Montag, 07. Oktober 2024
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Träumen vom Meer

Figure a Sea - Cullberg Ballet / Deborah Hay © Foto: Urban Jörén

/// Kulturkritik /// – Wie geflügelte Wesen aus einer anderen Welt schwebten Tänzer auf der Bühne, das Publikum trat in den Bühnensaal, langsam füllten sich die Sitzreihen. Die Vorstellung hatte noch nicht begonnen. Dennoch zogen einzelne Tänzer scheinbar in sich selbst versunken Kreise auf der weiträumigen Bühnenfläche. Mit Leichtigkeit und Eleganz ihrer Bewegungen entfaltete sich eine große Bewegungsvielfalt. Immer wieder ersonnen sie neue und ungewohnte Bewegungsmuster, die sich scheinbar zufällig aneinander reihten. Der große Saal der Berliner Festspiele füllte sich bis auf wenige frei gebliebene Plätze.

Erwartungsvolle Gesichter wandten sich zur Bühne und beobachteten das Vorspiel. Als die Theaterklingel Laut gab, hatten sich die siebzehn Tänzer und Tänzerinnen des Cullberg Balletts sich vollständig eingefunden. Nach und nach hatten sich alle dem scheinbar noch belanglosen Treiben auf der Bühne angeschlossen.

Stille im Raum ließ das Tapsen ihrer nackten Füße hörbar werden. Dumpfe Schläge auf den Boden wechselten sich mit Quietschtönen ab, die durch die energische Bewegungen der Tänzer ausgelöst wurden. Stille machte ihre Gegenwart und ihre Handlungen noch präsenter und fokussierte die Konzentration der Zuschauer; Spannung und Imagination bauten sich auf.

Plötzlich leuchtete die Bühne in weißem Licht auf. Hinter dem chaotischen Treiben erschien eine hell angestrahlte Fläche wie ein aufgehender Sommertag in den Tropen. Unaufhörlich und ohne Unterbrechung ging das Treiben auf der Bühne weiter.

Die Tänzer waren durch Kleidung in drei Gruppen eingeteilt, blau wie das Meer nur in verschiedenen Nuancen. Die eine Gruppe trug gefleckte Hemden, die zweite Gruppe meerblaue Hosen, die dritte Gruppe war in Dunkelblau gehüllt wie die Tiefsee. Hin und wieder schienen diese Gruppen zusammen zu driften und kleine Schollen zu bilden, dann wieder verloren sie sich und tauchten in die Gesamtheit des Spiels ein. Ganz nach ihrem Naturell und Temperament waren ihre Bewegungen stürmisch und kraftvoll, zart und gleitend, oder spritzig und schnell.

Hin und wieder ertönte auch eine sanfte sphärenhafte Musik, die nach einer Weile untertauchte und verloren ging.

Unaufhörlich ging das Bewegungsspiel auf der Bühne weiter. Von Zeit zu Zeit stellte sich eine annähernde Synchronität der Bewegungen ein, dann wieder verlief sich alles im Chaos. Irgendwann sah man nicht mehr die Individuen, die sich auf der Bühne regten, man schaute auf die große weiße Fläche und ließ das Geschehen an sich vorbei ziehen. Ein unsichtbares Tuch lag über den Tänzern, es hebte und senkte sich, wurde mal aufgewühlt, schwebte und gleitete, und manchmal zischte eine Fontaine nach oben.

„Figure a Sea“ – „Stell Dir das Meer vor“ – Das Stück von Debora Hay setzt diese Idee in ihrer Choreografie um. Wenn wir in das Stück eintauchen, können wir nach einer Weile das Meer vor unserem inneren Auge sehen.

Die Performance zeigt das Maß unserer Vorstellungskraft und vielleicht eine Sehnsucht, die in den Menschen steckt. Eine Sehnsucht nach Freiheit, Losgelöstheit und Frieden.

Gleichwohl zeigt das Stück, dass dieses Ziel auch in einer überbevölkerten Gesellschaft erreicht werden kann.
Wenn wir uns wie das Meer auf die wechelvollen Gegenbenheiten des Lebens mit ganzer Leidenschaft und Energie einlassen, können wir einfach mitschwimmen und die große Harmonie des Meeres erleben.

Debora Hay, herausragende Choreografin der Gegenwart und Komponistin Laurie Anderson realisierten gemeinsam mit Lichtdesignerin Minna Tiikkainen dieses traumhafte Stück.

„Figure a Sea“ wird von 18 Tänzern und Tänzerinnen des Cullberg Balletts aufgeführt. Die 1967 von Birgit Cullberg unter der Schirmherschaft von Riksteatern – The Swedisch National Touring Theatre gegründete Kompagnie ist für ihre starke Bühnenpräsenz und technische Perfektion weltweit bekannt.

Ein glanzvoller Tanzabend wurde zu einem Höhepunkt des Festivals „Tanz im August“ – das Publikum applaudierte begeistert.

Weitere Informationen:

www.cullbergbaletten.se