Wir erinnern uns: Das Wort vom „Schwabenhass“ fiel in Prenzlauer Berg im Jahr 2013 zum Höhepunkt der Gentrifizierungsdebatte in Prenzlauer Berg. Das Wort wurde als Graffitispruch auf Fassaden gesprüht. Auf Plakaten und Hauswänden im Prenzlauer Berg waren beispielsweise Slogans wie „Schwaben töten“ zu lesen.
„Schwabenhass“ wurde schließlich zum ironischen Medienphänomen, als das Kollwitzdenkmal mit Spätzle beworfen und dekoriert wurde.
Es war eine Racheaktion, weil zuvor ein Hegel-Denkmal mit Curry-Wurst und Ketchup beschmiert wurde, wenn man den Autoren der eigens eingerichtetet Facebook-Seite FREE SCHWABYLON folgt, die in einen Teil von Prenzlauer Berg in einen autonomem Schwabenkiez einrichten wollten.
Noch weitere Aktionen folgten, so wurde eine „Mauer aus Maultaschen“ um „Schwabylon“ fotografisch in Szene gesetzt. Auch ein Foto machte Furore, in dem Schwaben dazu aufriefen, Schlaglöcher in Prenzlauer Berg einfach mit Maultaschen zu füllen.
Eine Wikipedia-Seite zum Thema „Schwabenhass“ hat die Pressereaktionen gesammelt, das aufgeflammte Phänomen wurde offensichtlich nur als vorübergehendes Phänomen der Mediengesellschaft eingeschätzt.
Schwabenpulver – ein erstes Fragezeichen
Die weiteren Nachforschungen zum Thema „Schwabenhass“ wurden durch eine alte Reklamemarke ausgelöst, die bildhaft im Internet verbreitet wurde: Tanatol „Schwabenpulver“, mit einem Schattenriß einer Küchenschabe. Es war keine Fotomontage, kein „Fake“ – sondern ein ganz reales Abbild aus einer vergangenen Zeit in Berlin.
Das Schwabenpulver deutete auf einen ganz anderen Hintergrund hin: zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Tanatol „Schwabenpulver“ ein haushaltsübliches Gift, das gegen Küchenschaben eingesetzt wurde. Diese wurden aber auch Synonym „Schwaben“ genannt.
Nun wurde es sehr spannend, die Frage drängte sich plötzlich auf: „Woher stammt diese herabwürdigende Wortbildung?“
Es wurde eine überaus spannende Forschungsreise, die über Jahrhunderte zurückführte. Eine Reise, die Hinweise und Indizien emporförderte, die heute eine völlig neue Sicht auf das Phänomen „Schwabenhass“ eröffnen. Es wurde eine Reise in die deutsche Geschichte, die bis zu Karl dem Großen zurückweist.
Zu Konstruktion eines merkwürdigen Ethnophaulismus
Die Stichwortsuche nach dem Wort „Schwabenpulver“ führte bis ins 18. Jahrhundert zurück. Eine kurfürstliche Verordnung von 1794, beschränkte den Gifthandel, weil in München “Schwabenpulver ungescheut in Paketen zu 15 Kr. mittels Anschlag angeboten wurde.”
Das Gift stammte aus dem sächsischen Schneeberg. Hier wurde in einem Bergwerk arsenikhaltiges Mineralgestein emporgefördert. Mit salzsäurehaltigem Wasser ausgekocht und dann mit Schwefelwasserstoff gefällt, wurde daraus Schwefelarsen, das in Pulverform bis ins 20. Jahrhundert zum Standardgift gegen den Vorratsschädling „Blattella germanica“, die deutsche Küchenschabe, eingesetzt wurde.
Weitere Erkenntnisse zum Thema „Schwabenpulver“ wurden in einem ersten Beitrag „Schwabenkäfer in Buttertunke“ vom 9.2.2013 publiziert.
Doch wie konnte die Gleichsetzung von Schwaben und Schaben erklärt werden? Welche sprachliche Erklärung ist für das “ pejorative exonymische Ethnonym“ – eine abwertende Fremdbezeichnung für eine Volksgruppe – zu finden?
Der russisch-jüdische Philosoph Abraham Aron Roback hat für derartige abwertende Bezeichnungen einer Volksgruppe den Begriff „Ethnophaulismus“ geprägt.
Sprachlich ist das Wort „Szwab“ in Polen als Schimpfwort für „Schwabe“ zu finden, wobei dies auch abwertend für „Deutsche“ steht.
Der Ethnophaulismus lässt sich auch in kroatisch als Švabo und und serbisch als Švaba finden. Tschechisch lautet der Begriff skopčák. In der Schweiz taucht wieder das Schimpfwort „Schwabe“ auf.
Die Verwendung der Schimpfwortn deutet auf alte Feindschaften hin, für die es in der deutschen Geschichte viele jahrhundertealte Anlässe gab, die mit Krieg, Eroberung, Zwangsrekrutierung und auch mit Verdrängung zu tun haben, als etwa die Donauschwaben ostwärt zogen und bis auf den Balkan siedelten.
Schaben im Gefolge des Feindes
Die früheste Quelle verweist auf das 13. Jahrhundert, als die Schwaben unter Graf Philipp von Nassau am Ende des Jahrhunderts bei erneuertem Einfall um Leipzig arge Verheerungen anrichteten. “Die schwäbische Waffenehre muß aber vielfach durch das gottlose Treiben der schwäbischen Knechte beeinträchtigt worden sein. Die haben sich nicht immer fromm aufgeführt, denn ein Sprichwort aus der Zeit sagt: „Schwaben und Schaben verderben Land und Gewand” (Wander IV. 406P und Chronicon Lipsiense – Chronik der churfürstlichen-sächsischen Gewerbe- und Handelsstadt Leipzig, 1655, S. 61.).
Die Gleichsetzung von Schwaben und Schaben in diesem volkstümlichen Spruch spielte auf die Eigenheit an, dass Schaben im Gefolge kriegerischer Auseinandersetzungen das Werk des Feindes vollendeten, wenn sie die Kadaver und Leichen vertilgten, und sich danach noch in Häusern und Vorräten ausbreiteten.
Später wurde der Spruch auch zu einem Fluch umgedichtet (M.Johann Jacob Vogeln 1714):
Gott gebe / dass fressen müssen die
/Raben
Alle Schaben und schnöde
Schwaben/
So dem Tuch / Land und Leuten
schaden.
Die im Volksmund über Schwaben verbreiteten Sprichworte sprechen eine deutliche Sprache, die den Schwaben besondere Eigenheiten zuwiesen.
In Sachsens Volkssagen ist eine Begebenheit geschildert, als in den Kriegen Karls des Jüngeren (Sohn von Karl dem Großen) vor Zwickau der Riese „Einheer“ erschien und gegen Schwanhildis kämpfte. Der Riese „Einheer“ stammte aus Thurgau, früher Schwaben genannt (heute Schweiz).
Ein drastische Beschreibung wurde niedergeschrieben: „Er watete über alle Wasser, bedurfte keiner Brücke, zog sein Pferd bei dem Schwanze nach und sagte: „Nun, Gesell, mußt du auch nach!“
„Er mähete die Leute wie Gras nieder, hing sie dann an den Spieß, und trug sie über die Achseln wie Hasen und Füchse. Da er wieder heim kam und seine Gesellen und Nachbarn fragten, was er ausgerichtet hätte, sagte er unmuthig und zornig: „Was soll ich von diesen Fröschlein sagen? Ich trug ihrer sieben oder acht am Spieße über die Achsel; weiß nicht, was sie zucken; ist der Müh nicht werth, daß der Kaiser so viel Vokks wider derlei Kröten und Würmer zusammengebracht.“ – Das muß ein Goliath gewesen seyn!
„Diesen Riesen nennt man Einheer, daß (weil) er sich in Kriegen schier einem Heer vergleicht und alsoviel ausrichtet. Es flohen ihm die Feinde, Winden und Haunen, meinten, es wär der leidige Teufel.“
Die Sage wurde bei den Gebrüdern Jacob und Wilhelm Grimmm aufgeschrieben und weithin im deutschen Sprachraum bekannt.
Was hat Karl den Große mit den Schwaben zu tun?n
Das älteste Zeugnis für eine besondere Rolle der Schwaben im karolingischen Reich findet sich in Lambert’s von Aschaffenburg Annalen zum Jahr 1075, wo es heisst:
„Den Schwaben ist von alten Zeiten her ein eigenthümliches Privilegium durch ein Gesetz übertragen, dass sie bei jeder Expedition eines deutschen Königs dem Heer vorangehen und den Kampf eröffnen dürfen.“
Das Rolandslied von Konrad (um das Jahr 1175) lässt Karl den Grossen von den Schwaben sagen: »Ich will, dass sie vorfechten.«
Nach der Sage wurden den Schwaben das Recht des Vorfechtens von Karl dem Großen an ihren Herzog Gerold verliehen, der in der blutigen Schlacht von Runzefal vor dem Kaiser auf das Knie fiel, und diesen Vorzug, als der Älteste im Heer, verlangte.
Seitdem darf ihnen niemand anderes vorfechten. Andere erzählen es von der Einnahme von Rom, wozu die Schwaben Karl dem Großen tapfer halfen. Noch andere von der Einnahme Mailands, wo der schwäbische Herzog das kaiserliche Banner getragen, und dadurch das Vorrecht erworben.
Gleichlautende Hinweise in deutschen Dichtungen
In der Dichtung weisen der Spruchdichters „Der Stricker“( 1220-1250 ), die „Kaiserchronik“ und „Lohengrin“ auf das Vorrecht der Schwaben hin. Nach der „Kaiserchronik“ aus dem 12. Jahrhundert soll Karl der Große (747–814) dieses Recht seinem Schwager und Heerführer Gerold († 799) und dessen Nachfolgern als Anführer der schwäbischen Teils der Streitkräfte auf alle Zeiten verliehen haben. Als Anlass gilt Gerolds Tapferkeit bei Karls Italienfeldzug 773/774 gegen die Langobarden, wo er zum signifer regis (Fähnrich des Königs) erhoben wurde.
Viel später im Jahr 1396 beriefen sich die Schwaben bei Nikopolus an der untern Donau auf ihr altes Recht des Vorstritts. Ihnen war daher die Reichssturmfahne, ein langgestrecktes, herabflatterndes, goldenes Banner, mit einem einköpfigen, nach seiner rechten Seite schauenden, schwarzen Adler, anvertraut. (Schwabenspiegel aus alter und neuer Zeit, Stuttgart 1870, S. 50.).
Auch die Tapferkeit war eine weithin unbestrittene Eigenschaft der Schwaben (Schwabenspiegel, 15.). Dazu paarte sich die Eigenheit Freiheitsliebe des Schwaben mit altbewährter Tapferkeit, die Ludwig Uhland in der Schwäbischen Kunde so treffend gezeichnet hat.
Die Vorrechte sorgten auch dafür, dass mit den Staufern, und Welfen sowie Hohenzollern und Zähringern vier große deutsche Herrscherhäuser hervorgingen – was bei Unterlegenen deren Familien auch Hass und Neid hervorgerufen haben mag.
Schwabenhass und Schwabenkäfer
Der größte Ausbruch von Hass auf die „Schwaben“ aber ist in den Annalen des Deutsch-Schweizer Krieges, des „Schwabenkrieges“ beschrieben.
König Maximilian liess am 16. Juli 1499 mit wehenden Bannern 2.500 Reiter, darunter der Herzog von Württemberg, 10.000 Fußknechte aus ganz Süddeutschland, verstärkt durch Dänen und Kärntner, Holländer und Ungarn und andere Söldner des Reichsheeres vor Konstanz antreten. Der Heerzug sollte am 22. Juli 1499 über Dornach nach Solothurn führen, und die Schweizer unterwerfen.
Die Führung war sich ihrer Überlegenheit so sicher, dass sie bei ihrem Lager nicht einmal Wachposten aufstellte. Da griffen aus dem Dickicht überraschend Soldaten aus Bern, Zürich und Solothurn an. Für den Schwäbischen Bund kämpften viele Landsknechte ohnehin nur, weil sie gezwungen wurden. Der Kampf dauerte stundenlang – bis am Abend frische Truppen aus der Innerschweiz Schluss machten. Die Todesbilanz: rund 500 Eidgenossen und 3.000 Schwaben. Maximilians Kommandeur Heinrich von Fürstenberg war gleich zu Beginn gefallen. Der König erfuhr im Hauptlager zu Überlingen, dass die Eidgenossen auch den gesamten schwäbischen Tross, die Kriegskasse und alle Geschütze erbeutet hatten.
Die Anthropologin Christine Cooper erforschte an der Universität Bern die Schädel und Gebeine der Toten. Sie fand heraus, dass die meisten Verwundeten nach dem Kampf erschlagen wurden.
Schriftquellen zur Schlacht von Dornach berichten, dass nur die eidgenössischen Gefallenen ordentlich bestattet wurden. Bloß die Anführer der Schwaben wurden quasi als Trophäen in der Kirche von Dornach begraben. Die übrigen Eindringlinge ließ man – trotz Bitten von Angehörigen – an Ort und Stelle verwesen, erst ihre Skelette wurden in Beinhäuser überführt.
Auch wenn noch die letzte Beweisführung anhand von Quellen fehlt, so ist die Hypothese wahrscheinlich, dass der in Dornach zu Tage getretene Hass auf die Schwaben, und die Angst, von Schwabenkäfern gefressen zu werden, eng zusammen hängen.
Weitere Informationen:
Schwabenkäfer in Buttertunke | 9.2.2013 | Pankower Allgemeine Zeitung
Schrippen vs. Wecken | 1.1.2013 | Pankower Allgemeine Zeitung
Willkommen im Suebi-Land | 13.5.2013 | Pankower Allgemeine Zeitung
Literatur:
CLAUSS, MARTIN: Ritter und Raufbolde. Vom Krieg im Mittelalter. Primus Verlag, Darmstadt 2009. 143 S., 16,90 €, ISBN: 978-3896783950
Universität Bern: Researcher Christine Cooper investigates relicts of the Swiss-German battle at Dornach in 1499