Mittwoch, 24. April 2024
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Priorität: Leerstand für Geflüchtete nutzen!

Ehemaliges Kinderkrankenhaus in der Hansastraße - Foto: Axel Hansmann

/// Gastbeitrag /// – In seinem Artikel für die Bauwelt „Architektur der Abschreckung“, konstatiert Kay Wendel ernüchtert, dass die Zustände politisch gewollt sind: „Zeltstädte mit hunderten Menschen Pritsche an Pritsche gelten als unvermeidlich, im „Krisenmodus“ stellen sich nur noch zwei Anforderungen: sofort und für Massen. Die Debatten der vergangenen Jahre über Konzepte und Mindeststandards – Makulatur.“

Ehemaliges Kinderkrankenhaus in der Hansastraße - Foto: Axel Hansmann
Leerstand: Ehemaliges Kinderkrankenhaus in der Hansastraße mit vielen Bauflächen – Foto: Axel Hansmann

Wendel warnte auch eindrücklich: „Man muss keine prophetischen Gaben besitzen, um sich die Folgen vorzustellen. In den Druckkesseln der Erstaufnahmelager werden die Konflikte der Flüchtlinge untereinander zunehmen, was wiederum ihrer Stigmatisierung als gefährliche Gewalttäter Vorschub leisten wird. Die Gewalttaten gegen Unterkünfte und gegen Flüchtlinge selbst werden weiter zunehmen, die Hilfsbereitschaft in anderen Teilen der Bevölkerung wird untergraben.“

Aufnahme und Integration kann aber nur gelingen, wenn man vom Krisenmodus zu proaktiver Planung in unterschiedlichen Zeithorizonten kommt.

Geplante Widersprüche werden moniert

Theresa Keilhacker, Architektin und Mitglied in der Kommission Nachhaltiges Bauen am Umweltbundesamt (KNBau) betont, „die dauerhaft zu erstellenden Gebäude müssen langfristig den Nachhaltigkeitskriterien entsprechen, d.h. modular flexibel und baukon­struktiv für verschiedene Nach- und Umnutzungen ausgelegt sein. Solche Gebäude können zunächst in möglichst kosteneffizienter Form erstellt und in einem weiteren Bauabschnitt durch Nachrüstung auf höhere Standards gebracht werden. Außerdem sind die zukünftigen Bewohner dialogisch einzubeziehen und können durch Eigenleistung mit ihrem neuen Zuhause vertraut gemacht werden. Dies alles ist bei den aktuellen MUFs des Senats leider nicht berücksichtigt. Sie sind pro Standort für ca. 500 Menschen konzipiert, max. 50 wären aber integrationspolitisches Ziel.“

Leerstand prüfen und umnutzen

Die KNBau fordert darüber hinaus: „Umnutzung leerstehender Gewerbeimmobilien prüfen hierbei sind die örtlichen Baubehörden unter dem Stichwort Co-Working-Living gefragt, gemeinsam mit der Feuerwehr tragfähige Lösungen zu finden, ohne durch die temporäre oder teilweise Nutzungsänderung bürokratische Hindernisse zu generieren.“
Die KNBau empfiehlt, „die Lebenszykluskosten einschließlich des Betriebs über die jeweiligen Standzeiten berechnen zu lassen, vorzugsweise durch externe Prüfer und Prüferinnen.“

Haus der Statistik in Berlin-Mitte
Haus der Statistik in Berlin-Mitte – Foto: De-okin CC BY-SA 3.0

Haus der Statistik: 7 Jahre Leerstand – bald ein Beispiel?

Am Beispiel „Haus der Statistik“ am Alexanderplatz, das seit 7 Jahren leer steht, stellte Harry Sachs, Künstler und Initiator des AbBA-Netzwerks Berlin, ein konkretes Konzept für die Integration von Geflüchteten in die Stadtgesellschaft vor und zeigt mit der Initiative, dass es auch anders geht: Leerstand kreativ nutzen, statt Massenunterkünfte ohne Identität schaffen. Bis zu 1000 Menschen könnten in dem Gebäude ein neues Wohn- und Arbeitsumfeld finden, wenn der Senat zusammen mit dem Bezirk grünes Licht für das Projekt geben und dem Bund die Liegenschaft für diese Zwecke abkaufen bzw. vom Bund günstig mieten würde. Am 17.12.2015 hat die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Mitte die Umsetzung des Konzeptes und die aktive Einbindung in weitere Planungen der Initiative „Haus der Statistik“ beschlossen. Der Antrag wurde von allen Fraktionen unterstützt.

Forderungen an eine Politik mit Sachverstand

Die für die Flüchtlingsunterbringung in Berlin zuständigen und planenden Verwaltungen haben bisher nur nach „politischen Gusto“ und nicht nach „fachkundig erarbeiteten Planungskonzepten“ gehandelt. Massive Fehler wurden gemacht. So hat Bausenator Andreas Geisel drei Monate mit der Konzeptfindung für „Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge“ verschwendet, weitere Monate mit der Ausschreibung für ein viel zu teures „Sonderbauprojekt“. Nur sechs Bieter haben Angebote abgegeben, und die rechnerischen Preise von 40.000 € je Bewohner sind erheblich teurer, als etwa Holzfertigteilbauten. Die Preise für die Unterbringung für Flüchtlinge sind seit Frühjahr 2015 von 14.000 € (Nettobaukosten) auf über 25.000 € Nettobaukosten angestiegen (Zahlen: Assmann Beraten Planen Bauen).
Mit den in Berlin geplanten Betonfertigteilbauten vom Typ MUF wird sehr viel Zeit verspielt, denn die Dimensionierung erfordert eine aufwändige Gründung. Während in Bayern typische Fertigbauweisen mit 3 Monaten Bauzeit auskommen, bis sie bezugsfertig sind, wird es in Berlin mindestens 5-8 Monate dauern. Wenn der Flüchtlingsstrom in Berlin weiter anhält, wird der die Stadt in eine geplante Belegungs-Katastrophe hineinsteuern

Gemeinschaftsunterkünfte verhindern Integration

Die Linie der Bundesregierung, keine „Sonderbauprogramme für Flüchtlinge“ aufzulegen, sondern auf „sozialen Wohnungsbau“ für Alle zu setzen, sorgt für wichtige eine wirksame Integration und die soziale Durchmischung.
Architekten und Flüchtlingsinitiative fordern die Politik auf, uneingeschränkt soziale, bau- und menschenrechtliche Standards bei der Unterbringung von Flüchtlingen und sozial benachteiligten Gruppen anzuwenden.

Wohnen ist als Grundrecht für Alle zu gestalten. Die geplante Schaffung von „Hallen-Ghettos“ auf dem Vorfeld des Flughagfens ist integrationspolitisch höchst problematisch. Nur die Nähe zu Wohnbebauung, Infrastruktur wie Kitas und Schulen, sowie zum ÖPNV schafft Frieden, Integration und soziale Durchmischung. Die Unterbringung sollte dezentral erfolgen und für nicht mehr als maximal 50 Personen pro Unterbringungsort. Abgeschlossene Wohneinheiten und Privatsphäre haben höchste Priorität.

Bauen darf nur nachhaltig organisiert werden. Bauliche Mißstände und sozial problematische Ghettos sind zu vermeiden.

Theresa Keilhacker, Architektin

Modulare Unterkunft für Flüchtlinge (MUF)
Modulare Unterkunft für Flüchtlinge (MUF) – Visualisierung Wittenberger Straße – Grafik: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt – Abt. V

Kommentar | Michael Springer:

Es zeugt von fachlicher Unkenntnis und planerischer Inkompetenz, wenn Senator Andreas Geisel, Senator Czaja nun auf dem Flughafen neue Leichtbauhallen bauen wollen. Während die Schulsenatorin Sandra Scheeres und Innen- und Sportsenator Frank Henkel in Berlin über rund 50 Turnhallen verfügen, die wegen zum Teil sehr überschaubaer baulicher Mängel gesperrt sind.

Statt übergangsweise Turnhallen instand zu setzen und für die spätere Sportnutzung zu ertüchtigen, sollen Steuergelder für provisorische Neubauhallen ausgegeben werden, die angeblich nur 3 Jahre lang belegt werden sollen. Alle verfügbaren Gelder sollten besser für soziales Wohnen und nachhaltige Sporthallen-Instandsetzung aufgewendet werden.

berlin baut schwarz
berlin baut
Kommt eine schwarze Zukunft – Grafik: Auszug der Titelfolie der Präsentation Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge
Stadtentwicklungsausschuss
Vortrag am 25.11.2015

Leerstand in Berlin:

Netzwerk AfA – Architekten für Architekten – www.architektenfuerarchitekten.de.

Weitere Beiträge zum Thema:

Müller, Henkel, Geisel, Czaja & Kolat fehlt der Breuel-Faktor | 10.12.2015 |Michael Springer

Monströser Dilettantismus in Flüchtlingsfragen | 10.1.2016 | Pankower Allgemeine Zeitung

m/s