In der 40. ordentlichen Tagung der Bezirksverordnetenversammlung Pankow von Berlin am 1.6.2016 wurde auch eine Vorlage des Bezirksamtes zur Kenntnisnahme vorgelegt, die den Fortgang des Vorhabens am Pankower Tor betrifft (Drucksache-Nr.: VII-0965). Demnach scheint am Pankower Tor alles seinen geplanten Gang zu gehen.
Das bisher als Bahngelände ausgewiesene Nutzung soll mit einer Änderung des Berliner Flächennutzungsplans umgewidmet werden. Die vom Investor gewünschten Standorte für ein Einkaufszentrum, zwei Möbelfachmärkte und Wohnungen – sowie zwei Schulstandorte treffen auf Zustimmung des Senates und des Bezirk:
„Ziel und Zweck der Planung ist weiterhin, die geordnete städtebauliche Entwicklung der Flächen des ehemaligen Güterbahnhofs Pankow planungsrechtlich zu ermöglichen sowie die damit verbundenen städtebaulichen Konflikte zu lösen. Die Krieger Grundstücks GmbH (KGG) hat ein neues Konzept der Flächenaufteilung auf dem Gelände vorgelegt, das sowohl beim Bezirk als auch bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Zustimmung gefunden hat. Es sieht vor, das Einkaufszentrum am S- und U-Bahnhof Pankow, in der Mitte des Geländes die Wohnbaufläche und an der Autobahn die Fachmärkte zu verorten.“
Doch die geplante bauliche Entwicklung wird durch übergeordnete Risiken in Frage gestellt.
Neue Unwägbarkeiten sind im Anmarsch
Das geplante Vorhaben wird durch die Auswirkungen des VW-Abgas-Skandals eingeholt, der sich inzwischen als Stickoxid-Risiko aller modernen Dieselfahrzeuge entpuppt hat. Das Problem: die Stickoxid-Werte Luft sind auf Dauer zu hoch. Standorte mit sehr hohen Stickoxid-Belastungen kommen nicht mehr als Schulstandorte in Frage. Und mögliche Fahrverbote für Dieselautos in Innenstädten sorgen bereits für große Aufregung in der Politik und Logistik-Branche. Die Belieferung von geplanten Möbelhäusern könnte plötzlich zum unlösbaren Problem werden. Viele Kunden müssten ihre Diesel-PKW außerhalb von Umweltzonen abstellen.
Der Hintergrund: die EU-Kommission hat vor einem Jahr ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland in Gang gesetzt, das den Gesetzgeber zu neuen Maßnahmen zur Lufreinhaltung veranlaßt. Insbesondere Stickoxide und Feinstaub sind für Grenzwertüberschreitungen verantwortlich.
Schon vor einigen Wochen hatte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) den Vorschlag einer blauen Plakette für Autos mit geringem Schadstoffausstoß ins Gespräch gebracht und damit eine kontroverse Diskussion ausgelöst. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hat sich ebenso wie SPD-Verkehrsexperte Sören Bartol gegen eine solche Plakette ausgesprochen, für die sich mehrere Länderumweltminister starkgemacht hatten.
Was fordert die blaue Plakette?
Die „blaue Plakette“ sollen Dieselfahrzeuge mit der Abgasnorm Euro 6, alle Elektro-Autos und Benzinfahrzeuge mit mindestens der Abgasnorm Euro 3 erhalten.
Dieselfahrzeuge mit Euro 4 oder Euro 5-Norm, dürften dann nicht mehr auf bestimmten Straßen oder durch bestimmte Innenstädte fahren, ebenso Benziner mit Euro 1 oder 2. Die Abgasnorm die ein Fahrzeug erfüllt, ist Punkt 14 im Fahrzeugschein vermerkt.
Umweltorganisationen wie der ökologische Verkehrsclub VCD und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) wollen künftig auch per Klage Maßnahmen zur Luftreinhaltung durchsetzen. „Wir gehen fest davon aus, dass wir in absehbarer Zeit Fahrverbote in deutschen Großstädten erleben“, sagte der DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch. Ein realistischer Zeitraum ist sogar vom Jahr 2017 an denkbar.
In Bayern bereitet sich die Staatsregierung auf Grundlage eines Abschlussberichts der Arbeitsgruppe „Dieseltechnologie und Schadstoffemissionen“ bereits in einigen Städte auf Notfallplanungen und Ausnahmeregelungen vor, um das „gesellschaftliche Leben“ aufrechtzuerhalten, sobald Fahrverbote für ältere Dieselautos beschlossen werden.
Befürworter einer Weiterentwicklung der Umweltzonen durch eine blaue Plakette verweisen auf ein Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs. Gegner bringen die Praxisferne einer blauen Plakette ins Spiel, da voraussichtlich nur solche Dieselfahrzeuge berücksichtigt würden, die der jüngsten Abgasverordnung Euro 6 entsprechen. Allerdings wurden noch bis September 2015 Fahrzeuge mit der alten Euro-5-Norm zugelassen. Die Fahrer dieser Autos nun auszusperren und auf öffentliche Verkehrsmittel zu verweisen ließe den Verkehr zusammenbrechen.
Politische Planungen für Schulstandorte werden obsolet
Die bisherige Absicht des Bezirks Pankow, zwei neue Schulstandorte im Zuge des Vorhabens am Pankower Tor zu realisieren, werden durch die übergeordnete Entwicklung in Frage gestellt. Insbesondere der Standort einer Gemeinschaftsschule nordöstlich des Bf. Heinersdorf mit einer Kapazität von 1.200 Schülerinnen und Schüler ist gefährdet, weil bis weit in die nächste Dekade mit stark erhöhten Luftbelastungen durch Dieselfahrzeugen und LKW-Verkehr zu rechnen ist.
Schon heute ist fraglich, ob eine Schule überhaupt in einer Grundstückslage genehmigungsfähig ist, die in der Haupt-Abwindfahne des Autobahnzubringers liegt. Eine Vollklimatisierung einer derart großen Schule ist auf Dauer kaum zumutbar.
Negative Erfahrungen von alten West-Berliner Oberstufenzentren mit innenliegenden und klimatisierten Klassenräumen sind heute nur noch wenigen bekannt: die Schulen wurden fast alle abgerissen, wobei vor allem die Klimaanlagen (und Asbest) zum Risiko wurden.
Da Schulpflicht besteht, ist der öffentliche Betreiber auch in besonderer Weise gefordert, künftig „gesunde Lebens- und Arbeitsbedingungen“ für die Schüler entsprechend dem BauGB sicher zu stellen.
Die nach einer Inbetriebnahme des Großflughafens BER zu erwartende Verkehrsverlagerung auf den „Innenstadtring“ und den Bereich zwischen A 114 und A 100 wird zu erheblichen Staugefahren und Abgas- und Feinstaub-Emissionen führen.
Städtebaulicher Vertrag mit dem Investor schon planreif?
Der bisherige Fahrplan sah vor, noch im Sommer 2016 zu einem Ergebnis zu kommen:
„Als nächste Schritte sind der Abschluss eines abgestimmten Rahmenvertrages zur stufenweisen Entwicklung des Gebiets zwischen Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, dem Bezirksamt Pankow und Herrn Krieger sowie die Beauftragung eines städtebaulichen Projektmanagers vorgesehen. Ziel der Beauftragung ist es, u. a. einen mit allen Beteiligten abgestimmten Rahmenplan zu entwickeln.“
Ob sich dabei die im Beschluss VII-0617 enthaltenen Positionen und Rahmenbedingungen ohne Einschränkungen in allen bezirklichen Planwerken und dafür notwendigen Planungsschritten wiederfinden können, dürfte heute bereits fraglich sein. Mindestens ein Schulstandort dürfte obsolet werden.
Wie künftige Regelungen für Dieselfahrzeuge und Ausnahmeregelungen für LKW aussehen werden, ist heute noch unbekannt. Der Berliner Senat ist auf das Szenario nicht vorbereitet.
Die bisher auf dem Gelände des ehemaligen Rangier- und Güterbahnhofs Pankow geplanten, hin- und her geschobenen Nutzungen sind bisher vorwiegend aus „politischen Bedarfs-Logiken“ entwickelt worden. Das Gesamtvorhaben weist so inzwischen auch beachtliche Investitionsrisiken für den Investor auf, der auf LKW-Logistik und freie Zufahrt von Kunden angewiesen ist.
Städteplanerisch haben sich die Bezirksverordneten auch in Bezug auf den ehemaligen Rundlokschuppen keine vernünftige Konzeption gemacht: Das Baudenkmal soll aus dem „Pflichtportfolio“ des Investors in eine unbestimmte soziokulturelle Nutzung überführt werden, und wird möglicherweise als Baulast an die öffentliche Hand „verschenkt“, ohne Aussicht auf nachhaltigen wirtschaftlichen Betrieb.
Wie unzulänglich die Pankower Politik und der Senat das überaus schwierige und bedeutsame Vorhaben behandeln, wird aus der Absicht deutlich, das Vorhaben einem „städtebaulichen Projektmanager“ zu übergeben. Elementare städtebauliche Konflikte sind noch nicht gelöst!
Das Pankower Jahrhundertbauvorhabens ist vier Jahre nach dem Start des Werkstattverfahrens noch immer nicht in den Händen eines „städtebaulichen Generalplaners und Architekten“, der städtebauliche Mißstände im Ansatz vermeidet. Das Vorhaben ist weder richtig vermessen, noch baureif geplant!
Das Gesamtvorhaben Pankower Tor ist in Gefahr! Die Schildbürger könnten noch durch „Pankower Toren“ getoppt werden!