Dienstag, 17. September 2024
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Großdemo gegen TTIP, CETA, TISA & Co.

Großdemo gegen TTIP & CETA am 10.10.2015

Die Veranstalter hatten in ihrer Anmeldung mit 100.000 Teilnehmern gerechnet, doch es kamen mehr, viel mehr. Die Polizei zählte rund 150.000 Teilnehmer, die Veranstalter gingen von bis zu 250.000 Demonstranten aus, die gegen gegen die geplanten transatlantischen Handelsabkommen TTIP und Ceta auf die Straße gingen. Es war die seit langer Zeit wohl eindrucksvollste Großdemonstration im Regierungsviertel. Über 600 Busse und viele Sonderzüge waren nach Berlin gefahren.

Großdemo gegen TTIP & CETA am 10.10.2015
Großdemo gegen TTIP & CETA am 10.10.2015 auf der Str. des 17. Juni 1953

Auf der gesamten Demo-Route zwischen Hauptbahnhof und dem Großen Stern mit der Siegessäule war gestern waren die Straßen gesperrt. Es gab für Autofahrer praktisch kein Durchkommen. Bei strahlenden Sonnenschein zogen zehntausende Menschen friedlich durch die Mitte Berlins.

Wachsender Unmut über Geheimverhandlungen

Der Protest gegen die geplanten Freihandelsabkommen bezieht seine wachsende Energie vor allem aus dem Umstand, das die TTIP Verhandlungen praktisch geheim geführt werden. Nicht einmal Bundestagsabgeordnete haben freien Zugang zu den Dokumenten.

Michael Efler von der Initiative „Mehr Demokratie“ brauchte den Unmut zur Sprache. Sein Vorwurf: „In Geheimverhandlungen wird über die Köpfe der Betroffenen hinweg entschieden, diese müssen sich hintergangen fühlen. Die Wähler würden überhaupt nicht nach Inhalten gefragt, in denen es in entsprechenden Übereinkünften gehen solle.
Eflers Forderung: „Wir brauchen Volksabstimmungen auf Bundesebene!“ Seine Initiative hatte bis zum Beginn der Demonstration bereits knapp 3,3 Millionen Unterschriften im Rahmen der „selbstorganisierten“ Europäischen Bürgerinitiative gegen TTIP gesammelt und an die EU-Kommission übergeben.

Die Unterschriftensammlung erfolgte im Rahmen der Europäischen Bürgerinitiative „Stop TTIP“. Sie war eigenständig organisiert worden, nachdem die EU-Kommission zuvor eine offizielle Europäische Bürgerinitiative abgelehnt hatte. Mit drei Millionen Unterschriften hat „Stop TTIP“ mehr Unterzeichner als jede andere Europäische Bürgerinitiative.

Vom DGB bis zum Deutschen Kulturrat – eine breite Protestbewegung

Zu der Demonstration hatte ein breites Bündnis von mehr als 170 Organisationen aus fast allen gesellschaftlichen Bereichen hatte dazu aufgerufen: Umwelt-, Entwicklungs- und Sozialpolitik, Demokratie, Kultur, Bürger- und Verbraucherrechte und Gewerkschaften. Zum engeren Trägerkreis zählen u.a. der Deutsche Gewerkschaftsbund, der BUND, Attac, der Deutsche Kulturrat, Campact, der Paritätische Wohlfahrtsverband, foodwatch, Mehr Demokratie, Brot für die Welt, Greenpeace, der WWF und die NaturFreunde Deutschlands und die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. DIE LINKE und die Piratenpartei waren mit eigenen Ständen vertreten.

Unterstützt wurde die Demonstration auch vom Deutschen Kulturrat, der sich seit Monaten in besonderer Weise für die Belange von Kultur- und Kreativwirtschaft einsetzt.
Zu den unterstützenden Parteien zählen Bündnie 90/Grüne, DIE LINKE, die ÖDP und die Piraten. Gemeinsam befürchten die Parteienvertreter mit den „demokratiegefährdenden und intransparent verhandelten“ Verträgen „negative Auswirkungen auf viele Bereiche des täglichen Lebens“.

Großdemo gegen TTIP & CETA am 10.10.2015
Großdemo gegen TTIP & CETA am 10.10.2015 auf der Str. des 17. Juni 1953

Viele Redner auf der Kundgebung

Auf der Berliner Kundgebung forderten Redner die EU-Kommission, Bundesregierung, Bundestag und die anderen EU-Mitgliedsstaaten auf, die Forderung der Demonstranten aufzugreifen. Internationale Verträge müssten transparent verhandelt werden und den Schutz von Demokratie und Rechtsstaat gewährleisten. Sie dürften sich nicht an Konzerninteressen ausrichten. Gemeinsam forderten die Demonstrierenden die Sicherung und den Ausbau von Arbeitnehmerrechten, sowie von Sozial-, Umwelt- und Verbraucherstandards. Nur mit einem fairen Welthandel könnten ein sozialer Ausgleich, umweltgerechtes Wirtschaften und kulturelle Vielfalt durchgesetzt werden.

Auf der Schlusskundgebung auf der Bühne sprachen u.a. Reiner Hoffmann (DGB-Vorsitzender), Gesine Schwan (Präsidentin der Humboldt-Viadrina Governance Platform), Hubert Weiger (Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, BUND), Christian Höppner (Präsident des Deutschen Kulturrates) sowie Ulrich Schneider (Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes).

Großer Erfolg aus Sicht der Veranstalter

„Heute ist ein großer Tag für die Demokratie“, erklärten die Organisatoren. Von der Demonstration gehe eine klare Botschaft aus: „Wir stehen auf gegen TTIP und CETA. Gemeinsam verteidigen wir unsere Demokratie und gehen für gerechten Handel auf die Straße. Die Verhandlungen zu TTIP auf Grundlage des jetzigen Mandates müssen gestoppt werden. Der vorliegende CETA-Vertrag darf so nicht ratifiziert werden“, hieß es weiter.

Versuch einer Einordnung der TTIP-Proteste

Über 20 Jahre nach Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) und 7 Jahre nach der großen weltweiten Finanzkrise versuchen die großen weltweit vernetzten Konzerne und weltweite Finanzeliten gemeinsam mit den Regierungen ein neues weltweites ökonomisches Steuerungsmodell für die globalisierte Weltwirtschaft durchzusetzen.

Im Kern besteht es darin, die Staatsbürger in den Nationalstaaten als Wirtschafts- und Rechtssubjekte zu entmachten, und zur „abhängigen staatlichen und ökonomischen Ressource“ zu verwandeln.

Ökonomisierung und Digitalisierung haben dabei geholfen, sämtliche klassischen Märkte zu revolutionieren und eine „Kultur der digitalen Steuerung“ durch Kreditvergabe und Preissysteme und Handelspräferenzen zu etablieren, die letztlich alle „Terms of Trade“ durch Kaitalinteressen lenken kann.

Das Bemühen der Kapitalanleger und Konzerne ist darauf ausgerichtet, Märkte und Kundenverhalten „kalkulierbar, planbar und verhersagbar zu gestalten, wie etwa das Thema BigData und das Kunden-Tracking im Internet aufzeigen. Der Konsument interessiert dabei vorwiegend als „sicherer Kunde“. Externe Risiken werden externalisiert und individualisiert.

Die klassische soziale Marktwirtschaft zwischen Produzenten und Abnehmern wird dabei aber praktisch durch eine „digitale Third Party-Struktur“ ersetzt, die Zins- und Kreditgewährung und Gewinnabschöpfungen und Provisionen und Bonusanreize anonym reguliert. Die führt zu Einschränkungen menschlicher Freiheit, auch zum Verlust von Datenschutz und Persönlichkeitsrechten.

Die Marktwirtschaft ist keine klassische Marktwirtschaft mehr, sondern digitale Marktsphäre, die von unsichtbarer Hand gesteuert wird. Die Abschaffung des Bargeldes würde die Macht der „dritten Hand im Markt“ zementieren.

Demgegenüber stehen die Interessen der Indiviuen und sozialen Gruppen, selbst freien und fairen Handel treiben zu können, und selbst Vorteile aus weltweiter Vernetzung und Interaktion ziehen zu können.

Der Kampf zwischen individueller Freiheit, wirtschaflich sozialer Entfaltungsfreiheit und Autonomie gerät in einen grundlegenden Konflikt mit den Interessen großer Kapitalanleger und Konzerne, die ihre Ziele wiederum durch Steuerungsmodelle und damit verbundene Eingriffe in autonomes Handeln umsetzen wollen.

Die gewaltigen technischen Möglichkeiten der laufenden 4. industriellen Revolution und Digitalisierung drohen nun, den Menschen als rein abhängigem Kunden und Marktteilnehmer umzudefinieren, und ihn seiner wirtschaftlichen Fähigkeiten umfassend zu beschneiden.

Die TTIP-Proteste sind daher nur die Oberfläche eines viel grundsätzlichen historischen Konflikts zwischen Mensch, vernetzten Kapital und vernetzten Maschinen. Die Frage ist offen, ob der sozial vernetzte Mensch diesen Kampf um Freiheit, Autonomie und Selbstbestimmung noch gewinnen kann.

Weitere Informationen:

www.ttip-demo.de/presse

m/s