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auf der Kippe steht!

Warum TTIP
auf der Kippe steht!

TTIP "nfairhandelbar" am 22.5.2014

Die Proteste gegen das geplante Freihandelsabkommen (TTIP) mit den USA und das parallel dazu verhandelte Freihandelsabkommen mit Canada (CETA) zeigen Wirkung. Grundsätzliche Bedenken gegen die in geheimen Verhandlungen geplante Ausgestaltung der Abkommen, rücken nun immer mehr in den Mittelpunkt des öffentlichen und politischen Interesses.

TTIP "nfairhandelbar" am 22.5.2014
TTIP „nfairhandelbar“ am 22.5.2014: Übergabe an Martin Schulz (SPD) – Foto: Umweltinstitut München e.V.

Erster Höhepunkt im EU-Wahlkampf

Nachdem das geheime TTIP-Abkommen im Frühjahr 2014 „geleakt“ wurde und in die Öffentlichkeit gelangte, entbrannte eine heftige politische Auseinandersetzung um die Frage, ob wirtschaftliche Zukunftsfragen in Hinterzimmern und im Geheimen behandelt werden dürfen.

Einen ersten Höhepunkt erreichten die Proteste im Europawahlskampf im Frühsommer. Noch im Europawahlkampf hatte am 22.5. Mai das Umweltinstitut München e.V. zusammen mit dem Bündnis „ttip unfairhandelbar“ knapp 715.000 Unterschriften an EU-Spitzenkandidaten der großen Parteien übergeben. Pünktlich vor den Europawahlen wurden diese so daran erinnert, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht einverstanden sind mit den derzeitigen Verhandlungen über die Freihandelsabkommen TTIP und CETA.

EU-weite Bürgerinitiative (EBI) gegen TTIP

Inzwischen hat sich auch eine EU-weite Bürgerinitiative (EBI) gegen das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP gewendet („Transatlantic Trade and Investment Partnership“).
Vor allem die Interventionen des Deutschen Kulturrats entfalteten viel Gewicht, weil der Kulturrat über hohen Sachverstand und viele prominente Unterstützer aus Kultur, Medien und Kreativ- und Kulturwirtschaft bauen kann, und auch die Kulturpolitik in Kommunen und Länder als Unterstützung hat.
Die Verhandlungen zwischen USA und EU-Kommission geraten damit weiter unter Druck.

Ablehnung des CETA – Freihandelsabkommens mit Kanada

Am 26. Juli wurde bekannt, dass auch die Bundesregierung den Entwurf des CETA-Freihandelsabkommens mit Kanada ablehnt. Bedenken hatten sich vor allem deshalb gegen CETA gerichtet, weil hier praktisch Vorentscheidungen für das TTIP-Abkommen mit den USA für den nordamerikanischen Markt und für den sogenannten Investorenschutz in der EU enthalten sind.
CETA übernimmt damit eine Pionierfunktion und gilt als Vorlage fiir eine neue Form von Freihandelsabkommen zwischen Staaten oder Staatengemeinschaften.

Die seit 2009 begonnenen Verhandlungen zwischen Europäischer Union (EU) und Kanada für das Freihandels- und Investitionsabkommen (Comprehensive Economic and Trade Agreement – CETA) haben damit einen entscheidenden Rückschlag erlitten.

Steckbrief: CETA – die Blaupause für internationale Konzerne

Ursprünglich sollte CETA ein reines Handelsabkommen werden, doch im September 2011 erweiterte der Europäische Rat das Mandat der EU-Kommission um ein Investitionskapitel. Obwohl EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso und der kanadische Premier Stephen Harper im Oktober 2013 zu einer politischen Einigung gekommen sind, wurden noch immer weitere technische Details der umfangreichen Vertragstexte verhandelt.

Besonderes Merkmal dieser neuen Generation von Freihandelsabkommen ist die „tiefe“ Integration, die weit über die Vorgaben der Welthandelsorganisation WTO hinausgeht. Dadurch werden erstmalig Bereiche von einem Freihandelsabkommen berührt, die bisher
nur auf nationalstaatlicher, oder in diesem Fall EU-Ebene reguliert wurden. Betroffen sind zum Beispiel Verbraucher-‚ Umwelt- und Landwirtschaftsstandards.

Ähnlich wie beim medienwirksameren Abkommen der EU mit den USA, dem TTIP, ist nur der grobe Verhandlungsablauf bekannt, jedoch bleiben die Verhandlungen vollkommen intransparent. Freiwillig veröffentlichte Mandate oder Vertragstextentwürfe gibt es nicht, lediglich mehrere geleakte Dokumente haben es der Öffentlichkeit ermöglicht, einen Einblick in die verhandelten Inhalte zu bekom-
men. Die Verhandlungen auf EU-Seite werden von der Generaldirektion Handel und auf kanadischer Seite vom Handelsministerium geführt.

Die Sprecherin der EU-Koordination des Deutschen Naturschutzrings (DNR), Lavinia Roveran schrieb dazu:

„Rechtsgrundlage für die Verhandlung und den Abschluss von Handelsabkommen mit Drittstaaten sind Artikel 207 AEUV sowie Artikel 216 (1) AEUV. Handelsabkommen – oder völkerrechtliche Abkommen im Allgemeinen – der Union haben Vorrang vor dem Sekundärrecht der EU, also Verordnungen tmd Richtlinien. Das Primärrecht, also die EU-Verträge, haben wiederum Vorrang vor derartigen Abkommen. Die Union hat die exklusive Kompetenz im Bereich Handelspolitik. Es ist bisher noch unklar, ob es sich bei CETA um ein gemischtes oder ein reines Handelsabkommen handeln wird — das kommt ganz auf den endgültigen Inhalt an. Ein gemischtes Abkommen ist gegeben, wenn der Vertragstext sowohl ausschließliche Zuständigkeiten der EU als auch exklusive Kompetenzen der EU-Mitgliedstaaten berührt. Dann würde eine Abstimmung sowohl auf EU- als auch auf Ebene der Mitgliedstaaten erfolgen und die Zustimmung der nationalen Parlamente der EU wäre erforderlich (in Deutschland Bundestag und Bundesrat). Der Juristische Dienst des Rates sieht das geplante Abkommen als gemischt an.“

Die EU-Kommission will erst eine Entscheidung treffen wenn auch der juristische Dienst der Kommission eine Einschätzung dazu abgegeben hat.

Geplante CETA Vertragsinhalte

Lavinia Roveran (DNR) hat einen CETA-Steckbrief veröffentlicht, in dem die geplanten Vertragsinhalte beschrieben sind.

Strittig sind insbesondere die Regelungen zum sog. Investorenschutz, die im Falle von Gesetzesänderungen eine Möglichkeit zur „Investor-Staat-Klagen“ vor internationalen Schiedsgreichten einräumen wollen. Das sog. Investor-State-Dispute Settlement ISDS würde faktisch auf eine Entmachtung staatlicher Autorität auslaufen, weil hier ganz erhebliche finanzielle Risiken drohen.

Ein ganzes Kapitel befasst sich auch mit Erdöl, das aus kanadischen Teersanden gewonnen werden, die zu großen Umweltzerstörungen und großen CO2-Emissionen führen.

Strittig ist auch das Kapitel „Öffentliche Beschaffung“, weil hier insbesondere Kanada auf „Buy Local“ Initiativen beharrt, während die EU eine weitgehende Liberalisierung des Beschaffungswesens verfolgt.

Daneben gibt es die bei Handelsabkommen üblichen Streitpunkte um die Geltung regionaler Herkunftsangaben und die Kataloge sog. „öffentlicher Dienstleistungen“, die nicht dem üblichen Wettbewerb unterliegen. Anders als bisher mit dem „Positivlistenansatz des WTO-GATS Abkommens, soll bei CETA erstmals eine Negativliste vereinbart werden (World Trade Organisation: General Agreement on Tarrifs and Services).
Das Abweichen von bisherigen internationalen Vertragsstandards WTO-GATS ist in letzter Konsequenz auch ein Versuch, CETA nach dem Transaktionsmustern transnationaler Konzerne zu ordnen, und nationalstaatliche und politisch regulierte Handlungsbereiche weiter einzuengen.

Konzernsteuer-Oasen: Bedenken aus der Medienwirtschaft

Aus einer ganz anderen Ecke wurden Bedenken gegen die TTIP-Verhandlung laut. Auf dem 3-Sat-Gremientreffen am 26.-27.Juni 2014 äußerte sich Dr. Gottfried Langenstein in einem umfassenden Vortrag zum Thema „DIGITALE WELT – AUSWIRKUNGEN AUF KUNST, KULTUR UND WIRTSCHAFT“.

Langenstein warnte insbesondere vor den unterschiedlichen Dimensionen zwischen dem kleinteiligen Europa und den Big Playern in USA:
„Die mächtigsten Unternehmen des digitalen Markts sind alle an der amerikanischen Ostküste beheimatet, in einer relativ kleinen Region zwischen San Francisco und Seattle, im Norden Californiens und im benachbarten Bundesstaat Washington. Microsoft in Redmond, Ebay in San Jose, Amazon in Seattle, Google in Mountain View, Facebook in Menlo Park“.

„Nimmt man nur diese 5 Unternehmen, haben sie zusammen einen Börsenwert von 1.036 Mrd. US-$. Ihr jährlicher Umsatz beträgt 231 Mrd. US-$. Europa hat keine vergleichbaren digitalen Unternehmen aufzuweisen“.

Langenstein warnte nachdrücklich vor einem Freihandelsabkommen mit den USA:

„Das größte Problem der digitalen Welt ist die Zersetzung der Gemeinwesen durch Steuervermeidung digitaler, globaler Konzerne.
Der Schaden, der den Europäischen Gemeinwesen durch Steuervermeidung zugefügt wird, wird von der EU-Kommission mit 1,3 Billionen €, d. h. 1.300 Mrd. € beziffert. Daran haben die digitalen internationalen Großkonzerne inzwischen einen immer größeren Anteil.
Die Methoden sind einfach und sind unter den Namen „Double Irish“ oder „Dutch Sandwich“ bekannt. Das digitale Unternehmen führt seine Gewinne in Irland oder den Niederlanden zusammen. Dort erhält es eine Rechnung von einem Büro auf den Bahamas, das für die Nutzung des Unternehmensnamens eine Rechnung in Höhe von 95 % des angefallenen Gewinns stellt. Der verbleibende Rest wird dann in Europa versteuert. Die auf den Bahamas eingegangenen Beträge für Royality-Fees bleiben unversteuert. Die Briefkastenfirma vor Ort wird nur mit einer kleinen Pauschalsteuer belastet.“

Die europäischen Staatenlenker sind nun gewarnt – und müssen aufpassen, vor dem Freihandel die internationalen „Freibeuter“ in der Karibik zu bändigen, die die nationalen Steuerquellen umgehen, und mit den steuerfreien Profiten Zukunft und Zukunftsbranchen aufkaufen!

Weitere Informationen:

Deutscher Kulturrat: Stopp für das Freihandelsabkommen – 1.7.2014 – Pankower Allgemeine Zeitung

DNR – EU Koordination: www.eu-koordination.de

Im März 2014 gelangte der bislang streng geheim gehaltene Entwurf des Freihandelsabkommens zwischen den USA und Europa erstmals an die Öffentlichkeit. Er ist inzwischen auch offiziell über folgende Web-Adresse abrufbar:
http://www.bilaterals.org/IMG/pdf/eu-kommission-position-in-den.pdf