Alarm? Oder Fehlalarm? Ein Urteil des Amtsgericht Charlottenburg bringt aktuell Unruhe in die Mietenpolitik. Wenige Tage vor dem Inkrafttreten der Mietpreisbremse am 1.6.2015 überschlagen sich heute die Meldungen zu einem aktuellen Mietrechtsurteil. In dem Verfahren, das im Jahr 2013 begann, wurde auch ein Gutachter zu Rate gezogen, der den damals geltenden Mietspiegel für Berlin nicht „qualifiziert“ sein und anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen widerspreche.
Die Berliner Richterin Silke Kullmann schloß sich mit dem heutigen Urteil der Auffassung des Gutachters an. Theoretisch sind nun noch vor dem Inkrafttreten der Mietpreisbremse im Juni überraschende Mieterhöhungen möglich geworden, wenn man den Meldungen von Boulevardzeitungen (BZ-Berlin: „Urteilsspruch – Berliner Amtsgericht kippt Mietspiegel! 11.5.2015) glauben darf.
Gegen das Urteil kann noch Berufung eingelegt werden. Dazu ist die Meinung des einzelnen Gutachters fachlich hoch umstritten.
Instrument des Mietspiegels für Mieter wichtig
Jährlich werden rund 300 000 Mietstreitigkeiten vor deutschen Gerichten verhandelt. Der Mietspiegel wird bei Streit über Miethöhen bisher als wichtiges Instrument genutzt, um gerechte Urteile fällen zu können. Doch wenn der Mietspiegel unwirksam wird, droht bundesweit Ärger wegen der Mietpreisbremse. In den gefragten Ballungsräumen droht „Wild-West“ am Wohnungsmarkt.
Die ausgleichende Wirkung gültiger Mietspiegel sorgt für Transparenz und einen einigermaßen geordneten Wohnungsmarkt.
Strategische Attacke auf das Instrument Mietspiegel?
Bereits am 10.11.2014 urteilte Richterin Silke Kullmann am Amtsgericht Berlin-Charlottenburg, dass die Berliner Mietspiegel 2009 und 2013 nicht nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt wurden. Beanstandet wurde, dass „hinsichtlich der Wohnlage keine homogenen Vergleichsgruppen gebildet wurden“.
Der vom Gericht bestellte Gutachter, der Dortmunder Professor Walter Krämer vom Institut für Wirtschafts- und Sozialstatistik kam damals zu dem Schluß, dass beide Mietspiegel die Anforderungen nicht erfüllen.
In drastischen Worten bezweifelte er, ob die Datenerhebung für den Mietspiegel repräsentativ ist. Die Aufteilung des gesamten Stadtgebiets Berlins in nur drei Wohnlagen – einfach, mittel, gut – sei willkürlich. Bestimmte Mieterhaushalte seien im Mietspiegemüberproportional vertreten. Krämer sagte: „Der Mietspiegel ist schlampig“.
Im Gegensatz zur Praxis in anderen Städten werden in Berlin nicht nur Fragebögen an Haushalte verschickt, die dann spärlich ausgefüllt zurückkommen. In Berlin sammeln 74 Interviewer Daten auf freiwilliger Basis bei 5.144 Haushalten plus 10.091 Daten von Vermietern. Bei rund einer Million Mietwohnungen in der Hauptstadt beträgt die Datenerhebung somit weniger als 1%. Für den strengen Statistiker Krämer zu wenig. Er habe „beträchtliche Zweifel hinsichtlich der Repräsentativität“.
Krämer, bekennender Gegner der EU-Bankenunion, FDP-Mitglied und Herausgeber der German Economic Review, steht zudem im Verdacht, einen gezielten und tückischen Angriff auf das Mietrecht zu führen.
Berliner Mietspiegel 2013 im Urteil gekippt
Im heutigen Urteil hat die Richterin den Berliner Mietspiegel 2013 gekippt. Sie gab damit einem Vermieter Recht, der eine saftige Mieterhöhung von 90 Euro pro Monat verlangt hatte. Dessen Mieter hatte sich geweigert, den Aufschlag zu zahlen – und verwies auf den damals gültigen qualifizierten Mietspiegel, der für seinen Kiez niedrigere Mieten auswies. Der Vermieter bekam nun Recht mit seiner Erhöhung.
Schwerwiegende Folgen für den Berliner Wohnungsmarkt befürchtet
Der Berliner Mietspiegel hat eigentlich Vorbildcharakter: „Der Berliner Mietspiegel zählt deutschlandweit wegen seiner anwenderfreundlichen Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete zu den besten seiner Art”, erklärte Reiner Wild,
Geschäftsführer Berliner Mieterverein e.V. im Juni 2014 zum laufenden Verfahren. Wild weiter: “Es gibt keinerlei Veranlassung ihn abzuschießen”.
Probleme bei Einführung der Mietpreisbremse programmiert
Zum 1.6.2015 soll in den Metropolen der Mietspiegel zur Grundlage in dem Gesetz zur Mietpreisbremse werden. Im Gesetz heißt es: „die höchst zulässige Miete bei der Wiedervermietung … auf die ortsübliche Miete zuzüglich 10% zu begrenzen“.
Doch wo liegt die ortsübliche Miete? Wie wird diese bestimmt?
Der Gesetzgeber hat schlichtweg vergessen, den Begriff des „qualifizierten Mietspiegel“ und dessen wissenschaftliche Kriterien bei der Erhebung näher zu erläutern.
Für alle künftigen Mietpreisstreitigkeiten drohen nun vor Gericht hohe Kosten, denn es müsste in jedem Einzelverfahren die ortsübliche Vergleichsmiete gutachterlich ermittelt werden. Miethöhestreitigkeiten würden zudem zu einem unkalkulierbaren finanziellen Risiko.
Im Bundesjustizministerium dürften nun die Alarmglocken angehen, denn das neue Urteil zwingt wohl dazu, schnellstmöglich eine Rechtsverordnung für die Erstellung von Mietspiegeln auf Bundesebene zu schaffen.
Artikel-Update 19:55
Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins e.V. wurde im Laufe des Tages telefonisch um Stellungnahme gebeten. Er meldete sich soeben telefonisch in der Redaktion, und teilt die Besorgnisse zu diesem neuen Urteil zum Mietspiegel. Wild erklärte, dass der Berliner Mieterverein schon lange eine solche Rechtsverordnung für „qualifizierte Mietspiegel“ fordere.
Gleichzeitig zeigte er sich skeptisch, ob das seitens der Politik schnell umgesetzt werden kann, denn die Kommunen benötigen zusätzliches Geld, um qualifizierte Mietspiegel aufzustellen.
Weitere Informationen:
Mietspiegel Berlin 2013 – Link