Freitag, 29. März 2024
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Netzpolitik: Angriff auf die Pressefreiheit

Markus Beckedahl

/// Kommentar /// – Die Ankündigung der Einleitung eines Strafverfahren wegen Verdacht des Landesverrats gegen zwei Journalisten und Blogger von Netzpolitik.org hat bundesweit sofort große Aufregung verursacht. Zu Recht haben Journalisten und der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) dies als „unzulässigen Versuch, zwei kritische Kollegen mundtot zu machen“ kritisiert.

Markus Beckedahl
Markus Beckedahl auf der re:publica 2014: Votrag: „Überwachtes Netz“

Ansatzpunkt für das Tätigwerden der Bundesanwaltschaft war die Veröffentlichung eines Budgetplans des Bundesamts für Verfassungsschutzes (BfV) auf dem Internetblog Netzpolitik.org. Die Untersuchung ausgelöst hatte der Präsident des Bundesverfassungsschutz Hans-Georg Maaßen mit mehreren Anzeigen.

Verständliche Politische Reaktionen

In den ersten aktuellen Reaktionen kritisierten prominente Politiker die Aktion des Generalbundeswanwalts Range als „“ziemlich ungeheuerlich“ ( Konstantin von Notz, Bündnis 90/Grüne) und warfen ihm einen „Verrat an der Demokratie“ vor (Sahra Wagenknecht DIE LINKE).

Doch in Kommentaren wurde auch tiefgehender argumentiert: Der frühere Chef von dpa und Spiegel, Wolfgang Büchner hielt dagegen: „Diese Geschichte hat nur ein mögliches Ende: Den Rücktritt von Maaßen und Range.“

In anderen Kommentaren wurde die Aktion vor allem als Einschüchterungsversuch gegen kritische Journalisten und Whistleblower gewertet.

Der Präsident des Inlandsgeheimdienstes wittert hinter dem Durchstechen vertraulicher Papiere an die Medien eine „Verschwörung, um die Geheimdienste sturmreif zu schießen“. Für den Juristen handelt es sich dabei um einen ausgewachsenen Skandal.

Diese Einschätzung mag durchaus richtig sein, und es ist auch richtig, gegen den Angriff gegen die Pressefreiheit zu protestieren. Doch die Angelegenheit ist nicht nur eine verfassungsrechtliche Frage, oder eine Frage politischer Moral. Stattdessen hat der Generalbundesanwalt mit der Anklageerhebung nun die Büchse der Pandora für Bundesregierung, Verfassungsschutz, Geheimdienste und Justiz geöffnet.

Größter anzunehmender Glaubwürdigkeitsverlust eingetreten

Mit dem durch Edward Snowden aufgedeckten massenhafte illegalen Abhören normaler Bürger und des gesamten Politikbetriebs durch NSA, GCQH, BND und der allgegenwärtige Datenauswertung mittels Tracker-Diensten und Big-Data-Technologien ist das gesamte Internet in eine „Überwachungssphäre“ und „digitale Verbreitungssphäre“ verwandelt worden.
Sobald Informationen in diese Verbreitungssphäre gelangt sind, ist nicht mehr sicher, ob diese Informationen privat, öffentlich oder geheim sind.

Juristische Kategorien wie „Land“, „Landesverrat“ sind angesichts grenzüberschreitender Internet-Dienste kaum noch verifizierbar, zumal es auch internationale Dienst gibt, die geheime Daten auswerten und zum Abruf bereit halten.
Auch der Begriff des „Verrats“ ist fragwürdig geworden, weil sich jeder „digitale Autor“ in der digitalen Verbreitungssphäre des Internets praktisch selbst verrät. Nur dem Umstand, dass der Autor selbst nicht genau weiß, wer mitspeichert und mitliest, suggeriert noch einen letzten Rest von „Geheimhaltungsgefühl“ und „gefühlter Privatheit“.

In Kommentaren wurde gestern die Annahme geäußert, der Generalbundesanwalt wisse genau was er tue, wenn er einen medialen Empörungssturm in Kauf nehme und Anklage erheben werde.

Doch es tritt das schlimmste Szenario für Bundesregierung, Verfassungsschutz, Geheimdienste und Justiz ein:

„der größte anzunehmende Glaubwürdigkeitsverlust“.

Schon seit Wochen und Monaten gibt es eine schreckliche Inkompetenz auf allen Ebenen der Politik, um mit den Umwälzungen von Digitalisierung und Vernetzung der Internetechnologien adäquat umzugehen. Hinter der Kulisse von Verfassungsschutz und BND mag auch eine Wut über Whistleblower und Geheimnissverrat und über eintretende Autoritätsverluste mit im Spiel sein. Doch wir haben viel grundsätzlichere Probleme.

Aktuell fällt auf: der Generalbundesanwalt Range erhebt Anklage, und hat als wichtige staatliche Institution noch nicht einmal eine sichere Internet-Seite. So wurde gestern auch die Internetseite des Generalbundesanwalts mit einem automatischen Penetrationswerkzeug für SQL-Injections angegriffen, mit dem praktische die ganze Datenbank auslesbar war.

Davor wurde das gesamte Netzwerk des Deutschen Bundestages gehackt und infiltiert und muß nun mit einem Millionenaufwand neu aufgesetzt werden. Die Beseitigung der Schwachstellen wird Monate dauern und viele Trainungsstunden der Bundestagsabgeordneten in Sachen Computersicherheit notwendig machen.

Aktuell sind Abermillionen mobile Internetnutzer durch Schwachstellen beim mobilen Android-Betriebssystem bedoht. Dazu kommt die gezielte Internetüberwachung praktisch der gesamten Bundesregierungen und das Abhören des Handys der Bundeskanzlerin.

Die Arbeit des NSA Untersuchungsausschuß steckt schließlich bei Fragen fest, in denen zu klären ist, wieweit BND und Bundesregierung mit der NSA kooperieren, und wie weit sie durch „Echtzeitüberwachung“ praktisch „politisch steuerbar“ werden.

Im Großen und Ganzen haben wir bereits eine „digitale Staats- und Verfassungskrise“, weil wichtige juristische, verfassungsrechtliche und politische Kategorien und Werte durch digitale Technologien „hinterwandert“ werden. Die Konstitution der Demokratie mit Privatheit, Öffentlichkeit und Gewaltenteilung ist längst tiefgreifend in Frage gestellt.

Digitale Agenda: Souveränitätsverlust von Individuum und Staat

Die wichtigsten staatlichen Institutionen, die für die Sicherung des Rechtssystems und für staatliche und nationale Souveränität und politische Handlungsautonomie für Regierung, Parlament, Institutionen und für alle Bürgerinnen und Bürger sorgen sollen, stehen heute praktisch vor einem in der Geschichte einmaligen und neuartigen Glaubwürdigkeitsverlust:

Es gibt keine kompetente Strategie zum Umgang mit den Modernisierungsfolgen der Internet- und Überwachungstechnologien.Folglich gibt es auch eine fehlende innere und äussere Souveränität des Staates aus Mangel an Kompentenz gegenüber den „Herausforderungen moderner Kommunikationstechnologien.“

Markus Beckedahl und seine Mitarbeiter von netzpolitik.org haben auf die aktuellen Anschuldigungen reagiert, nachdem der Internetserver des Blogs zeitweise unter der Last der Anfragen in die Knie gegangen ist. Auf einer neuer Internetseite Landesverrat.org sind die geheimen Haushaltspläne des Verfassungsschutzes noch einmal bereitgestellt worden.

Beckedahl will sich nicht einschüchtern lasssen – und nimmt mit vollem Recht sein Recht auf Pressefreiheit wahr.

Es wird nicht genügen, den Generalbundesanwalt Harald Range und den Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen in der Sache einfach zurückzupfeifen. Die Aufgaben des „Staatsschutz“ lassen sich nicht mehr in althergebrachter Weise wahrnehmen.

Hinter der Bewältigung des aktuellen politischen Skandals werden Grundfragen aufgeworfen:

In der digitalen Agenda der Bundesregierung heißt es:

„Ohne Vertrauen in die Sicherheit und Integrität der digitalen Welt wird es nicht gelingen, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Potenziale des digitalen Wandels zu erschließen. Das Vertrauen zu stärken heißt daher zum einen, die Kommunikation über digitale Netze zu schützen und dafür den Zugang zu sicheren und einfach zu nutzenden Verschlüsselungsverfahren zu fördern. Zum anderen bedeutet es, dass wir unsere kritischen Infrastrukturen schützen. Wir wollen mit der Digitalen Agenda einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass unser Land einer der sichersten digitalen Standorte weltweit bleibt.“

Vertrauen ist aber unteilbar. Eine „Integrität der digitalen Welt“ ist eine Voraussetzung für Freiheit und Autonomie des Individuums. Ohne individuelle Freiheit aber können auch staatliche Souveränität und die Verfassungsgebote nicht erhalten werden.

Ich neige inzwischen zu der Annahme, wir sollten Maaßen und Range dankbar sein, dass sie die Büchse der Pandora geöffnet haben. Wir können nun in das „digitale Chaos“ hineinschauen!

Die gesamte Politik benötigt m.E. ein „philosophisches Betriebssystem-Update“ für die bisher wuchernd gewachsene digitale Welt.

Veranstaltungshinweis:

Unter dem Motto „Für Grundrechte und Pressefreiheit“ wird heute von Unterstützern des Internet-Blogs Netzpolitik.org gegen die Ermittlungen des Generalbundesanwalts wegen Landesverrats demonstriert. Der Aufruf wurde auch bei Netzpolitik.org veröffentlicht.
Um 14 Uhr beginnt die Demonstration am Berliner S-Bahnhof Friedrichstraße und führt zum Justizministerium in der Mohrenstraße.