Freitag, 19. April 2024
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Allein in der Waschmaschine

Bundeskanzleramt in Berlin

// Kommentar // Dr. Angela Merkel wurde mit eindrucksvoller Mehrheit zur Kanzlerin wiedergewählt, die CDU hat sich nach dem Wahlergebnis von 41,5 % als Volkspartei zurückgemeldet. Doch es reicht nicht für eine absolute Mehrheit. Es steht die schwierige Aufgabe einer Mehrheitsbildung und Koalitionsbildung an. Es wird das übliche Procedere erwartet: Personaldiskussionen, Programmdiskussionen – Aufnahme von Koalitionsverhandlungen.

Bundeskanzleramt in Berlin
Bundeskanzleramt in Berlin

Doch die Bundesrepublik Deutschland hat mit dieser Wahl eine historische Zäsur erlebt. Es kann nicht wie üblich einfach auf Koalitionsverhandlungen hingearbeitet werden. Sowohl Kanzlerin und die Union, als auch Rot-Grün stehen vor einer grundlegenden Überprüfung ihrer politischen Programme und Vorhaben.

Ist man wirklich auf der Höhe der Zeit? Hat man den globalen Wettbewerb richtig begriffen, wenn China plötzlich weltweit Ackerland aufkauft?
Hat man die NSA-Affäre schon verstanden, und will trotzdem mit den USA Freihandel treiben und frisch und mutig über ein Freihandelsabkommen verhandeln?

Kann man die EU beisammen halten, oder wachsen die Fliehkräfte – was fatal wäre? Ist man im Innovationswettbewerb Exportweltmeister und Dauersieger? Oder sind wir schon die Ausbildungs- und Experimentier-Werkstatt Asiens, die nur noch Pilotserien und Kopiervorlagen baut?

Wollen wir die Sozialkosten, Steuern und Abgaben im Griff behalten, oder wollen wir in Gang gesetzte Teufelskreise und soziale Hypotheken vergrößern?

Wären Bürgerarbeit und Bürgergeld vernünftiger, als Hartz-4 und Dauerarmut für Kinder und Familien?

Kanzlerin im Zugzwang

Kanzlerin Angela Merkel und die Union stehen nun vor der Aufgabe, dem Land zu sagen, wohin die Reise gehen soll. Das was sie sagen werden, muss eine neue Aufbruchstimmung erzeugen, sonst fällt die Kanzlerinnen-Mehrheit wie ein Souflée inn wenigen Monaten in sich zusammen.

Kanzlerin Merkel ist plötzlich allein in der Waschmaschine – und es gibt noch kein Waschprogramm! Weder die Waschdauer, noch die Wassertemperatur, noch Wasserhärte sind bekannt. Auch fehlt die Wahl der geeigneten Waschmittel. Allein Weichspüler ist nicht genug! Es ist noch unbekannt, welche Wäschstücke zuerst hinein sollen – und über Trocknung, Bügeln und Legen kommt man erst viel später zueinander.

Auch die Opposition muß neu ansetzen

Schlimmer noch kommt es für die Opposition: SPD und Bündnis 90/Grüne müssen zuerst ihr rot-grünes Projekt überprüfen – und es wäre auch besser, es nun zu den Akten legen. Mehrere Aspekte sprechen dafür:
Die Hartz-4 Reformen sind bei den Langzeitarbeitslosen praktisch gescheitert, ein mitfühlender Ausweg aus der Not wird inzwischen administrativ versperrt. Es droht ein unendlicher sozialer und finanzieller Regreß.

Bei der Energiewende zahlen heute Kommunen per Wohn- und Energiekostenzuschuß für Hartz-4-Empfänger die Stromeinspeisevergütungen für „Solarstrom-Investoren“ und „Windkraft-Investoren“. Wie eine soziale und nachhaltige Energiewende aussehnen kann, das sind nicht nur SPD und Grüne, sondern auch CDU/CSU schuldig geblieben, die bislang nur auf die Steuereinnahmen der „Green Investments“ schauen.

Herausforderung für die Union

Die Union steht nun vor einer großen Aufgabe:

Sie ist keine klassische intellektuelle Programmpartei, und hat sich bislang durch die Lobby-Partei FDP Einzel-Themen aufzwingen lassen müssen. Ein politisches Programm aus einem Guß wird deshalb schwer vermißt.

Zudem: es müssen eine ganze Reihe von teuren Baustellen schleunigst aufgeräumt werden. Die Windparke in der Nordsee müssen einen Stromanschluß erhalten, und die bereits verlegten Stromkabel müssen neue Windparke vor die Anschlußdose gestellt bekommen – schon gibt es etwa 1 Milliarde Kosteneinsparung bei der Energiewende.

Eine Politik der Euro-Rettung, die zuerst Banken rettet, dann Kapitalflucht in den Krisenländern schürt – und danach unseren Wohnungsmarkt in einen Anlegermarkt umwandelt, ist auch kein gutes Konzept.

Steigende Arbeitskosten, Anpassung der Mindestlöhne und steigende Energiekosten – bei weiter hohen Abgabenbelastungen: auch das ist kein nachhaltiges Konzept für den globalen Wettbewerb.

Eine ungesteuerte Zuwanderung, die Wohnungsnot in Ballungsräumen verstärkt, und höhere Subventionen und immer mehr Sozialhilfen einfordert – auch das ist kein gutes Rezept.

Steigende Verwaltungshaushalte und steigende Pensionen des öffentlichen Dienste drohen zudem die öffentlichen Haushalte auszubluten – handlungsunfähige Kommunen und Kreise sind auch kein guter Weg.

Es gibt noch viele hundert Baustellen, an denen nachgedacht, gerechnet und konzeptionell gearbeitet werden muß, bevor Aktionsprogramme aufgelegt werden können.

Wir haben für all das nicht unendlich Zeit, aber angemessene Zeit sollte dafür eingeräumt werden.

Die SPD wartet ab

Die SPD hat sich vorerst für das Abwarten entschieden. Noch baut sie auf ihr umfangreich modernisiertes Parteiprogramm. Das unmittelbare Streben in eine Koalitionsrunde wäre kontraproduktiv – es wäre auch unklug, jetzt Personal- und Diadochenkämpfe entstehen zu lassen.

Auch die SPD tut gut daran, über ihr gewachsenes Grundkonzept nachzudenken. Die Gretchenfrage für die SPD: geht auch ein effizienter Staat, der mit „weniger Geld“ auskommt? Geht auch mehr Freiheit – und weniger Betreuung? Geht Bildung auch genauso effektiv, wie in anderen OECD-Ländern?

Alternde Gesellschaft als Herausforderung

Die größte Herausforderung ist die schnell alternde Gesellschaft, die in allen betroffenen Politikfeldern Auswirkungen zeitigen wird. Wenn Politik hier falsch ansetzt, werden die Wohlstandgewinne der heutigen Generation bis 2030 völlig verspielt.
Einmal, weil immer höher Abgabenlasten drohen – zum Anderen, weil Industrie und Arbeit in Deutschland immer weniger wettbewerbsfähig werden.
Dazu steht die Lebensqualität der Älteren und Hochbetagten auf dem Spiel. Eine reine ökonomisierte Alterspflege wäre geeignet, Angst und Schrecken zu verbreiten – zumal die Zahl der RentnerInnen mit Klein- und Grundrenten noch massiv anwächst.

Wohnungsbaupolitik als Herausforderung

Es ist keine gute Idee, Investoren mit Mietwohnungsbau zu betrauen, wenn diese anschliessend pro Sozialmieter ad Infinitum Wohnkostenzuschüsse bekommen, in 15 Jahren rund 50.000 €. Eine Idee und ein tragendes Konzept für einen sozialen Wohnungsbau und angemessene Wohneigentumsförderung wird dringend gesucht.

Es wäre keine gute Idee, die Armen und Schwachen, die Kranken und Pflegebedürftigen und die Geringverdiener in jene ländlichen Regionen umzusiedeln, in denen heute über 1 Mio. Wohnungen leerstehen.
Es wäre auch keine gute Idee, Wohnungsbau in boomenden Ballungsräumen zu subventionieren – und gleichzeitig ganze Landstriche in eine passive Sanierung zu entlassen.
Das ganze Land muss „bedacht“ werden und im Verfassungsrahmen der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ ein zukunftsweisendes Gesamtkonzept bekommen, das Disparitäten beseitigt, und Chancen zur Erneuerung beinhaltet.

Aufbau West und Solidarzuschlag

Wer einmal am Aufbau-Ost teilgenommen hat, und heute mit dem ICE von Ostdeutschland nach NRW fährt, bekommt an manchen Orten ein „Dejá Vu“!

Wir brauchen heute auch einen nachhaltigen „Aufbau West“ der in den alten Industrie-Regionen neu ansetzt.

Es ist eine Herausforderung, wie einst im Freistaat Bayern, als der damalige Ministerpräsident F.J. Strauß gegen den Widerstand des Bundes ein Dutzend Fachhochschulstandorte einforderte und finanzierte.
Es war die gewaltigste und effektivste Zukunftsinvestition, die je in einem einzelnen Bundesland zustande kam, die den Grundstein für die Verbindung „High-Tech & Lederhose“ schuf.

Umbau Ost und Solidarzuschlag

Wir brauchen aber auch einen Umbau-Ost, denn heute stehen ganze Stadtteile und noch nicht bezahlte Infrastruktur leer. In der Uckermark siedeln Zuwanderer an, die auch neue Beispiele setzen – wie Zuwanderung und Integration durch sofortige Arbeitserlaubnis und Eigenleistung gelingen können.

Der Aufbau-Ost in vielen Teilen gelungen – aber auch in manchen Teilen nachhaltig schief gelaufen.

Die strategische Entscheidung, 5 Bundesländer wiederzuerrichten und diese Länder zusätzlich zur Hauptstadt Berlin zu schaffen, hat eine große Fehlsteuerung in Gang gesetzt:

5 Ministerpräsidenten und 1 Regierender Bürgermeister regieren mit ihren Verwaltungsapparaten ein viel zu kleines Gebiet im Osten – mit rund 8,7 Mio. Haushalten. Im Vergleich dazu: in NRW haben wir ca. 8,6 Mio. Haushalte und nur 1 Ministerpräsidentin.

Die Folge: auf dem viel zu kleinem Gebiet wurde ein Standortwettbewerb entfacht, der zu gewaltigen Fehlinvestitionen geführt hat und Investitions-Ruinen hinterlassen hat. Daneben wurden viel zu dichte Verwaltungsstrukturen aufgebaut. Manche neugebauten Arbeits- und Finanzämter standen schon nach wenigen Jahren wieder leer, währen die Kommunalkredite noch weitere 20 Jahre laufen.

In Ostdeutschland werden die älter werdenden Verwaltungsmitarbeiter irgendwann in Rente gehen – doch sie werden auch hier eine teure Folgelast hinterlassen: Renten und Pensionen – statt Innovationen.

Es wäre daher auch an der Zeit, über eine Neugliederung der Bundesländer nachzudenken. Eine Konversion von Verwaltungsbauten zu Fachinstituten und Fachhochschulen, könnte einen ähnlichen Prozeß in Gang setzen, wie vor rund 40 Jahren im Freistaat Bayern.

Das Verschwinden der FDP

Die FDP hat als politische Kraft auch unter Philip Rösler versagt, weil sie nur durch kleine und feine Lobbys gesteuert wird.
Zu Zeiten der Minister Genscher, Scheel und Baum hatte sie noch Kompetenz und politischen Anspruch, der sie zu einer Volkspartei hätte werden lassen können.

Heute ist die Partei als Lobby-Organ und zu letzt auch handwerklich völlig in Mißkredit geraten. Die FDP als kaltherzige Funktion-Partei und als politisches Prinzip sollte nun untergehen. Der Mantel der Geschichte sollte sich über die schrille, blaugelbe Farbe des „elitären Wirtschaftsliberalismus“ legen.

Deutschland braucht in der Tat einen verantwortungsvollen, sozialen Liberalismus – und der ist nur mit einem völligen Neuanfang zu haben!

Kanzlerin allein in der Waschmaschine

Kanzlerin Merkel ist allein im Kanzleramt. Sie hat nun alle Chancen und muß sie alle nutzen! Man spürt es bereits in ihrem Gesicht: es ist eine Riesenlast! Und sie muss nun aufpassen, sich nicht zu übernehmen.
Die nächsten Wochen werden daher spannend – und riesige Erwartungen werden sich aufbauen.

Vielleicht braucht die Kanzlerin auch eine „Erleuchtung“, auch „Ideen“. Manchmal gibt es auch Zeichen und Wunder – und vielleicht leuchtet ihr auch bald ein neues „sozial-liberales Lichtlein“ ins Amt hinein! m/s

m/s

One thought on “Allein in der Waschmaschine

  1. Hallo Michael Springer,

    Ein sehr ambitionierter Beitrag, Respekt. Manchmal ist weniger mehr und die eine oder andere Stellschraube könnte man anders stellen. Egal, weil gegen den üblichen Politbrei. Mich interessiert eigentlich nur, wer umfällt, die SPD oder die Grünen. Ich habe da eine Vermutung.

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