Kleine Cookies, großer Ärger! Die E-Privacy-Verordnung bringt die europäische Medienwirtschaft auf die Barrikaden. Marc Hankmann nimmt sich im aktuellen Newsletter von MediaLABcom eines brandheißen Themas an.
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Kleine Cookies, großer Ärger!
Die E-Privacy-Verordnung bringt die europäische Medienwirtschaft auf die Barrikaden.
Marc Hankmann
Sie sind nur wenige Kilobyte groß und befinden sich auf jedem Rechner, unbemerkt in Unterverzeichnissen von Unterverzeichnissen: Cookies, Textdateien, die Informationen über besuchte Webseiten, angeklickte Dateien, Browser-Einstellungen oder sonstige Daten enthalten, die wir beim Surfen im Internet hinterlassen. Diese kleinen Dateien sorgen für großen Ärger. Es geht um die E-Privacy-Verordnung, welche nach Meinung der Medien- und Werbewirtschaft die Existenz derselben bedroht. Von einem Kahlschlag ist die Rede. Dabei soll doch nur der Bürger geschützt werden.
Einen Kahlschlag nennt der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) das Vorhaben der EU. „Die aktuellen Entwürfe der E-Privacy-Verordnung von EU-Kommission beziehungsweise Europäischem Parlament sind die bislang größten Motorsägen an den Wurzeln der europäischen Medien- und Werbewirtschaft“, lässt der ZAW verlauten. Werbefinanzierte TV- und Radiosender sowie die Presse sind alarmiert.
Noch mehr Schraubenzieher
Im Online-Bereich ist der Einsatz von Cookies gang und gäbe. Zum einen um die Reichweite ausgespielter Werbebanner zu erfassen und zu monetarisieren; zum anderen um personalisierte Werbung anzubieten. Das stellt sich bislang wie folgt dar: Sie suchen etwa bei Google oder Amazon ein Schraubenzieher-Set und erhalten anschließend auf ganz unterschiedlichen Webseiten Werbeeinblendungen für entsprechende Produkte. Wenn Sie sich aber schon ein Schraubenzieher-Set gekauft haben, ist das vor allem eines: nervig.
Etwas sinniger als lauter Schraubenzieher-Werbung sind die Empfehlungen, die Amazon für den Kauf weiterer Produkte angibt, die zum Schraubenzieher passen: Kneifzange, Wasserwaage, Bohrer etc. Darüber hinaus „merkt“ sich Amazon, was Sie sich im Online-Shop alles anschauen und empfiehlt Ihnen bei Ihrem nächsten Besuch zum Beispiel Produkte, die sich andere Kunden angesehen haben, die ebenfalls ein Schraubenzieher-Set bei Amazon gekauft haben.
Diese Personalisierung der Werbung hält auch auf dem Fernsehbildschirm Einzug, denn auch der Smart-TV arbeitet mit Cookies, um personalisierte Werbebotschaften zu verkünden. Technische Standards wie HbbTV (Hybrid Broadcast Broadband TV) werden dazu genutzt, diese Werbebotschaften in die Haushalte zu bringen. Was bei Amazon schon Alltag ist, wollen auch die TV-Sender, Kabelnetzbetreiber und Smart-TV-Hersteller. Dabei geht es ihnen nicht nur um adressierbare Werbung, sondern auch um Programmempfehlungen, zum Beispiel im Rahmen des elektronischen Programmführers (EPG) oder einer Suchmaschine auf ihrer Plattform.
Die Login-Giganten
Allerdings macht ihnen die E-Privacy-Verordnung einen Strich durch die Rechnung, denn sie sieht vor, dass für die Verwendung von Cookies zuvor die Einwilligung des Nutzers eingeholt werden muss. Aus Sicht der Werbewirtschaft kommt erschwerend das sogenannte Kopplungsverbot hinzu. Demnach ist es nicht erlaubt, den Zugang zu einem Online-Dienst, wie etwa einer News-Webseite, an die Zustimmung zur Cookie-Verwendung zu binden. Lehnt der Nutzer also Cookies ab, kann er sich die News-Seite trotzdem ansehen – dann eben ohne personalisierte Werbung.
Die betroffenen Branchen gehen auf die Barrikaden. „In der jetzigen Form könnte die E-Privacy-VO das Aus für personalisierte Online-Werbung bedeuten“, sagte Harald Flemming, Geschäftsführer des Verbands Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT), auf den diesjährigen Medientagen München. Er findet seinen Verbündeten in Joachim Schütz, dem Geschäftsführer der Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM). „Uns wird die Grundlage zur Monetarisierung weggenommen“, sagt Schütz und befürchtet, dass nicht nur „Login-Giganten“ gestärkt, sondern auch die Angebotsvielfalt reduziert werde. Mit Login-Giganten sind US-Digitalkonzerne wie eben Amazon oder auch Facebook gemeint, die vom Nutzer gleich bei der Konto-Anmeldung über ihre AGB die Einwilligung zur Verwendung von Cookies einholen.
Vorteil für Facebook und Google
Insbesondere wegen dieser Bevorteilung steht die Verordnung in der Kritik. „Da ist in aller Politiker Munde, dass die amerikanischen Internetgiganten gezähmt werden müssen, und dann wird gleichzeitig ein solches Regelwerk vorgelegt, das sich Silicon Valley nicht besser hätte ausdenken können“, polterte Andreas Wiele, Vorstand Vermarktungs- und Rubrikenangebote der Axel Springer SE, auf dem Publishers‘ Summit 2017 des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger.
Auf Facebook und Google entfielen nach Angaben der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle IRIS im vergangenen Jahr 85 Prozent des Wachstums im digitalen Werbemarkt. Amazon schickt sich mit seinen audiovisuellen Angeboten wie der Game-Streaming-Plattform Twitch oder Amazon Prime Video an, dieses „Duopol in ein Triumvirat zu verwandeln“, schreibt IRIS im Bericht „Kommerzielle Kommunikation in der Revision der AVMD-Richtlinie“. Ganz zu schweigen von chinesischen Technologiefirmen, von denen erwartet wird, dass sie sich in den nächsten Jahren weltweit ausbreiten. Die europäische Medien- und Werbewirtschaft fragt sich, wo sie angesichts der „eigenen“ Gesetzgebung in Zukunft noch Platz zwischen diesen Giganten findet.
Doch was verlangt die Medienwirtschaft eigentlich? Sie hätte längst wie Facebook und Amazon Daten sammeln und monetarisieren können. Sie hätte AGBs zur Nutzung ihrer Online-Angebote aufsetzen können, die sich ohnehin kein Verbraucher durchliest und die ihr das Datensammeln erlaubt hätten. Doch jetzt bejammert sie das eigene Versagen im Wettlauf mit den Amerikanern. Zugegeben, die Aussichten, diesen Lauf zu gewinnen, tendieren angesichts der E-Privacy-Verordnung gegen Null. Doch die EU ist keine Vereinigung, die dazu da ist, wirtschaftliche Fehlentscheidungen auszubügeln – schon gar nicht auf dem Rücken des Verbraucherschutzes.
Aus Sicht des Konsumenten
Der Verbraucher hat ohnehin für diese Diskussion nur ein Achselzucken übrig. Wenn er über seinen Smart-TV oder auf einer Internetseite Werbung für Katzenfutter sieht, obwohl er gerade online ein Hundehalsband bestellt hat, wird es ihn kaum kümmern. Schon gar nicht auf dem Fernseher, denn hier läuft seit Jahrzehnten Werbung, die ihn nicht interessiert. Und das ist des Pudels Kern: Werbung, selbst personalisierte Werbung, stört den Medienkonsum.
Also wird das Schreckensszenario einer Reduzierung der Angebotsvielfalt an die Wand gemalt. Für den Verbraucher ist das jedoch angesichts der Fülle an Medien sehr diffus. Was wäre schon dabei, wenn ProSieben, Sat.1 und kabel eins ihre Programme zusammenlegen müssten, weil für drei separate Sender nicht genug vom Werbekuchen abfällt. Vielleicht erhielte der Zuschauer sogar ein besseres, ein Best-of-Programm.
Kein besonderes Kulturgut
Ein solches Denken könnte den Tod der europäischen Werbewirtschaft bedeuten. Spätestens jetzt kommt das K.o.-Argument Arbeitsplätze ins Spiel. Aber getreu dem Motto „Ihr Geld ist nicht weg, es ist nur woanders“ ist auch der Arbeitsplatz nicht weg. Er ist nur zusammen mit den Werbegeldern zu den EU-Niederlassungen von Google, Facebook oder Amazon gewandert. Sollte man also die Vormachtstellung der Amerikaner in der digitalen (Werbe-)Welt auf Kosten des Verbraucherschutzes angreifen? Werbung ist kein Kulturgut, das eines besonderen Schutzes bedarf.
Doch laut Axel-Springer-Vorstand Wiele ist auch der Verbraucher der große Verlierer, weil ohne Cookies, ohne die „nützlichen und unsichtbaren Heinzelmännchen des Internets“, keine personalisierten Angebote mehr möglich seien, welche die Bedürfnisse des Nutzers „viel besser befriedigen als ‚one-size-fits-all‘“. Wenn diese personalisierten Angebote jedoch so viel besser sind, warum dann die Angst vor der Einwilligung des Nutzers? Oder meint Wiele mit personalisierten Angeboten vielleicht nur personalisierte Werbung?
Das hohe Gut des Datenschutzes
Wiele und Lobbyisten wie VPRT-Chef Flemming oder OVM-Boss Schütz sitzen auf heißen Kohlen, denn zunächst erfuhren sie aus der Politik nur wenig Unterstützung. „Es gab sehr gute Gespräche mit dem Bundeswirtschaftsministerium, aber die Bundesregierung hat vor der Wahl nicht reagiert“, sagte VPRT-Chef Flemming auf den Medientagen München. Seine Hoffnung, dass die neue Regierung aus diesem „Dornröschenschlaf“ aufwache, dürfte sich angesichts des derzeitigen Stillstands erst einmal erledigt haben. „Kein deutscher Politiker stellt sich dieser Verordnung bislang ernsthaft in den Weg“, moniert Wiele.
Derzeit nehmen die EU-Mitgliedsstaaten im Rahmen des Trilogs Stellung zur E-Privacy-Verordnung. Insider gehen davon aus, dass erst im Frühjahr 2018 eine Entscheidung fallen wird. Inzwischen mehren sich die Anzeichen, dass Berlin dem Verordnungstext nicht ohne weiteres zustimmt. Konkrete Aussagen zur Cookie-Regelung wagt aber niemand. Der Datenschutz der Verbraucher ist in Deutschland ein hohes Gut.
Marc Hankmann ist freier Journalist und Redakteur von MediaLABcom