Die Bundestagsabgeordnete Kerstin Andrea (Bündnis 90/Die Grünen) hat Anfang Januar ein Mindesthonorar für Selbstständige gefordert und damit eine neue Thematik in der Abeitsmarktpolitik eröffnet. Das Mindesthonorar für Selbständige soll – analog zum Mindestlohn gelten, und eine zeitgemäße Antwort auf die Digitalisierung der Arbeitswelt geben. Die Initiative sieht vor, Betriebe an den Kosten für deren Renten- und Krankenversicherung beteiligen, um Umgehungstatbestände auszuschließen.
Andrae fordert, den Wandel am Arbeitsmarkt so zu gestalten, dass Selbständige nicht zu Verlierern der digitalen Revolution werden. Andraer: „Dazu brauchen wir ein neues Tarifvertragsgesetz, das Mindestarbeitsbedingungen und faire Honorare für Selbständige miteinbezieht.“
Andreae hat gemeinsam mit ihren Fraktionskolleginnen Beate Müller-Gemmeke MdB, Sprecherin für ArbeitnehmerInnenrechte und Brigitte Pothmer MdB, Sprecherin für Arbeitsmarktpolitik ein Papier zum Thema „Digitalisierung gestalten“ verfaßt, in dem die Forderungen konkretisiert werden.
Die Forderung: es ist an der Zeit, selbständige Tätigkeiten von abhängiger Beschäftigung abzugrenzen, heißt es darin. Immer mehr Leute arbeiteten formal selbständig auf Basis von Dienst- oder Werkverträgen. In manchen Fällen gehe es nur um Scheinselbständigkeit. Missbrauch müsse verhindert werden.
Die Autorinnen verweisen auf eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, wonach 2012 fast ein Drittel der 2,5 Millionen Soloselbstständigen weniger als 8,50 Euro die Stunde verdient habe. Das wäre weniger als der 2015 eingeführte gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro.
Mindesthonorar für Selbständige – „Analog zu Mindestlöhnen“
Wie beim Mindestlohn soll nach den Vorstellungen der Grünen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikerinnen das Mindesthonorar für Selbständige von Gewerkschaften und Arbeitgebern vereinbart werden. Deren Verbände seien „gleichermaßen gefordert, Mindestarbeitsbedingungen und Honorare für Selbständige in ihre Tarifabschlüsse einzubeziehen“, heißt es in dem Papier. „Analog zu Mindestlöhnen, die nur abhängig Beschäftigten zustehen, wollen wir auch branchenspezifische Mindesthonorare ermöglichen.“ Das Tarifvertragsgesetz solle überarbeitet und zudem geprüft werden, „inwieweit ein allgemeingültiges Mindesthonorar notwendig und praktikabel ist“.
Die Arbeitgeber sollten für Selbständige in die Sozialkassen einzahlen. Auch Selbständige müssten von ihrem Verdienst leben und sich gegen Krankheit, Arbeitslosigkeit und für das Alter absichern können. „Deshalb prüfen wir, inwiefern sich die Auftraggeber von Selbständigen künftig an der Finanzierung der Sozialversicherungsbeiträge beteiligen sollten.“ Der Sozialversicherungsbeitrag könne wie die Mehrwertsteuer auf der Rechnung ausgewiesen werden.
Die Problemlage verschärft sich in allen Berufen, in denen Digitalisierung Geschäftsmodelle wie „Clickworking“, „Sharing-Ökonomien“ und „Wettbewerbs-Marktplätze“ vorantreibt fördert. Aus tarifvertraglich abgesicherten „zeitbezogenen Formen der Entlohnung Honorierung“ werden „meßbare Payment-Systeme“ in digitalen Geschäftsmodellen, die Arbeitszeit und Leistung entkoppeln.
Beim Clickworking handelt es sich in der Regel um Zusatzverdienste, bei denen viele beteiligte Smartphone-User örtliche Angaben und Fotos an einen zentralen Datenverarbeiter übermitteln. Die Gegenleistung: oft nur wenige Cent oder kleine Euro-Beträge. Die geringen Beträge machen jedoch viele Geschäftsmodelle im Internet möglich, die es ohne Clickworking nicht geben würde, weil die Datenermittlung zu teuer wäre.
Bei Sharing-Ökonomien tragen die „Auftragnehmer“ ein hohes Kostenrisiko, weil sie sich mit anderen gleichartigen Auftragnehmern in einen Wettbewerb begeben. Bei Taxifahrern führt dies zum Konflikt: die UBER-App war anfangs als willkommener Nebenverdienst angesehen, und konnte für mehr Fahrten und weniger Stillstandszeiten sorgen.
In dem Moment aber, an dem die App auf breite Akzeptanz stieß, sank das gesamte Preisniveau, die Taxis fielen aus der Kostendeckung heraus.
Bei der Vermittlung von Putzfrauen und Reinigungspersonal konkurrieren Marktplatz-Plattformen mit den normalen gewerblichen Preisen tarifgebundener Reinigungsfirmen. Diese müssen je Mittellohnstunde wenigstens 26-30 € plus Mehrwertsteuer berechnen, um einen Arbeitnehmer bis zum Einsatzort zu bringen, abzuholen, mit Arbeitskleidung zu versorgen – und Mindestlohn zahlen zu könenn. Gleichzeitig müssen davon Rücklagen und Umlagen für Urlaub, Weihnachtsgeld und Ausbildungsumlagen gezahlt werden.
Digitale Marktplätze wie etwa Helpling haben aufgrund internen Wettbewerbs der Arbeitnehmer untereinander ein viel geringeres Preisniveau als der gewerbliche Wettbewerb. Zudem drücken Provisionsregeln auf das effektive Preisniveau. Die Arbeitnehmer müssen obendrein die Kosten und den Zeitaufwand für An- und Abfahrt selbst aufbringen. In der Gesamtwirkung wird ein Marktpreisdruck ausgelöst, der auch gewerblichen Anbietern Kopfschmerzen macht, und eine Unterbietung des Mindestlohns in Gang setzt.
Die Frage muss dabei geklärt werden, ob Clickworker, Teilnehmer von Sharing-Plattformen und Marktplätzen überhaupt „Selbstständige“, weisungsungebundene Auftragnehmer sind, oder ob sie sich durch Unterzeichnung und Bestätigung der AGB´s zu einem weisungsgebundenen Arbeitnehmer und „Scheinselbstständigen“ verwandeln.
Kritik an der Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung
Die Arbeitsmarktpolitikerin Pothmer hielt Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) vor, sie inszeniere sich als „Ministerin für die Zukunft der Arbeit“. Doch dort, wo diese Zukunft längst stattfindet, glänze sie durch Untätigkeit. Fast jeder vierte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, der seine Arbeit verliert, falle trotz Beitragszahlungen in das Hartz-IV-System, weil die Arbeitslosenversicherung nicht auf die neuen unsteten Beschäftigungsverhältnisse vorbereitet sei.
Pothmer MdB griff Nahles scharf an:
„Arbeitsministerin Nahles inszeniert sich öffentlich als Ministerin für die Zukunft der Arbeit. Sie hat einen Dialogprozess zu Arbeit 4.0 gestartet und ein ganzes Filmfestival dazu organisiert. Doch dort, wo die Zukunft der Arbeit längst stattfindet, glänzt sie durch Untätigkeit. Fast jeder vierte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, der seine Arbeit verliert, fällt bereits heute trotz Beitragszahlungen sofort in das Hartz-IV-System. Weil die Arbeitslosenversicherung nicht auf die neuen unsteten Beschäftigungsverhältnisse vorbereitet ist. Flexibel arbeitende Menschen brauchen aber mehr und nicht weniger Schutz.
Die Arbeitswelt von morgen braucht keine Arbeitsverwaltung von gestern. Bevor sich heute das Räderwerk der Arbeitsförderung in Gang setzt, muss man erst einmal arbeitslos werden. Das ist nicht zukunftstauglich. Deshalb muss die berufsbegleitende Qualifizierung Erwerbstätiger zu einer weiteren zentralen Säule der Arbeitsmarkpolitik werden. Wir brauchen dafür ein Jobcenter 4.0, das für Beschäftigte und Betriebe als Anlaufstelle und Lotse im Weiterbildungs-Dschungel fungiert. Weg von der Arbeitslosenverwaltung hin zu einer Chancengestaltung.“
Update des Arbeitsrechts und Anpassung an den digitalen Wandelk gefordert
Müller-Gemmeke, Sprecherin für ArbeitnehmerInnenrechte geht sogar noch weiter: „Die Digitalisierung ermöglicht den Beschäftigten mehr Freiheit und selbstbestimmtes Arbeiten. Das darf aber nicht zu ständiger Erreichbarkeit und Mehrarbeit führen. Notwendig ist deshalb ein Update beim Arbeitsrecht und bei der Mitbestimmung, damit mehr Zeitsouveränität tatsächlich auch zu mehr Lebensqualität führt.
Wir wollen die digitale Arbeitswelt solidarisch ausgestalten. Auch Solo-Selbstständige brauchen kollektive Regelungen, damit sie nicht allein auf sich gestellt sind, wenn es um faire Honorare und gute Arbeitsbedingungen geht.“
Andreae will damit den Wandel gestalten:
„Digitalisierung zieht sich durch alle Bereiche unseres Lebens. Vor allem die Veränderungen in der Arbeitswelt werden spürbar sein. Sie kann die Arbeitswelt positiv verändern und neue Freiräume schaffen. Dazu braucht es aber ein paar neue Antworten.
Andrae bliebt dabei optimistisch: „Der Umbruch, in dem wir uns befinden, sollten wir nutzen und gestalten. Im Interesse der Beschäftigten, wie auch im Interesse unseres Wirtschaftsstandortes! – „Wir müssen den Wandel so gestalten, dass die Digitale Revolution alle Menschen mitnimmt.“
Weitere Informationen:
Digitalisierung gestalten – Mit Grünen Ideen zur Arbeit 4.0 – Link