/// Kommentar: /// Der neue Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD steht. Ein Kompendium von 185 Seiten, mit vielen pragmatischen gemeinsamen Willensbekundungen, parteipolitisch intendierten Eckpunkten – und ohne eine nachhaltige und langfristige Vision, wie der Nutzen zu mehren, wie Wohlstand zu bewahren, und weiterer Schaden vom Volk abzuwenden ist.
Die neue Farbenlehre des Koalitionsvertrag sieht viel Rot, dazu Schwarz und blauweiße Rauten vor. Die Bundesrepublik Deutschland ist mehrheitlich sozialdemokratisch geworden – wenn man die Absichtserklärungen zum Maßstab nimmt.
Doch wer Realpolitik versteht, der kann sagen, die Union hat sich regierungspragmatisch durchgesetzt, und kann nun wichtige Vorhaben unter Finanzierungsvorbehalt stellen, oder auf St. Nimmerlein vertagen.
Ob die abstimmungsberechtigten SPD-Mitglieder beim Mitgliederentscheid am 14. Dezember 2013 für den Koalitionsvertrag stimmen, das ist noch unsicher, denn bei genauer Betrachtung ist der vorliegende Koalitionsvertrag an vielen Stellen nur ein „absichtsvolles Placebo“ für das Wahlvolk.
Erfahrene Politikprofis haben hier einen Koalitionsvertrag geschrieben, der die Welt aus der Sicht der Parteistrategen in Politikbereiche ordnet, programmatische Absichtsbekundungen beschreibt, und Details und Einzelziele sowie konkrete Umsetzungsvorschläge offen lässt.
Visionen, mutige Vorhaben und strukturelle Reformansätze werden bewußt und weitgehend ausgeklammert. Der „Merkelismus“ als Spezialform des „absichtsvollen Pragmatismus“ wird die Politik ausrichten.
Besonders in der Europapolitik hat sich allerdings Kanzlerin Merkel durchgesetzt, und will ihren harten Sparkurs weiter durchsetzen.
Abgehobene Politikperspektive
Interessant ist die „Erzählperspektive“ des Koalitionsvertrags: es wird über die Bürgerinnen und Bürger verhandelt, die Menschen werden nicht als Subjekte angeredet!
Wie aus einem Raumschiff klingt das “ „Wir wollen“ auf „die Menschen im Lande“ herab.
Das „Wir wollen ..“ schwebt deshalb über allen Köpfen der Betroffenen, und erzeugt unwillkürlich Unbehagen bei vielen „Bürgerinnen und Bürgern“.
Das politische Spitzenpersonal von Union und SPD hat parteipolitische Wunschkataloge zusammengeschnürt – ein Gesamtblick auf langfristige Interessen des Landes, der Bürger, und auf wirtschaftlich und strukturelle Reformansätze wurde vermieden.
Machttaktisch ist das klug: was man nicht sieht, kann man später erarbeiten und „entdecken“ – und sich so viel weniger Verantwortung aufladen, und weniger in die Pflicht nehmen lassen.

Fehlender konzeptioneller Ansatz
EU-Währungskrise, EU-Strukturreformen, Finanzkrise, Freihandel, Staatsverschuldung, Überschuldung und Handlungsunfähigkeit von Kommunen, Förderalismusreform, … die lange Kette verschleppter Reformen und ökonomischer Fehlentwicklungen verlangen eigentlich nach strategischen Politikkonzepten.
Den Bürgerinnen und Bürgern wird so eine Orientierung vorenthalten – das Gefühl von Unsicherheit wird damit durch den Politikansatz noch verstärkt. Man kann nur ahnen, wohin die Reise gehen soll … .
Kein Wort auch zu den Folgelasten, die die Verwaltungshaushalte aller Kommunen, Länder und des Bundes bis nach 2050 aufblähen, und wenigstens 6 Bio. € kosten werden. Steuerreformen? Fehlanzeige – obwohl die OECD längst mahnt, die Steuern abzusenken.
Auch beim Klimaschutz wird zurückgesteckt, ohne eine nachhaltiges ökonomisches Konzept. Die Zukunft als Exportnation im globalen Wettbewerb – auch hier sind CDU/CSU und SPD seltsam stumm, obwohl es nicht immer „weiter so“ gehen kann.
Dem Tableau des politischen Führungspersonals in Union und SPD fehlten ganz offensichtlich konzeptionelle Kraft und Mut, sich verantwortlich über den Tag hinaus zu bedenken.
Die bisher in den Koalitionsverhandlungen gezeigte Professionalität bezieht sich vorwiegend auf politische Machterhaltung, Rhetorik für die Medien und auf bunte Politikbausteine für die verschiedenen Klientels.
Bei näherer Betrachtung müssen die Bürgerinnen und Bürger Angst bekommen, denn wichtige Politikversprechen halten einer genauen Prüfung nicht stand.
Mindestlohn
Der Mindestlohn kommt – so war zu hören. Doch nun soll es sich bis 2017 hinziehen können, das ist praktisch Wahlbetrug. Zudem: weder SPD noch CDU/CSU scheinen sich mit den Realitäten befasst zu haben, denn die bereits geltende Mindestlohnlandschaft sieht ganz anders aus.
Nimmt man Preissteigerungsraten zum Maßstab, müßte der heute genannte Mindestlohn von 8,50 € im Jahr 2017 bei rund 10,50 € liegen.
Doch schon heute reichen 8,50 € nicht zum Leben in den teuren Ballungsräumen aus: es kommen nur rund 1008 € netto heraus, und bei monatlich 500 € Miete, plus Fahrtkosten, Strom und Telefon bleiben am Tag weniger als 10 € für den Lebensunterhalt übrig. Für die kleinen und fleissigen Leute bedeutet das eine weitere anhaltende „Dürre-Legislaturperiode“.
Mietpreisbremse
Die „Mietpreisbremse“ ist eine politische „Selbstbetrugsformel“. In Wahrheit werden zwischen „Mindestlohn“ und „Mietpreisbremsanstieg“ immer größere Gruppen von Arbeitnehmern zerrieben, leben in Angst und Schrecken vor dem privaten ökonomischen Zusammenbruch.
Krankheit, Kündigung, Arbeitslosigkeit, Verlust des Partners – und schon geht es „Abwärts“.
Steigende Miet- und Wohnkosten verbreitern stetig den Kreis wirtschaftlicher Betroffener, die zuerst aus „Armut in Arbeit“ in den Kreis „Armut in staatlicher Unterstützung“ und „Armut in staatlicher Vollfürsorge“ abgleiten.
Obdachlosigkeit binnen 3 Monaten – das wird plötzlich in Deutschland zum weit verbreiteten Lebensrisiko, das schon bald auch Kommunen weiter an den Rand der Handlungsfähigkeit drängen wird.
Keine der großen Volksparteien sieht das als Problem – und das ist der eigentliche Skandal!
Renten und Altersarmut
CDU und CSU bekommen die Mütterrente, die ab 1. Juli 2014 eingeführt werden soll. Profitieren sollen „alle Mütter oder Väter“, deren Kinder vor 1992 geboren wurden. Doch die Finanzierung wird in die nächste Generation und auf die Arbeitnehmern verlagert, die künftig steigende Rentenbeiträge für jährlich rund sechs Milliarden Euro zahlen müssen.
Die SPD will wieder den fiktiven Eckrentner fördern, eine Fata Morgana sozialdemokratischer Politik. Die abschlagsfreie Rente ab 63 Jahren nach 45 Beitragsjahren, soll ab dem 1. Juli 2014 wieder eingeführt werden, wobei bis zu 5 Jahre Arbeitslosigkeit toleriert werden sollen. Finanzierung: auch hier offen. Kostenträger: womöglich auch die nächste Generation und ihre Arbeitnehmer.
Die nächste Wohltat: Anhebung der Erwerbsminderungsrente um zwei Jahre auf 62 Jahre zum 1.7.2014. Finanzierung: dito.
Die „solidarische Lebensleistungsrente“ für Geringverdiener in Höhe von bis zu 850 Euro pro Monat ab 2017 ist eine hehre Idee, die jedoch vermutlich in der Höhe eine Fiktion bleiben wird. Bei steigenden Mietkosten muss in Ballungsräumen zusätzlich Wohngeld gezahlt werden, oder ein Zwangsumzug auf das flache Land wird zur Zwangs-Option. 850 € reichen schon heute nicht mehr, und sind weniger, als einem heutigen Asylbewerber inklusive Sachleistungen zugemessen werden.
Hier hat die Koalition offensichtlich fern heutiger Realität Beschlüsse gefasst – ein schlimmer Faux-Pas, der noch teuer zu Buche schlagen wird, weil man der Welle der Altersarmut offensichtlich nichts mehr entgegensetzen will, oder kann.
Die neuen Rentenprojekte sind überdies nicht krisenfest. Schon die nächste Konjunkturkrise kann sich katastrophal auswirken. CDU/CSU und SPD überschulden damit vollends die Generationenbilanz.
Europapolitik
„Damit Europa dauerhaft einen Weg aus der Krise findet, ist ein umfassender politischer Ansatz erforderlich, der Strukturreformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und eine strikte, nachhaltige Haushaltskonsolidierung mit Zukunftsinvestitionen in Wachstum und Beschäftigung in sozial ausgewogener Weise verbindet.“ – so steht es im Koalitionsvertrag.
Eine Formel, die Problembewußtsein erkennen lässt, die aber auch eine gravierende Konzeptionslosigkeit offenbart!
Stattdessen soll die Sparpolitik fortgesetzt werden, die viele EU-Staaten zum Sozialabbau und brutalen Umbau der Gesellschaftsstruktur zwingt, ohne jedoch nachhaltige neue ökonomische Chancen zu entwickeln.
Der Unmut gegenüber den Deutschen in der EU wird wohl weiter wachsen – es fehlt ein europapolitisches Konzept, das Europa nicht immer weiter spaltet und von Innen heraus zerstört.
Der jetzige Koalitionsvertrag wird viele Europäer in Angst versetzen. Es ist geradezu ein Affront, wie Kanzlerin Merkel zu Beginn ihrer dritten Amtszeit Europa auf reine Finanzpolitik reduziert, und damit den europäischen Zusammenhalt menschlich und moralisch beschädigt.
Haushaltspolitik und Länderfinanzausgleich
Der Bundesfinanzminister hat sich durchgesetzt: es soll keine Steuererhöhungen geben. Das ist immerhin ein wichtiger Aktivposten. Die Nettokreditaufnahme soll bis 2015 auf Null zurückgefahren werden, bereits ab 2014 will man strukturell ausgeglichene Haushalte haben.
Doch beim Länderfinanzausgleich und dem Solidarzuschlag ist man ohne Konzept. Hier soll es eine Kommission aus Bund, Ländern und Kommunen richten, und bis Mitte der Legislaturperiode Vorschläge erarbeiten.
Auch das ist am Beginn einer dritten Legislaturperiode einer Kanzlerin eine sehr peinliche Fehlstelle, weil hier zehn Jahre lang tiefgehende Strukturprobleme der Globalisierung auf der Ebene der Kommunen nicht in den Griff bekommen wurden.
Export und Wirtschaftspolitik
Hier haben sich die geplanten Koalitionäre auf einen Kurs den „Weiter-So“ geeinigt, und einigen wichtigen Lobbyisten der alten Industrien im Energiebereich nachgegeben. Es ist die Handschrift der alten NRW-Lobbys, die natürlich auch landespolitische Interessenlagen von Nordrhein-Westfalen widerspiegelt.
Gleichzeitig hat man wichtige Standortfaktoren ausser Acht gelassen: bei Rente und Pflege droht ein kräftiger Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge, die Lohnkosten werden noch teurer, und es wird weniger Netto vom Brutto geben.
Auch wurde nichts getan, um die Rahmenbedingungen für die deutsche Wirtschaft zu verbessern, im Gegenteil. Die Ausweitung der Maut wird auch Exporte und die Kosten mittelständischer Zusammenarbeit verteuern.
Ob der Exportboom anhält, wenn es an Europas Rändern und in Asien kriselt, ist zweifelhaft.
Kein Konzept für den Klimaschutz
Die Koalition wird die Energiewende bremsen. Die Angst vor steigenden Stromkosten treibt die Koalitionäre um. Die Förderung für Sonnen-, Wind- und andere Alternativenergien wird wie geplant abgesenkt. Nicht einmal an die wichtigsten Reparaturbeiten wurde gedacht, wichtige bereits getätigte Investitionen werden dabei im Meer versenkt:
Für jährliche Kosten von 500 Mio. € liegen bereits Stromkabel in der Nordsee, die Ex-Umweltminister Rösler in seiner Amtszeit in Niedersachsen genehmigt hatte, bei denen aber Bundeswirtschaftsminister Rösler keine Offshore-Windkraftanlagen bauen ließ. Dauer-Zahlungen an den Netzbetreiber TENET belasten nun auch in Zukunft den Strompreis.
Weitere rund 200 Mio. € wurden über Jahre für EEG-Vergütungen für Phantomstrom gezahlt, der von Windkraftanlagen in der Nordsee erzeugt wurde, bei denen die Kabelanschlüsse noch fehlten, und bei denen erst 2014 die Umspannstation in Betrieb geht.
Nun sollen Kohle- und Gaskraftwerke werden wieder subventioniert werden. Das von der SPD geforderte Klimaschutzgesetz mit eindeutigen Zielen für die künftige CO2-Reduzierung wird es nicht geben.
SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat selbst dafür gesorgt, und die Lobby der in NRW beheimateten Energiekonzerne befriedigt.
Der Koalitionsvertrag sieht auf einem für die Exportindustrie wichtigen Gebiet eine Abkehr von der Vorbildfunktion vor. Ein Versagen, nicht nur in der Klimapolitik. – Michael Springer
Fortsetzung folgt: „Kein Masterplan – Kein Aufbruch!“