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Senioren besetzen ihre Villa

Hausbesetzung Stille Straße 2

Am 29. Juni 2012 um 13 Uhr wurde die beschauliche Ruhe im Pankower Villenviertel am Majakowskiring unterbrochen. Die Senioren-Feizeitstätte in der „Stille Straße 10“ wurde besetzt.

Vor dem Zaun versammelten sich rund 40 streitbare Seniorinnen und einige wenige ältere Herren, um ihre Freizeitstätte gegen Sparbeschlüsse zu verteidigen. Die Besetzung war gut geplant, ein RBB-Fernsehteam und die Presse waren aufgefahren. Die Mobilisierung erfolgte mit der Bitte, „nicht das Bezirksamt vorab zu informieren“.

Sprecherin der Senioren ist die 72jährige Doris Syrbe, Vorsitzende der Seniorenfreizeitstätte. Den versammelten Pressevertretern gab sie entschlossen kund: „Wir werden dieses Haus im Laufe des Nachmittags besetzen.“

Hausbesetzung Stille Straße 2
Hausbesetzung Stille Straße 2

Die Seniorenfreizeitstätte sollte nach dem Willen des Bezirksamtes Pankow am 30.6.2012 ihre Tür für die rund 300 Mitglieder des Seniorenclubs für immer schließen. Grund der Schließung sind Sparbeschlüsse der Bezirksverordnetenversammlung Pankow vom 14. März 2012. Diese betreffen alle Etats.

Die Sozialstadträtin des Bezirks, Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD), hat die Seniorenfreizeitsätte vor allem wegen nötiger Sanierungs- und Instandhaltungskosten in Höhe von gechätzten 1,1 Mio. – auf die Streichliste gesetzt. Das Gebäude ist nicht barrierefrei – und liegt auch in einen Gebiet, das auch scheinbar gut mit Freizeit- und Senioreneinrichtungen versorgt ist.

Hauseingang Stille Straße 2
Die Freizeitstätte ist nicht barrierefrei und muss saniert werden.

Neben Spiel- und Freizeitaktivitäten werden hier Gymnastik- und Wandergruppen, Englisch- und Französischunterricht angeboten. Die Organisation ist ehrenamtlich. Für den Unterhalt stellt der Bezirk jährlich jedoch bisher rund 50.000 Euro jährlich zur Verfügung – die ebenfalls eingespart werden sollen. Die Bezirksverordnetenversammlung hatte beschlossen, das Gebäude aus Kostengründen an den Liegenschaftsfonds abzugegeben.

Doch die Mitglieder lieben ihren „Klub“, den es nun schon seit über 15 Jahren gibt, der für die 60 bis 90 Jahre alten Mitglieder eine enge nachbarschaftlichen Gemeinschaft herstellt.

40 Seniorinnen im sommerlicher Freizeitkleidung entfalteten kurz nach 13 Uhr vor dem Zaun ein hellblaues Banner „DIESES HAUS IST BESETZT“ und riefen „Wir bleiben hier! Wir bleiben hier!“

Der Widerstand ist verständlich, weil die Absicht, die Mitglieder auf andere Einrichtungen zu verteilen, eine lang bewährte Gemeinschaft zerreissen würde. Auch wäre es schwer, sich in kleinen Gruppen in anderen Einrichtungen einzufinden, weil es dort bereits feste Raum- und Zeitpläne anderer Gruppen gibt, in die man sich völlig neu einfügen müsste. Organisierte Freizeit – statt freie Zeitgestaltung in der Stillen Straße schreckt die Senioren ab.

Im Gespräch wird vor allem angeführt, „es gehe nicht nur einzelnen Gruppen, die hier täglich im Haus Platz finden!“ Vielmehr sind über viele Jahre hier Freundschaften, gemeinsame Erlebnisse und Zusammenhänge gewachsen, die für Viele „Alleinstehende“ schicksalhafte Bedeutung haben:

„Wenn wir die die Gemeinschaft nicht mehr haben, werden wir krank.“ Ein älterer Herr nickt unds sagt sarkastisch: „Danach kommt der Friedhof.“

Hinterseite Stille Straße 2
Idyllischer Garten an der Hinterseite des Hauses

Die Senioren wollen nun erstmals in ihrem Leben eine Hausbesetzung organisieren. Ein Umzugswagen bringt erste Betten, Matrazen und Bettzeug und einen großen Teddy, der wohl etwas Nestwärme verbreiten soll – und auch Sinn für Ironie und Humor erkennen lässt.

Wegen der bevorstehenden Strapazen und Aufregungen haben einige wegen ihres hohen Alters Vorkehrungen getroffen, und sich gesundheitlich beim Arzt untersuchen lassen. Sogar eine 89-jährigen will mitmachen – und wird nun wohl Berlins älteste Hausbesetzerin werden.
In der nächsten Zeit wird die Hausbesetzung in Wechselschicht organisiert – das Haus soll rund um die Uhr bewacht werden.

Die Klubvorsitzende Doris Syrbe ist noch unschlüssig, wie lange die Besetzung dauern wird, aber sie gibt sich kämpferisch: „… solche Dinge dauern manchmal etwas Zeit. Wir bleiben in jedem Fall so lange bis der Bagger kommt.“

Das Bezirksamt Pankow wurde von der Aktion überrascht. Baustadtrat Jens-Holger Kirchner war abends im TV-Interwiew zumindest zu der Aussage bereit, „dass man eine Lösung finden muß!“

m/s