Die arabische Welt befindet sich in Aufruhr, der „Islamische Staat“ und seine ideologischen Ableger in Nigeria und Nordafrika und in Südostasien scheinen nur eine chaotische Welle des Terrors zu sein.
Doch es steckt mehr dahinter: Pläne, Strategien und militärische Eroberungstaktiken, die Dank neuer Recherchen aufgedeckt wurden. Mit dem Tod des IS-Strategen Haji Bakr wurde der „IS-Masterplan“ in Syrien und Irak aufgedeckt.
DER SPIEGEL hat exklusiv ein Konvolut von Strategieplänen und Organigrammen des IS ausgewertet. Mehr dazu findet sich in einem Beitrag mit dem Titel:
Terrormiliz „Islamischer Staat“: Geheimdokumente enthüllen IS-Strategie | 18.4.2015 | SPIEGEL online
In dem Beitrag werden Taktiken und Geheimpläne von IS veröffentlicht, die zeigen: „Der „Islamische Staat“ hat seinen Eroberungszug in Syrien von langer Hand geplant.“ Interne Dokumente der innersten Führung der Miliz belegen, dass sich Agenten als Prediger tarnten, IS-Gegner ausspionierten und gezielte Tötungskommandos in Gang setzten.
In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wird das Thema heute aufgegriffen. Ein Beitrag von Eugen Sorg kommentiert die IS-Strategie.
Handbuch des Dschihadismus: Kein Ungläubiger soll sich mehr sicher fühlen | 20.4.2015 | Eugen Sorg | FAZ
„Der „Islamische Staat“ foltert und mordet gezielt. Der Plan dazu stammt von Terrorstrategen. Einer von ihnen ist Abu Bakr Naji, der ehemalige Chefdenker von Al Qaida. Das Ziel ist der Kollaps jeder Ordnung.“
„Wie gebannt starrt der Westen auf die unerhörten Grausamkeiten des „Islamischen Staates“ – und läuft dabei Gefahr, den größeren Zusammenhang aus den Augen zu verlieren. Die Schlächter des IS handeln nicht im archaischen Blutrausch, sondern gehen gezielt vor. Als Salafisten folgen sie einerseits strikt dem Vorbild des Propheten. Die Massenenthauptungen, Kreuzigungen, Versklavungen und Steinigungen sind exakte Neuinszenierungen historischer Ereignisse, wie sie im Koran und in den sakralen Berichten über Mohammed aufgeschrieben wurden.“
„Andererseits orientieren sie sich an zeitgenössischen Theoretikern des Dschihad wie Abu Bakr Naji, einem mutmaßlichen Ägypter und ehemaligen Chefdenker von Al Qaida. 2004 war dessen Studie „The Management of Savagery“ (Die Verwaltung der Barbarei) auf Arabisch („Edarat al-Wahsh“) online erschienen, 2006 wurde sie auch ins Englische übersetzt. Es ist ein trockenes Strategie-Handbuch für Dschihadisten, ein nüchternes intellektuelles Manifest zur islamischen Welteroberung. Auf erschreckend genaue Weise nimmt es das Handeln des IS in Syrien und dem Irak vorweg, aber auch dasjenige anderer Trupps wie Boko Haram in Nigeria oder vieler Einzeltäter wie den Bostoner Bomben-Brüdern, dem Attentäter von Toulouse, den Londoner Schlächtern des Soldaten Lee Rigby, den jüngsten islamistischen Mördern in den Vereinigten Staaten, in Kanada, in Paris und in Kopenhagen.“
„Mit „unzähligen kleinen Operationen“ soll der Alltag der „Ungläubigen“ und deren Kollaborateuren unerträglich gemacht werden, und zwar aus dem Schutz glaubenstreuer Milieus in den arabischen, asiatischen und afrikanischen Kernländern heraus, aber auch aus den wachsenden islamischen Parallelgesellschaften in den westlichen Staaten. Keiner soll sich mehr sicher fühlen können. Naji empfiehlt Kidnapping, Geiselnahme, Verwendung von Frauen und Kindern als lebende Schutzschilde, öffentliche Tötungen, Selbstmordattentate, aber auch Anschläge auf Ölfelder, Häfen, Flugplätze, Touristentreffpunkte.“
„Das Ziel ist der Kollaps der Ordnung, die Schaffung von Zonen der Gesetzlosigkeit, des Chaos, der Wildheit. Dort herrschen die idealen Bedingungen, um die Scharia einzuführen. In einer Situation der Barbarei und Willkür, so Naji, würden sich die Leute jedem unterwerfen, egal ob gut oder böse, der ihnen Sicherheit und Überleben garantiert. Dies entspreche der „menschlichen Natur“.
„Naji sieht in einer ganzen Reihe von muslimischen Ländern vielversprechende Kandidaten für die Verwaltung der Barbarei, unter ihnen Afghanistan, Irak, Libanon, Ägypten, Somalia, die Maghreb-Staaten inklusive Libyen, aber auch Saudi-Arabien, Pakistan, Jemen, Türkei und Jordanien.“
Keine Zukunftskonzepte
Eugen Sorge kommentiert weiter: „An den Äußerungen Najis und anderer Kalifatsutopisten fällt aber auf, dass sie keinen Gedanken daran verschwenden, wie sie nach einer Machtübernahme Wirtschaft und Handel organisieren, die Arbeitslosigkeit bekämpfen, das Gesundheitswesen einrichten wollen. Sie liefern nicht mal den Hauch eines Konzepts, wie sie ihre Bevölkerung vor Armut, Hungersnöten, Krankheiten bewahren wollen. Das reale, praktische Leben interessiert sie nicht. Sie interessiert nur der Dschihad, der Krieg, die ewige Schlacht für das erträumte Kalifat.“