Mittwoch, 24. April 2024
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Staatsversagen – Politik- und Organisationsversagen am BER

BER aus der Vogelperspektive Foto: Günter Wicker/ Flughafen Berlin-Brandenburg

/// Kommentar /// – Der BER-Untersuchungsausschuß hat gestern seinen Abschlußbericht vorgelegt. Nach dreieinhalb Jahren, 64 Sitzungen und 70 Zeugen liegen nun rund 1.269 Seiten auf dem Tisch. Doch der Bericht krankt an fehlender Ehrlichkeit und am Versuch, persönliche Verantwortung kleinzureden. Der Mehrheitsbericht leistet insofern keine Aufklärung, sondern versucht sogar eine Vertuschung und Verzerrung der Wirklichkeit.

BER aus der Vogelperspektive Foto: Günter Wicker/ Flughafen Berlin-Brandenburg
BER aus der Vogelperspektive – Foto: Günter Wicker/ Flughafen Berlin-Brandenburg

Auch die Parlamentarier im Untersuchungsausschuß sind nach 64 Sitzungen noch nicht am Ende angelangt! – Weil sie sich zwar akribisch durch die Akten- und Krisenlage durchgearbeitet haben, aber weil sie noch nicht am Anfang begonnen haben, wo „Verantwortung, Übertragungspflichten“ und Haftung und die Grundkonstellation einer „überforderten GmbH“ aufgelegt wurden.

Niemand darf sich von diesen völlig lächerlichen Wertungen im Abschlußbericht vom „kollektiven Wirklichkeitsverlust“ abspeisen täuschen lassen! Auch die Abgeordneten im Untersuchungsausschus müssen sich fragen lassen, ob sie schon das wahre Ausmaß des Desasters erkannt haben! – Es geht um Fragen der Gewaltenteilung und um Haushaltsrecht bei Großprojekten.

Eine konstruierte Misere

Die Misere am BER fing nicht mit den Bauproblemen an, nicht mit den ungeplanten Problemen und Verzögerungen, sondern mit der Konstruktion des „Gesellschaftervertrages der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH in der Fassung vom 17. November 2011 (Flughafenvertrag).“

Hier haben drei Gesellschafter ein hoch umstrittenes Flughafenprojekt auf den Weg zu bringen versucht, und das für einen ordentlichen Geschäftsbetrieb notwendige System von „Checks- and Balances“ in der Führungs- und Geschäftsführungsebene auf raffinierte Weise umgangen. Mehrere Kardinalfehler wurden in das Großprojekt „eingebaut“.

Kardinalfehler 1: Finanzverfassung von Bund, Land Brandenburg und Land Berlin ausgehebelt

In § 16 des Flughafenvertrages steht: „Dem Bund und den Ländern stehen die Rechte aus § 53 Haushaltsgrundsätzegesetz zu. Der Bundesrechnungshof und die Landesrechnungshöfe haben die Befugnisse nach § 54 Haushaltsgrundsätzegesetz.“

Der Fehler wird auch von Abgeordneten in Beteiligungsausschüssen der Parlamente und im Abgeordnetenhaus überlesen; denn der Passus bedeutet in Verbindung mit § 44 HGrG, dass die Prüfungsrechte der zuständigen Rechnungshöfe

– Bundesrechnungshof
– Berliner Rechnungshof
– Landesrechnungshof Brandenburg

von Beginn an beschränkt wurden, auf die zuständigen Dienststellen von Bundesverwaltung bzw. Landesverwaltungen in den Finanzministerien. Klaus-Richard Grün, alias „Finanzrevisor Pfiffig“ weist darauf hin: „Nicht das Unternehmen selbst also – hier die Flughafen Berlin / Brandenburg GmbH – sondern lediglich diejenigen Bundes- bzw Landesbehörden, welche die jeweiligen Beteiligungen verwalten – unterliegen der Prüfung.
„Das Unternehmen ist nur insoweit berührt, dass es vorwiegend Auskünfte zu erteilen hat. Die eigentliche, dringend erforderlichen Kontrollen u.a. der Rechnungen und der Vergaben von Bauleistungen sowie Lieferungen und Leistungen durch die zuständigen Rechnungshöfe selbst wurde damit bereits bei Abschluss des Gesellschaftsvertrages ausgeschlossen. Das ist der eigentliche Skandal.“

Schaut man in die Verfassung von Berlin – Abschnitt VIII: Das Finanzwesen Artikel 85 – bis 95, so stellt sich die haushaltsrechtliche Sonderstellung der drei Gesellschafter als verfassungswidrig dar, weil praktisch alle parlamentarischen Haushaltsrechte außer Kraft gesetzt wurden, die ohne Kontrolle eines Rechnungshofes obsolet sind.

Da auch Bund und Land Brandenburg hier beteiligt sind, hat diese grundsätzliche verfassungs- und finanzpolitische Bedeutung für ganz Deutschland, weil hier Bundestagsabgeordnete, Landtagsabgeordnete und Berliner Abgeordnete jahrelang den Konflikt der fehlenden Gewaltenteilung übersehen haben, und auch nach 64 Sitzungen des Untersuchungsausschuß nicht auf den Punkt gekommen sind.

flughafen BER aus der Luft - Foto: 9/2013 Günter Wicker / Flughafen Berlin Brandenburg GmbH
flughafen BER aus der Luft – Foto: 9/2013 Günter Wicker / Flughafen Berlin Brandenburg GmbH

Kardinalfehler 2: Politischer Aufsichtsrat wacht über überforderte Geschäftsführer

Die Bestellung des Aufsichtsrates mit 15 Mitgliedern nach §8 (1-7) genügt normalerweise allen Anforderungen bei einer Drittelbeteiligungsgesellschaft. Doch hier sitzen Politiker mit Richtlinienkompetenz und politische Wahlbeamte, die innerhalb der Beteiligungsgesellschaft auch „wirtschaftliche Weisungskompetenz“ aufweisen, auch wenn das nicht explizit ausgesprochen ist.
Jeder Aufsichtsratsbeschluß hat wirtschaftliche Konsequenzen – und insbesondere der regierende Ministerpräsident des Landes Brandenburg und der Regierende Bürgermeister von Berlin üben zugleich die Weisungshoheit über die eigenen „prüfenden Finanzbehörden“ aus. Das ist verfassungspolitisch jenseits von Gut und Böse, weil hier Regierung, wirtschaftliches Handeln und Kontrolle praktisch ohne Gewaltenteilung ausgeübt werden.
Die Flughagengesellschaft FBB ist damit als „Beteiligungsgesellschaft“ der „Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland“ entzogen. Klaus Wowereit und Mathias Platzeck haben damit als Aufsichtsräte die Flughafengesellschaft im Stil einer „SPD-Kreisleitung“ an den Parlamenten und Kommunen vorbei regiert.
Angesichts hervorragender Referenzen der ehemaligen Geschäftsführer Klaus Schwarz und Manfred Körtgen konnte der Aufsichtsrat sich auch lange in „Machbarkeitswahn“ und „Allmacht“ sicher wiegen, sodass eine organisatorische Überlastung und Verantwortungsüberlastung der Geschäftsführung quasi unbemerkt innerhalb der Struktur der FBB mbH angelegt wurde.
Flughafengeschäftsführer Schwarz war für Flugbetrieb (incl. Tegel) und ein Großbauprojekt verantwortlich, bei dem der technische Geschäftsführer Körtgen angesichts der Komplexität und Zeitpläne kapazitiv überfordert war. Körtgen, der sogar noch Zeit für eine Doktorarbeit über Projektmanagement fand, mußte erleben, dass sein hochdifferenziertes IT-System nicht krisenfest war, weil es durch mehr als 500 Planänderungen und entsprechenden Nachträgen und Unteraufträgen „geflutet“ wurde.
Die notwendige Struktur für eine Trennung von Planung, Ausführung, Controlling und Überwachung wurde nicht in der Bauherren-Funktion abgebildet – sondern auf Generalplaner, Projektsteuerer und Fachbüros „outgeourct“, was nur dann eine gute Praxis ist, wenn der Bauherr in seiner Bauherreneigenschaft auch die täglich erzeugte Informationsmenge noch überblicken kann.

Kardinalfehler 3: Politische Kompetenz – gepaart mit fehlender Vorstellungskraft und Expertise

Zwei sozialdemokratisch regierte Bundesländer, Aufsichtsratsmehrheit in der FBB, zwei sozialdemokratischen Regierungsopberhäupter – aber keine angemessene fachliche, städtebauliche und landesplanerische Expertise und Vorstellungskraft im Aufsichtsrat. In der Folge gab es auch kein angemessenes der Größe angemessenes Konzept für einen Großflughafen-Bau.
Hat man schon bei der Entscheidung zwischen Generalübernehmer-Vertrag und direkter Bauvergabe im Sinne mittelständischer Bauwirtschaft das Vorhaben BER sträflich unterschätzt, so wurde es nach rund 500 Planänderungen vollends in Chaos und „baubegleitende Projektierung“ und „architecture without architects“ hineingetrieben.
Hätte auch nur ein Fünkchen Bauherren-Expertise bestanden, so hätte man auch niemals dem Generaplaner mit seinen zeitweise bis zu 300 Mitarbeitern kündigen dürfen, um all das in den Köpfen schlummernde Detail- und Projektwissen zu entsorgen.

Vor allem aber gab es kein landesplanerisches Konzept, um Grundstücksentwicklung und Städtebau rund um den Großflughafen und in den umliegenden Kommunen „gewinnbringend“ zu entwickeln. Eine regionale Planungsgemeinschaft, Veränderungssperren, Entwicklungspläne, Ansiedlungspläne für luftfahrtaffine Branchen, und Umsiedlung un Entschädigung von Lärmbetroffenen wurden nur „defensiv“ reguliert. Mit hunderten Millionen völlig falsch ausgegebener Steuergelder, die nun im Lärmschutz von Altbauen – statt in Zukunft und Steuereinnahmen investiert werden.
Noch niemals in der jüngeren deutschen Geschichte haben gleich zwei sozialdemokratische Regierungen so katastrophal versagt!

Kardinalfehler 4: Fehlender Bauherr und ersatzweise bestellte Manager

Mit der Berufung von Hartmut Mehdorn wurde ein fähiger Manager berufen, doch mit Management lassen sich keine hoch komplexen Bau- und Technik-Probleme lösen, für die man Fachplaner, Berechnungsingenieure, Programmierer und Haus- und Brandschutztechniker benötigt.
Der Hinauswurf von Fachfirmen und Fachwissen hat sich als wohl schlimmstes Menetekel der unzureichenden Projektkonstellationen erweisen. Dazu kommen Selbstüberschätzung und Inkompetenz der Aufsichtsräte, denen das Vorhaben praktisch bis heute entglitten ist.

Fortsetzung folgt

Lesen Sie demnächst den zweiten Teil des Beitrags:

u.a. mit:
Kardinalfehler 5: Fehlende Wahrnehmung von Aufsichtsratspflichten bei einer GmbH

Kardinalfehler 6: Haftung, Verantwortung, Übertragungspflicht und Versagen