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Dieter Krause: KOLLWITZ 66

Haus Kollwitzstraße 66 um 1958

Die Zeit, in der Dieter Krause am Kollwitzplatz aufwächst, roch nach Bohnerwachs und Schwefel. In engen Hinterhöfen wurde mit Murmeln gespielt. Kinder spielten auch „Indianer,“ und bauten ihre kleinen Abenteuerwelten auf. In der Husemannstraße wurde stundenlang Schlagball und Völkerball gespielt – ungestört vom Autoverkehr. Und wenn doch ein Auto abgestellt wurde, malten die Kinder das Spielfeld mit Kreide neu, einfach 10 Meter weiter.

Das Buch von Dieter Krause ist voller lebendiger kleiner Geschichten, die sich zur Beschreibung seiner Kindheit zusammenfügen.
Es handelt vom Haus 66, in dem heute die „Apotheke am Kollwitzplatz“ und nebenan das BELLUNO zu finden sind.

Eine Kindheit am Kollwitzplatz

„Das Haus, die Stadt, die Zeit“ so beginnt das Buch, und beschreibt das Haus Kollwitzstraße 66, mit seien Kriegswunden, einem Hinterhof mit Klopfstange und der dahinter liegenden Ziegelsteinhalle mit der ehemaligen Schnapsmanufaktur „C.Westphal“. Die Häuser 64 und 66 gehörten der Familie Hammel. Der Sohn leitete die Schnapsfabrik.

Dieter Krause zählt nur einige der damaligen Mieter im Haus auf: „Schlüter, Weinert, Heese, Rochow, Nemitz, Kleinschmidt, Kurzweg, Steher, Thomas, Schlüter gleich zweimal – und eben Krause. Hinterhaus, linker Seitenflügel, Hochparterre.“ Er erinnert sich nur teilweise. Aber er erinnert sich an die vielen Kinder, allein 15 lebten in den Seitenflügeln – die Hofkinder.

Die beiden Töchter der Familien Hammel durften mit ihnen nicht spielen. „Manchmal tollten sie auf dem Fabrikgelände, wenn ihr Vater an dem alten Opel P 4 herumschrauben ließ. Die Hofkinder schauten zu. Es war das einzige Auto im Haus, eines von vier-fünf in der gamzen Straße.“

Dieter Krause erzählt von seiner Kindheit am Kollwitzplatz, als er in jenem Haus 66 gro0 wurde.

„Anstelle von ideologischen Kämpfen werden Konflikte mit Tüten voller Wasser und Stinkbomben ausgefochten. Die fünfziger Jahre sind für den Jungen eine Übergangszeit: Zwischen heimlich gehörten Elvis-Songs und Begegnungen mit russischen Soldaten wechselt er regelmäßig von einem Sektor in den anderen und beinah ebenso häufig die Schule.“

„Ende der Fünfziger wird die Wohnung der Eltern heller, buntes Geschirr, ein Fernseher, erst ein Motorrad mit Beiwagen und dann sogar ein Trabi werden angeschafft. Vor den persönlichen Abenteuern und familiären Fortschritten rückt das politische Geschehen in den Hintergrund und bleibt lediglich in den Liedern, die den Teenager umgeben, präsent. Dies ändert sich jedoch, als mitten in die Sommerferien 1961 die Nachricht vom Mauerbau platzt.“

„Dieter Krause schildert liebevoll die Freiheit seiner Berliner Straßenkindheit, kommentiert scharfzüngig ihre staatliche Begrenzung und erzählt so das Heranwachsen am Prenzlauer Berg zur Frühzeit der DDR wie unter dem Mikroskop: Man sieht alles sehr genau vor sich – man atmet gewissermaßen die Luft aus Schwefel und Bohnerwachs“ schreibt der Klappentext.

Beim Lesen kann man tief in den damaligen Alltag eintauchen, und aus Anekdoten die Zeitläufte erkennen – auch persönliche Zeitläufte.

Über den Rezensenten

Das Buch hat persönlich berührt, und alte persönliche Verbindungen zum Kollwitzplatz wieder in Erinnerung gebracht. Ein sehr persönlicher Zeitsprung in die eigene Kindheit wurde möglich: meine Mutter gründete zu jener Zeit ihre Familie. Sie wohnte bis Mitte 1954 im Haus Kollwitzstraße 64. In ihrer Jugend hieß die Straße bis zum 10. Oktober 1947 Weißenburger Straße, als die Umbenennung in Kollwitzstraße erfolgte. In den Jahren 1958-1961 pendelte ich als kleiner Junge zu vielen Familienbesuchen zwischen Neukölln und Prenzlauer Berg, und erinnere mich genau an diese Zeit. Der Mauerbau am 13. August 1961 sperrte mich nach „West-Berlin“ aus, ich wurde von vielen Verwandten familiär getrennt. Als Grenzgänger von West nach Ost kam ich später zu vielen Besuchen in den Kiez zurück. Das Zwangsumtausch-Geld wurde beim Friseur-Besuch, bei Familienbesuchen mit Cousins und Cousinen und mit kleinen Geschenken „auf den Kopf gehauen.“

Über den Autor Dieter Krause

Dieter Krause wurde 1947 in Berlin geboren und lebt dort. Er studierte an der Humboldt-Universität zu Berlin Philosophie. Danach arbeitete er als Redakteur bei der Berliner Zeitung. In dieser Zeit bildete er mit ehemaligen Kommilitonen eine konspirative Oppositionsgruppe. Nach deren Zerschlagung durch die Stasi endete auch seine Zeitungstätigkeit. Einige Jahre später arbeitete er am Institut für Soziologie der Humboldt-Universität, anschließend kurzzeitig als Redaktionsleiter der Zeitung Die Andere vom Neuen Forum und ab Sommer 1990 über zwanzig Jahre im Berliner Büro des Stern.

Dieter Krause Kollwitz 66

Dieter Krause
Kollwitz 66

Berliner Kindheit in den fünfziger Jahren
Schöffling & Co., 2017
Gebunden 448 Seiten, Lesebändchen, 24,00 €
ISBN: 978-3-89561-102-5

Aktuelle Lesungen:

Freitag, 16. Juni 2017 | 19.30 Uhr
Dieter Krause liest aus: »Kollwitz 66«

Fräulein Schneefeld & Herr Hund | Chocolaterie & Buchhandlung | Prenzlauer Allee 23 | 10405 Berlin

Dienstag, 04. Juli 2017 | 19.00 Uhr
Dieter Krause liest aus: »Kollwitz 66«

DDR-Museum | Karl-Liebknecht-Str. 1 | 10178 Berlin | www.ddr-museum.de