/// Kommentar /// – Sie haben es getan: ein „Aufruf zum Weiterdenken: Strategien der Berliner Kulturpolitik“. Tim Renner, neuer Kulturstaatssekretär und Jan Stöß, Landesvorsitzender der SPD, und einer der Kandidaten um die Nachfolge des Doppelamtes Regierender Bürgermeister und Kultursenator.
Zuerst das Positive: Stöß macht sich für die Kunst stark, Bravo! – Stöß macht sich für die bezirkliche Kulturarbeit stark! Bravissimo! Dann: Kritik an der Kosten- und Leistungsrechnung. Und bringt dazu das alte und falsche Argument, die Zahl der Zuschauer – nicht die Qualität sei entscheidend!
Bei Lichte betrachtet: Es sind die Angebotsstunden, mit denen etwa der clevere CDU-Kultur-Stadtrat in Pankow ganze Kulturräume rettet – und sei es nur eine zum Museum ausgebaute Wohnung in Prenzlauer Berg, in der gezeigt wird, wie Zimmermeister Brunzel einst ein Mietshaus baute.
Es gibt sogar ein lustiges Bausteinexperiment, wie man mit der KLR im Rücken Kultur ausbauen kann: ein mobiler Bauwagen, in dem eine Ausstellung zur Filmstadt Weißensee gezeigt wird, der „Angebotsstunden“ für den Kulturhaushalt produziert, und das auf öffentlichen Straßenland, zu Marktzeiten und Festen. – Ein Fall für die Verwaltungsakademie – ach was – sogar für eine Kommunalfachtagung oder Akademie!
Statt X für ein U nun ein U für ein E?
Und dann ergriff Tim Renner das Wort. Mit viel Vorschußlorbeer inauguriert, verfällt er sofort in neoliberal-moderne Denkmuster! Er möchte zwischen Underground und Excellenz unterscheiden – das neue U + E in der Kultur. Das sieht nach viel Gremienarbeit aus, nach Besichtigungen, Prüfungskommissionen und Haushaltsausschüssen, in denen man sich ein E für ein U vormacht und umgekehrt!
Das wird nicht nur für Bürokraten-Frohsinn sorgen – weil alle Förderantragsformulare und Richtlinien neu geschrieben werden müssen. Es wird auch viel Streit und Palaver in der Presse geben.
Ob es eine gute Idee ist, wenn sich die Evaluierung als Denkansatz aus der Forschung in die Kunst einschleicht, darf bezweifelt werden! Ob mit heruntergelassener Hose besser gewirtschaftet wird, ist auch eher fraglich. Verschämtes Herumrennen und Exklusivität vertragen sich nicht mit Excellenz. Hier wird schnoddriges Unternehmensberatersprech in Kulturpolitik verpackt – Renners Ton muß eigentlich übel aufstoßen! Durchdacht ist das alles nicht!
Kostenlos-Ökonomie ohne Steueroasen-Backup?
Auch Renners Forderung nach kostenlosen Videostreams von Theaterpremieren hört sich reichlich modern an. Doch so eine Plattform mit Live-Kameras kostet Geld, richtig viel Geld! 8-10 Millionen hat die Deutsche Bank für die Digital Concerthall locker gemacht. Ein Excellenzprojekt von weltweiten Rang. Es kostet Geld – und es ist ein Erfolg, der Medienkonzerne und Senatoren inspirieren kann. Gern auch kostenlos! Aber dann braucht man eine Querfinanzierung durch eine Suchmaschine, oder eine karibische Kultursteueroase, aus der das Geld refinanziert wird. Wir wollen doch nicht erneut Subventionen aufstocken!
Lohnend wäre, wenn Tim Renner einmal bei der Philharmonie nachsucht – so eine digitale Übertragung mitsamt Musik- und Aufführungsrechten zu organisieren, und außerhalb der Philharmonie in Potsdam oder Pankow aufzuspielen. Dann können die wahren Hindernisse der Ökonomie erforscht und entdeckt werden!
Leonie Baumann schließlich erhob eine alte kulturdemokratische Forderung: sie fordert als Rektorin der Kunsthochschule Weißensee und als Sprecherin des Rates für die Künste den freien Eintritt in Museen. Doch weiß Sie, was sie da fordert? Im Museumsverbund Pankow gibt es an 5 Standorten freien Eintritt, aber der Bezirk hat kaum Marketingmittel, um Besucher zu werben. So manche gute bis excellente Ausstellung bleibt ohne großen Zuspruch. Manchmal kommen weniger als 10 Besucher am Tag.
Doch das Potential hat Leonie Baumann richtig erkannt: Berlin bietet ganz viel Kultur unter Dach! Und bei statistisch gesicherten rund 170 Regentagen im Jahr, darf darüber nachgedacht werden, wie man Schwächen in Stärken und in Kulturpolitik verwandeln kann.
Irre Zeiten – irre Synergien – merkantile Kreativität
Haben wir nicht irre Zeiten? Glänzt da nicht schon die Kulturökonomie 4.0, die aus dem Nichts heraus etwas schafft? Können wir nicht auch eine „Kartoffel-Salat-Ökonomie“ für die Freie Szene in Gang setzen? Müssen wir nach 86 Jahren Kunst am Bau für öffentliche Bauten vielleicht auch über eine freiwillige „Konvention für Kunst- und Kultur am und im Bau und in der Stadt“ nachdenken? – Nicht nur nachdenken, sondern umsetzen!
2,3% von allem – nur für Kunst und Kultur – das wäre doch eine gute Startbank! Überdies: als freiwillige Konvention wäre es auch schon zweckmäßig – denn Kunst und Kultur erschaffen Werte – die sich chaotisch monetarisieren.
Natürlich brauchen wir auch noch ein Forschungsprojekt dazu, wie merkantile Kreativität sich von den Niederungen von Prostitution und Wegelagerei, über moderne Förderung und Co-Finanzierung, Fonds und Risikokapital bis hin zur flüchtigen Medien- und Kulturökonomie 4.0 entwickelt. Eine Ökonomie der kreativen Stadt – die doch quasi aus dem Nichts heraus nur mit singulären, irren, kreativen und unmöglichen Ideen Wert, Aufmerksamkeit und Arbeit gebiert. Manchmal auch gute Arbeit!
City Tax – eine Schlafmützensteuer?
Und dann das unvermeidliche Thema: die City-Tax! Diese kulturelle Kleinkrämerei-Steuer. Unglaublich wie die freie Szene selbst in alten Denkmustern befangen ist, um mal 10 Mio. € aus dem Staats-Säckerl herauszuleiern. Die armen Politiker – die sich auch noch auf den Blödsinn einlassen, der in der Idee der City-Steuer steckt. Es ist eine Steuer, die von kreativen Schlafmützen erdacht wurde, und inzwischen mehr Bürokraten und Sekretärinnen, als Künstler und Theatermacher beschäftigt. City Tax – das klingt hoch modern – aber eigentlich gibt es die gar nicht. Es gibt eine Übernachtungssteuer, das ÜnStG hat sogar ein eigenen regionales Finanzamt. Die Freie Szene kann sich gar nicht vorstellen, welche kreativen Tänze und Performances in Hotels und Steuerbüros aufgeführt werden, um die Übernachtungssteuer richtig zu erfassen, zu buchen, oder zu umgehen. Absurdes Theater wird so in Hotels möglich, wenn etwa Hotelservice und Gast darüber streiten, ob auch begleitende Hunde, oder Blindenhunde übernachtungssteuerpflichtig sind. Künstler sollten sich nicht hinter Finanzbeamten verstecken müssen, die das Geld eintreiben – das ist ein entwürdigende Spiel.
Aufruf zum Weiterdenken: Strategien der Berliner Kulturpolitik
Berlin als Kulturstadt und Creative City hat etwas Einzigartiges hervorgebracht! Etwas was nur in kleinen Facetten, aber auch vielen Projekte sichtbar ist. Manchmal sind es nur Phasen, manchmal Spielzeiten – und manchmal sind es wachsende Synergien.
Es sind Ökonomien neuen Typs: ich nenne sie Kulturökonomien 4.0. Erkennbar, wenn aus Handwerk Kunst und hohe Kunst, Virtuosität wird. Wenn Künstler und Compagnien die Stufenleiter des Ruhms erklimmen, wenn ein digitales Echo entsteht, und ein Sturm der Aufmerksamkeit. Interesse, Neugier, Zuneigung, Erlebnishunger, Wissensdurst und kulturelles und gesellschaftliches Leben treiben die Kulturökonomien an!
Um auszutesten, was geht, schlage ich ein Gedanken-Experiment vor: was wäre, wenn wir die City-Tax abschaffen, und eine Regenwettersteuer einführen? Mit Regenschirm! Mit Freitickets für ausgewählte Museen und Kulturorte. Mit regelmässigen Wettbewerben zur Gestaltung von Regenschirmen. Mit Pfand- und Rücknahme-System – und mit regelmässigen Regenschirm-Auktionen?
Was wäre, wenn wir jährlich 5 Mio. Schirme für unsere Gäste und Touristen produzieren? Mit 10 € Verkaufserlös?
Könnten wir das regionalisierte Finanzamt für die Erfassung der Übernachtungssteuer einfach auflösen – und die Versicherung als ganz normale „Pflichtleistung etablieren, die Business-Gästen und Städtetouristen angeboten wird?
Brauchen wir vielleicht eine Agentur, die Performance und Performativität als ökonomisches Phänomen untersucht? Die „Ökonomie des Kartoffelsalats“ ist eine Sospita, ein mächtige Retterin.
Der alte FU-Sonderforschungsbereich „Kultur des Performativen“ sollte wieder aktiviert und neu aufgetunt werden: die Kultur performativer Kulturpolitik muß erforscht und erprobt werden! Wer die phantastischen Möglichkeiten erkennt, wird feststellen, die Kulturszene befindet sich gerade am Morgen eines langen Tages, und ist nur mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden!
Guten Morgen Herr Renner, guten Morgen Herr Stöß!