Vien (1716-1809), dem späteren Hofmaler von König Ludwig XVI. benannt.
Die bisher gültige Tradition, Straßen nach Personen und Familiennamen mit Ortsbezug in Französisch Buchholz zu benennen, ist so gehörig durcheinander geraten.
Die vor gut einem Jahr gegründete Interessengemeinschaft KULTURGUT-FranzösischBuchholz–BIENCULTUREL trägt nun behutsam den Geist der Aufklärung und Toleranz in die Ortsgeschichte und versucht, nach und nach die Kulturschätze des Ortsteils in der Ortschronik zu heben und Möglichkeiten der kulturellen Beteiligung zu lebendiger Umgangskultur und Mehrsprachigkeit anzuregen.