Am 9. Juli gibt es eine wichtige Abstimmung im EU-Parlament. Es geht um eine Reform des Urheberrechts. Die EU will eine veraltete Richtlinie in die neue digitale Zeit des modernen Internets und die Welt sozialer Netzwerke holen. Doch nun droht Gefahr ausgerechnet für die Panoramafreiheit für Fotografen, mit möglicherweise unzumutbaren und kuriosen Folgen.
Künftig müßte etwa eine Genehmigung des Architekten eingeholt werden, wenn man den Reichstag mit Kuppel fotografieren möchte.
Im ursprünglichen Bericht der Europaabgeordneten Julia Reda (Piratenparten) war eine Harmonisierung in Form einer einheitlichen Panoramafreiheit vorgesehen. Doch der Änderungsantrag 421 des französischen Abgeordneten Jean-Marie Cavada bewirkte mit nahezu 3/4-Mehrheit im Rechtsausschuss eine allgemeine Einschränkung der Panoramafreiheit.
Julia Reda war geschockt und wendet sich nun vehement gegen die vorgesehene Textänderung:
„Das Europäische Parlament […] vertritt die Auffassung, dass die gewerbliche Nutzung von Fotografien, Videomaterial oder anderen Abbildungen von Werken, die dauerhaft an physischen öffentlichen Orten platziert sind, immer an die vorherige Einwilligung der Urheber oder sonstigen Bevollmächtigten geknüpft sein sollte ..“
Der alte Text sah dagegen so aus:
„Das Europäische Parlament […] fordert den Gesetzgeber der EU auf, sicherzustellen, dass die Nutzung von Fotografien, Videomaterial oder anderen Abbildungen von Werken, die dauerhaft an öffentlichen Orten platziert sind, gestattet ist.“
Europa ein Flickenteppich unterschiedlicher Fotorechte
Die Ausgangslage ist klar. In Deutschland darf man Fotos von Gebäuden und öffentlichen Kunstwerken machen und sie frei verwenden, auch für kommerzielle Produkte wie Kalender oder Postkarten. Das nennt sich Panoramafreiheit. Aber nicht alle EU-Staaten halten es so. In Frankreich beispielsweise gibt es keine generelle Panoramafreiheit. Reda wollte das ändern und die Verwendung von Umgebungsfotos in allen Mitgliedsstaaten gleichermaßen erlauben.
Die Panoramafreiheit ist derzeit völlig unterschiedlich länderweise geregelt:
– zulässig auch für Kunstwerke (Dunkelgrün)
– zulässig nur für Gebäude (Bauwerke) (Hellgrün)
– zulässig für nichtkommerzielle Nutzung ( Gelb)
– unzulässig (Rot).
Gravierende Folgen befürchtet
Seitens der Wikipedia Initiative wurde eine eigene Organisationsseite zum Thema Panoramafreiheit eingerichtet. In den Stellungnahmen gegen die geplante EU-Neuregelung werden grundsätzliche Argumente vorgelegt.
„Da private und kommerzielle Verwendung von Inhalten im Internet nicht klar definiert ist und die Wikimedia-Projekte eine allgemeine und uneingeschränkte Verwendbarkeit von Inhalten vertreten, sind die Inhalte der Wikipedia und anderer Projekte soweit möglich unter einer Lizenz verfügbar, die auch kommerziellen Gebrauch zulässt.
In Ländern der Europäischen Union mit bestehender Panoramafreiheit ist eine Einschränkung auf rein private Verwendung ein Angriff auf die Wissensallmende und die freie Verfügbarbarkeit von Informationen, für die Wikipedia steht. Zahlreiche Bilder auf Wikimedia Commons würden bei einer Umsetzung des Vorschlags gelöscht werden oder zumindest in der deutschsprachigen Wikipedia nicht mehr verwendbar sein. „Zahlreich“ heißt etwas in der Größenordnung zwischen 100.000 und 1.000.000 Bildern. Der Verlust für Inhalt und Qualität der Wikipedia wäre massiv.“
Auch seitens Fotografenverbänden wie Freelans und seitens des Deutschen Journalistenverbandes gibt es große Bedenken. Für jedes Bild eine Genehmigung einzuholen sei „ein unmögliches Unterfangen“, schreibt etwa der Fotografenverband Freelens.“Das kann das Ende der professionellen Fotografie im öffentlichen Raum bedeuten.“
Michael Hirschler vom Deutschen Journalisten-Verband sieht ebenfalls drohende Streitigkeiten: „In Deutschland würde das wahrscheinlich sofort zu Problemen führen“, sagte er. Schließlich gebe es hier ein reges Abmahnwesen, bei dem Nutzer für Urheberrechtsverletzungen belangt werden
Private Fotos und soziale Netzwerke
Piratin Julia Reda sieht private Fotografen und Selfie-Liebhaber von einer geplanten EU-Regelung betroffen. Reda warnt, dass “ du (…) für jedes deiner Urlaubsfotos prüfen müsstest, ob es ein Gebäude oder öffentliches Kunstwerk zeigt, ob dieses Werk urheberrechtlich geschützt ist“. Erst dann dürfte man die Fotos auf Plattformen wie Facebook hochladen. Die sozialen Netzwerke sichernn sich in den AGB´s die kommerzielle Verwendung der Nutzerbilder zu. Das könnte praktisch „Millionen von Europäerinnen und Europäern in Konflikt mit dem Urheberrecht bringen“, befürchtet Reda.
Das Büro des französischen Abgeordneten Cavada ließ auch verlauten, es gehe nicht um die Verfolgung regulärer Internetnutzer. „Herr Cavada hatte nie das Ziel, Nutzer zur Kasse zu bitten oder ihre Freiheit im Internet einzuschränken.“ Es gehe um eine faire Entlohnung für Künstler durch Plattformen wie Facebook, Instagram oder Flickr.
Online-Petitionen und Aktionen gegen die Neuregelung
Die Wikipedia-Initiative und Autoren haben inzwischen auf Wikipedia einen offenen Brief unterzeichnet, eine Online-Petition verzeichnet fast 30 000 Unterschriften. Die Autorinnen und Autoren wenden sich in einem offenen Brief an die Abgeordneten des Europäischen Parlaments gegen die geplante Änderung. Bis zum 29. Juni kann noch unterschrieben werden.
Das EU-Parlament will am 9. Juli über den Vorschlag abstimmen und zunächst nur die Position der Abgeordneten festlegen. Bis eine Regelung tatsächlich EU-Recht werden kann, dauert es noch, denn der eigentliche Vorschlag für ein neues Gesetz in Form einer EU-Richtlinie kommt von der EU-Kommission. Dieser Entwurf wird im Herbst 2015 erwartet. Erst danach beginnt die eigentliche Abstimmung zwischen EU-Parlament und EU-Kommission, sowie EU-Ländern.
Weitere Informationen:
Wikipedia:Initiative für die Panoramafreiheit – Organisationsseite
Wikipedia:Initiative für die Panoramafreiheit – Leserinformation