Donnerstag, 05. Dezember 2024
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Eklat bei Mieterbeteiligung in Alt-Pankow

Ossietzskystraße

Die Gesobau AG steht unter Druck. Im Rahmen der Wohnungsbauoffensive des Berliner Senats sollen mehr Wohnungen gebaut werden. Auch Sozialwohnungen in der Preisklasse von 6,50 €/m²/Monat. Die Nachverdichtung bestehender Siedlungen ist daher ein städtebaulich vernünftiger Weg. Grund und Boden sind bereits im Eigentum, die Grunderschließung ist in der Regel vorhanden. Es entfallen Kosten, die im Neubaufall auf alle Wohnkosten umzulegen sind.

Auch in Alt-Pankow soll nachverdichtet werden. In der ehemaligen DDR-Vorzeige-Siedlung zwischen Ossietzkystraße und Kavalierstraße. Bis zu 170 Wohnungen passen hier zwischen die bisherigen Zeilenbauten, die in den Aufbaujahren der DDR 1957-1959 entstanden, und eine bewußte Abkehr von der traditionellen Berliner Gründerzeitbebauung markierten. Die Gründerzeitbauten wurden als großbürgerliche Architektur abgelehnt. Die DDR-Verfassung setzte mit Artikel 26 (2) das neue Ziel staatlicher Wohnungspolitik „Jedem Bürger und jeder Familie ist eine gesunde und ihren Bedürfnissen entsprechende Wohnung zu sichern.“ Die Initiative zur diesen wohnungspolitischen Vorhaben übernahm das Ministerium für Aufbau (ab 1958 umbenannt in „Ministerium für Bauwesen“).

Die Mitte 1950er Jahre begonnene Hinwendung Industrialisierung des Bauwesens nach dem Motto ‚besser, billiger und schneller bauen‘, wurde auf der ersten Baukonferenz der DDR Anfang April 1955 beschlossen, und angesichts noch nicht zufriedenstellender Resultate auf der zweiten Baukonferenz im Februar 1958 mit weiteren Maßnahmen zur weiteren Produktivitätssteigerung vertieft, die später zur Konzentration auf die Plattenbauweise hinführten.

Die 1957-1959 entstandene Siedlung in Blockbauweise zwischen Ossietzky-Straße und Kavalierstraße war mit ihrer prominenten Lage immer auch Vorzeigessiedlung für die staatliche Wohnungsbaupolitik der DDR und zugleich bevorzugter Wohnort der Repräsentanten der Macht in den frühen Jahren der DDR. Aber auch Schriftsteller, Künstler, Schauspieler, Erfinder und Musiker wohnten und wohnen hier, mit einem ausgprägten Stadtbewußtsein.

Das Foto aus dem April 1957 zeigt die Endphase des Neubaus der beiden Wohnblöcke an Ossietzskystraße.

Wohnungsneubau 1957
Wohnblocks, Baustelle Zentralbild Hesse Voi-Ho. 27.4.1957: Im Bezirk Pankow von Groß-Berlin macht das Wohnungsbauprogramm gute Fortschritte. In der Ossietzkystraße des Bezirkes Pankow, Groß-Berlin, wurden bereits Anfang des Jahres 1957 die ersten 73 Wohnungen des Komplexes bezugsfertig übergeben. Insgesamt werden 285 Wohnungen gebaut. UBz: Ein bereits bezogener Wohnblock in der Ossietzkystraße (vorn rechts) . Ein Wohnblock, der sich kurz vor seiner Fertigstellung befindet, (dahinter) – Bundesarchiv: Bild 183-46174-0001

Anwohnerinitiative gegen städtebauliche Verdichtung

Gegen die Pläne der Gesobau AG zur Nachverdichtung wenden sich Anwohner der Wohnsiedlung. Der grüne Innenhof und das gesamte Bauensemble werden durch die Neubaupläne gravierend verändert. Bis zu 80 Bäume stehen auf dem Spiel. Auch die wichtige Symbolfigur Carl von Ossietzky spielt eine wichtige Rolle. Dessen Statue steht wachend vor dem Innenhof in der Ossietzkystraßw. Jeder Eingriff in die Baustruktur wird so auch zu einem kulturellen Eingriff, der für langjährige Anwohner wohl kaum erträglich ist.

Carl von Ossietzky Denkmal
Carl von Ossietzky Denkmal ( Klaus Simon 1989) in der Ossietzkystraße in Pankow – Foto: Richardfabi – gemeinfrei

Eklat bei der Anwohnerkonferenz der Gesobau

Die Anwohnerkonferenz der Gesobau AG am 28. März wurde mit einem große Veranstaltungszelt vorbereitet, das im Innenhof der Wohnanlage aufgebaut wurde. Für die Beteiligung gab es ein Anmeldeverfahren mit namentlicher Anmeldung. Dies stieß nicht auf ungeteilte Zustimmung. Die Anwohnerkonferenz wurde von der Gesobau AG vorbereitet, um die Mieter in der Wohnanlage zu informieren. Da man der Auffassung war, das geplante Bauprojekt sei ohne Bebauungsplanverfahren umsetzbar, wurde der sehr ungewöhnliche Weg der geschlossenen Beteiligung gewählt. Aufgrund massiver Proteste musste die Veranstaltung abgebrochen werden.

Da die Veranstaltung nicht ausreichend presseöffentlich vorbereitet war, sondern lediglich über Newsletter des Tagesspiegel ohne Terminangabe verbreitet wurde, entstand auch großes Mißtrauen gegenüber dem Verfahren. Die Berliner Morgenpost berichtete hinter einer Registrier-Seite, die offenbar eine Leser-Pay-Wall vorbereiten soll.

Die Redaktion der Pankower Allgemeine Zeitung hat auch nur auf Umwegen von der Angelegenheit erfahren.

Kommentar: Wachsende Stadt – wachsende Probleme bei Beteiligungsverfahren

In Berlin wird unter Regie der Regierungskoalition von DIE Linke, Bündnis 90/Grüne und SPD die Idee der Partizipation in vielen gleichzeitigen Verfahren verfolgt und umgesetzt. Doch es gibt bisher keine einheitlichen Leitlinien, denn der überwiegende Teil der Beteiligungsverfahren ist als rechtlich nicht verbindliche Form in Gang gesetzt. Das längste Verfahren ist übrigens bis zum Jahr 2050 angelegt, und betrifft die regelmässige Aufstellung eines Bürgerhaushaltes in Treptow-Köpenick. Bei Spielplatzplanungen sind die Verfahren der Kinder- und Anwohnerbeteiligung inzwischen erprobt, und verlaufen weitgehend friktionsfrei.

Anders ist es mit städtebaulichen Vorhaben der Nachverdichtung. Hier stützt man sich baurechtlich überwiegend auf den §34 BauGB und will ortsüblich weiter verdichten. Doch sind regelmässig bauliche Eingriffe geplant, die nachbarschaftliche Zustimmung und durch das Baurecht geforderte Rechtsgüterabwägungen erfordern. Komplette Bebauungsplanverfahren nach BauGB wären nötig, oder zumindest vereinfachte Verfahren. Die Abwägungsgebote des Baugesetzbuches müssen in jedem Fall eingehalten werden.

Überall, wo dies aus baupolitischen Gründen umgangen werden soll, gibt es in Berlin massive Konflikte, die in der Tendenz weiter anwachsen werden, und das System der kommunalen Selbstverwaltung und Bauverwaltung irgendwann überfordern werden.*

Die wichtigen Instrumente der Bürgerbeteiligung müssen überdies auch „öffentlich“ und „presseöffentlich organisiert werden, wenn man nicht immer mehr Mißtrauenskonflikte und „unsichere experimentelle Partizipationsverfahren“ riskieren möchte.
Auch Voraussetzungen für „Presseöffentlichkeit“ müssen geschaffen werden, denn die meisten Beteilungsverfahren laufen mit bezahlten Moderatoren-Teams und beteiligten landeseigenen Unternehmen mit Unternehmenspressestellen.

Wenn die Beteiligten jedoch keine Anzeigen schalten, steht die Lokalpresse still – und irgendwann die „Stadtgesellschaft“ auch!


* Hinweis: Überforderung der kommunalen Selbstverwaltung und Bauverwaltung: lesen Sie dazu demnächst einen Kommentar zum Mißbilligungsantrag gegen den Pankower Stadtentwicklungsstadtrat und die wahren politischen Verursacher in der wachsenden Stadt.