Ein bereits im August 2014 erschienenes Buch aus dem Suhrkamp Verlag schlägt nach wie vor Wellen in der Kunstszene. Die beiden Autoren Markus Metz und Georg Seeßlen haben eine intelligente und hochaktuelle Betrachtung des zeitgenössischen Kunstmarktes abgeliefert, die Künstler, Galeristen – aber auch moderne Kulturpolitiker aufschrecken muß.
Markus Metz und Georg Seeßlen
Geld frisst Kunst – Kunst frisst Geld – Ein Pamphlet
edition suhrkamp 2675, Broschur, 496 Seiten
ISBN: 978-3-518-12675-2 – 20,00 €
Metz und Seeßlen beginnen ganz grundsätzlich:
»Dass die bürgerliche Emanzipation der Kunst von Kirche und Adel keineswegs nur Autonomie, sondern auch einen paradoxen Markt des Unmarktförmigen mit eigenen Herr/Knecht-Verhältnissen hervorgebracht hat, ist nichts Neues. Doch mit der Herausbildung einer globalisierten Kunstbörse erhält diese Dialektik eine neue, durch immer krudere Kurzschlüsse von Kunstgeld und Geldkunst geprägte Qualität. Markus Metz und Georg Seeßlen kartographieren, analysieren und kommentieren diese Entwicklung in den Werken, Institutionen, Diskursen und Akteuren der Gegenwartskunst – und kontern mit der Gegenfrage: Wie und wo kann Kunst trotz allem mehr sein als die schickste Form der Steuerhinterziehung?«
»Wenn sich die Moderne in die Post-Moderne, die Demokratie in die Post-Demokratie, der Feminismus in den Post-Feminismus verwandelt, verwandelt sich dann die Kunst in die Post-Kunst? Und was bedeutet das?«
In fünf Kapitel steigen sie tief in die gegenwärtigen Strukturen des Kunstmarktes ein, und geben ihr Erschrecken über die zeitgenössische Kunstwelt im Zeitalter des totalen Kapitalismus preis:
I. Diskurswechsel Kunst | Das Kunstwerk im Zeitalter des totalen Kapitalismus. | Ein erstes Erschrecken
II. Ökonomie, Politik & Kunst | Wie sich eine Kultur für Neoliberalismus und Postdemokratie organisiert. Eine Agenda
III. Kapitale Kunstfehler | Rund um den Kunstmarkt kommt es zu tieftraurigen Phänomenen, die uns lachen machen. Eine Anamnese
IV. Schmiermittel | Die geschmeidige Verbindung von Politik und Ökonomie durch die Kunst. Eine Abfuhr
V. Die innere Landnahme | oder Kunst und Kapital als schöne Weltuntergangsmaschinen betrachtet. Ein Theorem
Anhang: Occupy Art! | Ein Manifest
In einem ZEIT-Interview hat Georg Seeßlen sein tiefsitzendes Bedenken formuliert: »Problematischer ist, dass der überhitzte Kunstmarkt die allgemeinen Vorstellungen vom Wert der Kunst verändert. Die Frage, was Kunst ist, wird immer häufiger nur in Dollarzeichen beantwortet. Das Geld hat sich eine Definitionsmacht über die Kunst geschaffen. Dadurch geht die Kunst ausgerechnet jenen Menschen verloren, die diese gut brauchen könnten, um ein wenig Glück zu erfahren.«
Die beiden Autoren entwerfen spannende Einblicke, wenn sie die beobachteten Phänomene im Kunstmarkt in Gegensätzen verhandeln:
»Man könnte sagen: Jede Gesellschaft hat die Kunst, die sie verdient.
Und jede Kunst findet die Gesellschaft, die sie verdient.«
Es ist wahrlich ein Pamphlet, denn es schert sich nicht um kümmerliche Details, sondern um Betrachtungen der ganzen Kunst, der Kunstwelt und der „Gattung Mensch“ in der Kunst, Zitat:
»Die Kunst ist ein Phänomen des Menschen.
Der Mensch ist ein Phänomen der Kunst.«
André Comte-Sponville
Metz und Seeßlen trumpfen enorm auf: »Und wir sagen es im Folgenden in zwei verschiedenen Modi: einmal, wie gewohnt, von vorn nach hinten und in ganzer Breite.«
Sie möchten zu einer anderen Praxis gelangen können, die rhetorische Technik des Entgegensetzen funktioniert – bis hin zu einem Entwurf eines Manifests »Occupy Art!.«
Seeßlen: »Mit Martin Heidegger könnte man der Meinung sein, das »Wirkliche« an der Kunst seien die Werke und die Künstler.« – » Man könnte es aber auch andersherum sehen. Das Wirkliche an der Kunst wären dann gerade das Geld und das Geschwätz – während das Werk und die Subjekte der Kunstproduktion im schönen Nebel von Mythos und Imagination verschwinden könnten.«
Kunst im neoliberalen Zeitalter
Die Befürchtung, wird ausgesprochen: die Kunst im neoliberalen Zeitalter hat ihre Bedeutung grundätzlich gewandelt:
»Über lange Zeit war der Kern der großen Kunst-Erzählung die Beziehung zwischen Künstler und Kunstwerk. Wir sind Zeugen eines Diskurswechsels. In der Zeit von Neoliberalismus und Postdemokratie besteht der Kern der nicht mehr so großen Kunst-Erzählung aus der Beziehung zwischen Geld und Diskurs.«
Seeßlen stellt auch einen spannenden Bezug her, weshalb Kunst und Finanzmarkt sich sehr ähnlich sind:
»Aber der Gedanke eines stetig wachsenden Markts, einer Wertschöpfung aus dem Nichts heraus, macht den Kunstmarkt für die Protagonisten des Finanzmarktes so spannend. Deshalb vergleichen die sich oft mit den Künstlern. Wenn man es drastisch ausdrücken will: Nur Finanzmanager und Künstler können aus Scheiße Geld machen.«
Metz und Seeßlen haben vermutlich Recht, denn die große Finanzkrise hat mit der Virtualisierung der Geldmärkte und der Fiktionalierung der Finanzprodukte zu tun: Credit Default Swaps sind nicht mehr als „Erzählungen“, mit einer Überschrift „Vertrag“ und zwei Unterschriften von Geldgeber und Kreditnehmer.
Auf merkwürdige Weise scheint sich das moderne Kunstwerk den Kreditderivaten zu ähneln. Sie unterscheiden sich nur in ihrer materiellen Verbindlichkeit: das eine kann gehängt werden, das andere kann sich vollständig in Luft auflösen!
Occupy Art!
Occupy Art! – in Labyrinth und Ausweg spüren Metz und Seeßlen in einer Sammlung widerständiger Gesten in der Kunst Wegen nach, wie Kunst wieder befreit werden kann.
»Es war ein Kampf der Gierigen gegen die Schwierigen.
Aber die Gierigen haben die Schwierigen voll
und ganz gefressen!«
Roi Ubu (Alfred Jarry)
In 42 Fragmenten wird ein Manifest Occupy Art! entworfen. Hier werden die beiden Autoren flach, und ihre rhetorische Würze lässt in der Sprache nach. Es sind Träume, die entfaltet werden, bezeichnenderweise mit einem John Lennon Zitat eingeleitet.
Metz und Seeßlen enden „skeptisch“:
»Diese Kunst ist weder selbstverständlich, noch unsterblich. Diese Kunst kann uns verloren gehen. Oder von uns gerettet werden.«
Das Buch zeigt die Risse im Selbstbild des Künstlers auf, Seeßlen rät zum utopischen Neubeginn:
»Subjektiv gesehen: Menschen, die sich um das eigene Leben betrogen fühlen, die das Gefühl der Bremer Stadtmusikanten teilen: Etwas Schöneres und Besseres als das, was wir hier haben, das finden wir allemal. Und dann machen sie sich auf den Weg. Wohin, das weiß man nicht. Die Kunst kann die Menschen in Sackgassen und auf Irrwege führen. Sie kann in Tragödien enden. Aber etwas zu tun ist besser, als es so zu lassen, wie es ist.«