Mittwoch, 04. Dezember 2024
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Weiße Schrankwand für die „Gute Stube“?

Pocketpark Florastraße 87

Die Möbel sind schon seit 2005 da: Sessel, Sofa, Bett, Hocker, Lampe, Ohrensessel. Das Kunstwerk von Christine Gersch & Igor Jerschov in der Florastraße 87 hat einen gemütlichen Treffpunkt im Florakiez geschaffen. Nun soll unmittelbar daneben ein Wohnhaus gebaut werden, Ärger zieht im Florakiez herauf.

Pocketpark Florastraße 87
Pocketpark Florastraße 87 – Kunst im Stadtraum von Christine Gersch & Igor Jerschow

Die gute Stube

„Leichtigkeit ab 2 Tonnen“ – unter diesem Motto schufen die beiden Künstler eine beschwingte Großplastik, die einen brach liegenden Winkel in der Florastraße in einen „Westentaschenpark“, neudeutsch „Pocketpark“ verwandelten. Die übergroßen Mosaikmöbel haben einen massiven Betonkern, und stehen doch scheinbar ganz leicht und ungezwungen da.

Blickt man genauer hin, sind es nicht nur Möbel, auch Steinverzierungen im Boden markieren einen Grundriß und Wände einer alten Gründerzeitwohnung. Selbst der Vorgarten ist wieder an alter Stelle markiert.

Der Grundriss eines zerstörten ehemaligen Gründerzeithauses mit Schlaf- und Wohnzimmer, Küche, Flur und schmalem Gärtchen wurde nachempfunden und mit Betonmöbeln mit Mosaikoberflächen gestaltet.
Der Pocketpark wurde nach alten Unterlagen von 1895 rekonstruiert. Die Fläche ist etwa mit einem Quadrat vergleichbar, das noch einmal in vier Quadrate geteilt ist. Die zwei Quadrate sind Schlafzimmer und Wohnstube. Die anderen zwei Quadrate sind Küche und Flur. Vor Schlaf- und Wohnstube befindet sich rechts und links je ein kleines, schmales Gärtchen mit einem kleinem schützenden Metallzaun, in dessen Mitte sich der rampenähnliche Zugang zur Haustür befindet.

Im Blindenführer für Berlin ist der Pocketpark gut beschrieben:

„Beim Öffnen einer imaginären Haustür steht man sofort im Wohnzimmer, beziehungsweise in der „guten Stube“. Rechter Hand findet sich eine im Biedermeierstil gestaltete Sitzgruppe, bestehend aus Couch und zwei Sesseln mit Tisch, auf dem ein Mensch-ärgere-Dich-Brettchen abgebildet ist. Linker Hand findet sich eine auf dem Boden markierte Tür, die in das Schlafzimmer führt. Ein Bett in der „kleinen Stube“ lädt zum Verweilen ein. Das Kopfkissen ist eingedellt, die mit weißen Rosen gestaltete Bettdecke aufgeschlagen.“
„Von der imaginären Haustür aus betrachtet, gelangt man mit wenigen Schritten geradeaus in den Flur. Im Flur stehen ein gewaltiger Ohrensessel und eine Stehlampe. Offensichtlich für wartende Gäste. Die „Tür“ links vom Flur führt in die Küche mit einer kleinen Essgruppe, auf deren Tisch ein Schachbrett installiert ist.“

Preisgekrönte Gestaltung

Christine Gersch & Igor Jerschov arbeiten schon über zwanzig Jahre zusammen, damals im Jahr 2005 bekamen sie den Gustav-Meyer-Sonderpreis für die außergewöhnliche Gestaltung einer Grünanlage.

Die massiven Mosaik-Sitzmöbel sind zu einem Wahrzeichen für den Florakiez geworden, denn sie sind nicht nur zum Sitzen da, sondern auch zum Treffen, zum Fotografieren und zum Spielen.
Manche Kinder bringen sogar Schachfiguten und andere Brettspiele mit. An lauschigen Abenden ist der Pocketpark auch kaum zu verfehlender „Single-Treff“.

Das „gemütliche “ Kunstwerk wird auch „Gute Stube“ genannt, und prägt mit seinem Flair den Florakiez.

Über die Künstler

Das Künstlerpaar Christine Gersch und Igor Jerschov arbeitet schon seit Ende 1999 zusammen, und hat sich auf Großplastiken im öffentlichen Raum spezialisiert. Gersch hat an der Kunsthochschule Berlin eine klassische Ausbildung als Bildhauerin absolviert. Ihr aus Moskau stammenden der Partner Jerschov kam auf Umwegen und durch das gemeinsame Leben und Arbeiten zur Kunst. Beide entwickelten eine gemeinsame künstlerische Sprache, eine in der Kunst und Bildhauerei sehr seltene Beziehung entstand. Inzwischen haben beide eine lange Spur realisierter Projekte hinter sich gelassen, die weit über die Berliner Region hinaus bekannt geworden sind.

Weiße Villa

Neben dem Pocketpark steht in unmittelbarer Nachbarschaft die Weiße Villa. Sie steht etwas abseits vom ehemaligen „Communikationsweg“, ein ehemaliger Feldweg mit mehreren Gärtnereien zwischen dem westlichen und östlichen Pankow, der vom Kommissionsrat Lachmann befestigt wurde. Die befestigte Straße erhielt den Namen der Blumengöttin. Ab 1892 wurde die Florastraße mit Gründerzeithäusern bebaut. Das Haus der Nummer 87 wurde im Weltkrieg zerstört und lebt nun als Spur im Kunstwerk weiter.

Die Weiße Villa ist ein Zeugnis aus der Gründerzeit, das aufgrund seiner kontinuierlichen Nutzung nie als Problemfall betrachtet wurde. Und so wurde es praktisch in der Denkmalliste „vergessen“ und steht heute schutzlos im Baugebiet, das nach §34 Bauordnung „ortsüblich“ bebaut werden kann.

Die 12. Aufhebungsverordnung (12. Aufhebungs-VO) im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin Nr. 11 vom 27.04.2011 hob auch das Sanierungsgebiet in Alt-Pankow auf, und so sind Bauabsichten heute leicht durchsetzbar.

Bauabsichten an der Florastraße 86

Die weiße Villa hat eine eigenttümliche Geschichte, weil der Bezirk im Rahmen der Stadterneuerung hier eigentlich einen Spielplatz anlegen wollte. Auch ein Ankauf der Weißen Villa wurde verhandelt. Doch der Besitzer weigerte sich – und so entstand der kleine Pocketpark quasi als „schöne Notlösung.“
Aus dem Garten der Villa wurde ohne Baugenehmigung eine Parkplatz mit Zuwegung, und so konnte der Immobilienbesitzer sein Objekt über lange Jahre gut an Firmen vermieten. Doch inzwischen steht die Villa zum Verkauf, eine Baugemeinschaft möchte das Grundstück entwickeln, die und alte Villa abreißen.

„Baugruppe im Florakiez sucht Mitstreiter (Grundstückskauf + Planungsbeginn Jan 2014) – noch 10 Wohnungen frei – Budget 3.000,- Euro/qm“ – so steht das „Projekt“ im Wohnportal:

„Die GbR Flora 86 hat sich im August 2014 mit 6 Mitgliedern gegründet. Ziel ist es das Grundstück in der Florastr. 86 in Berlin Pankow zu kaufen und zu bebauen. Der Grundstückskauf soll Ende Oktober 14 erfolgen. Es werden noch 12 weitere Mitglieder zum Grundstückskauf gesucht.“
Rund 18-20 Wohnungen sind geplant. Auf der Reservierungsliste sind schon 8 Wohnungen vergeben, wobei es für die Dachgeschosse und einige Obergeschoßwohnungen schon mehrere Nachrücker gibt.

Das von Praeger Richter Architekten geplante Wohnhaus legt sich wie ein Keil in die Freifläche zwischen Pocketpark und Görschstraße, und stört ganz empfindlich den Stadtgrundriß.

Entwurf: Baugruppe Florastr. 86
Entwurf: Baugruppe Florastr. 86 – Praeger Richter Architekten – Screenshot www.wohnportal-berlin.de

Anwohnerinitiative formiert sich

Eine Anwohnerinitiative hat sich längst formiert. Ein Treffen im „JUP – Unabhängiges Jugendzentrum Pankow e.V“ Anfang November brachte rund 60 Bürgerinnen und Bürger zusammen, und vereint vor allem die unmittelbaren Nachbarn im Florakiez.
Die Entwertung des Pocketparks wird befürchtet, auf Facebook sprechen einzelne Kiezbewohner auch von einer „Umwandlung in einen Graubeton-Kiez“.

Ein Fragenkatalog an Baustadtrat Jens-Holger Kirchner brachte zumindest Klarheit darüber, dass derzeit wenig Anlaß zur Hoffnung besteht, einen Neubau grundsätzlich zu verhindern.

Doch Baustadtrat Kirchner muß sich in der Angelegenheit bedeckt halten. Solange weder Bauvoranfrage oder ein Bauantrag vorliegen ist es nicht ratsam, öffentlich Position zu beziehen. Sobald so ein Papier vorliegt, tickt die genehmigungsrechtliche Uhr im elektronischen System des Bauamtes. Bauvoranfrage oder Bauantrag müssen dann fristgerecht beantwortet, oder abgelehnt werden.

Städtebaulich ist das Projekt auf höchste Grundstücksausnutzung ausgelegt. Die im Florakiez bestehenden Parkplatzprobleme werden noch verschärft. Ob das Baugruppenprojekt nach §34 BauGB „ortsüblich“ ist, kann mit guten Gründen hinterfragt werden. In der Florastraße knickt der Baukörper aus der Straßenflucht ab. Aus Sicht der Görschstraße entspricht es einer „Hinterhofbebauung“.
Die „Ortsüblichkeit“ kann städtebaulich in Frage gestellt werden, die bauliche Ausnutzung ist womöglich zu hoch.

Ob eine Baugruppe auf diesem städtebaulichen Filetgrundstück letzlich zum Zuge kommt, darf angesichts des hohen geforderten Kaufpreises von ca. 1,6 Mio. € für das Gesamt-Grundstück bezweifelt werden. In jedem Fall müssen sich Projektentwickler und Architekten auf Gegenwind aus dem Florakiez einstellen.

Die „weiße Schrankwand“ hinter der „Guten Stube“ wird wohl noch auf sich warten lassen!

Weitere Informationen:

Wohnportal Berlin – Baugruppenprojekt Florastraße 86

Berlin für Blinde – www.berlinfuerblinde.de

m/s