Geoffrey West hat ein wichtiges Buch publiziert, das einen neuen Blick auf unsere Welt eröffnet. Der theoretische Physiker schaut mit mathematischen Blick auf Geheimnisse der menschlichen Existenz. Der Buchtitel ist ambitioniert: „Scale: The Universal Laws of Growth, Innovation, Sustainability and the Pace of Life in Organisms, Cities, Economies, and Companies.“ Geoffrey West erforscht am Santa Fé Institute die Grundlagen von „Cities, scaling, & sustainability“ und sucht ein quantitatives Verständnis der organisatorischen und dynamischen Aspekte menschlicher sozialer Organisation und Urbanisierung.
Sein Buch nimmt die Leser auf eine spannende intellektuelle Reise. Wests Kernargument: die grundlegenden mathematischen Gesetze der Physik, die das Wachstum in der physischen Welt bestimmen, gelten gleichermaßen für biologische, politische und korporative Organismen. Das Ziel seines Buches ist es, zu einer übergreifenden Verhaltensforschung von „hochkomplexe Systemen“ zu kommen.
Die Zentrale Beobachtung von „Scale“ ist wegweisend: eine Vielzahl von komplexen Systemen reagieren ähnlich auf Größenzunahmen. West zeigt, dass diese Ähnlichkeiten die strukturelle Natur der Netze widerspiegeln, die diese Systeme untermauern. Der Autor identifiziert drei gemeinsame Kerneigenschaften der hierarchischen Netzwerke, die diesen „Organismen“ Energie liefern – sei es die verschiedenen Kreislaufsysteme, die alle Formen von Tierleben antreiben, oder die Wasser- und Stromnetze, die Städte antreiben.
– Erstens sind die Netzwerke „raumfüllend“, d.h. sie bedienen den gesamten Organismus.
– Zweitens sind Endgeräte weitgehend identisch, seien es Kapillaren in unseren Körpern oder Armaturen und Steckdosen in Häusern.
– Drittens wird in diesen Netzwerken eine Art natürlicher Selektionsprozess betrieben, um sie zu optimieren.
Diese gemeinsamen Netzwerkqualitäten erklären, warum bei einer Verdoppelung der Größe eines Organismus eine erstaunliche Bandbreite von Eigenschaften, vom Nahrungsmittelkonsum bis zur allgemeinen Stoffwechselrate, weniger als doppelt so schnell wachsen – sie skalieren „sublinear“. Darüber hinaus zeigt „Scale“, warum sich der genaue mathematische Faktor, mit dem sich diese Wirkungsgrade manifestieren, fast immer auf „den magischen Faktor 4.”
Der Autor eine elegante Erklärung, warum lebende Organismen eine natürliche Grenze für Wachstum und Lebensdauer haben, die einer vorhersagbaren Kurve folgt, da ein zunehmender Anteil der verbrauchten Energie für die Wartung benötigt wird und weniger zur Verfügung steht, um die weitere Expansion zu fördern.
Bei Städten zeigt er, dass das Wachstum der Infrastruktur in analoger sublinearer Weise skaliert. Die Anzahl der Tankstellen oder die Länge der Straßen, die benötigt werden, wenn eine Stadt ihre Größe verdoppelt, spiegelt ähnliche Größenvorteile wider.
Auch sozioökonomische Qualitäten skalieren tatsächlich superlinear um den gleichen Faktor.
Doch scheinen Städte nicht beliebig skalierbar zu sein: wenn Großstädte höhere Löhne und mehr Patente pro Einwohner produzieren, erzeugen sie auch relativ größere Kriminalität und Krankheiten. Theoretisch führt damit das unbegrenzte Wachstum von Städten zu ihrem Zusammenbruch, die durch superlineare Skalierung (eines Faktors) hervorgerufen wird.
West sucht nach Nachhaltigkeitsstrategien, um diese immanenten Prozesse frühzeitig zu erkennen. West sagt in Bezug auf Städte: „Wenn sie unkontrolliert bleiben, säen sie potentiell die Samen ihres unvermeidlichen Zusammenbruchs“.
Übertragbarkeit von Komplexitätsregeln?
West versucht die Übertragbarkeit von Komplexitätsegeln zu klären. Dabei räumt er selbstkritisch ein, dass die Stärke der mathematischen Korrelationen abnimmt, wenn er sich von der biologischen zur urbanen und zur korporativen Ebene bewegt. Seine Theorien hat er noch nicht ausreichend auf Firmen und Organisatione ausweiten können, weil ihm bisher die Mittel für den Zugriff auf eine Datenbank mit historischen Unternehmensinformationen fehlen.
Der Forscher verlässt sich selbst auf die Analyse riesiger Datenmengen zur Entwicklung und Unterstützung seiner Theorien, und warnt gleichzeitig mit überzeugendens Argument vor der „Arroganz und den Narzissmus“, derd sich in der zunehmenden Fetischisierung der „großen Daten“ widerspiegelt. West: „Daten um der Daten willen“, so argumentiert er, „oder das gedankenlose Sammeln großer Daten, ohne jeglichen konzeptionellen Rahmen für die Organisation und das Verständnis, kann tatsächlich schlecht oder sogar gefährlich sein.
Der Blickwechsel auf die Komplexität unserer Umwelt
„Scale“ befasst sich mit großen, drängenden Fragen zur globalen Nachhaltigkeit, Bevölkerungsexplosion, Urbanisierung, Alterung, Krebs, menschlichen Lebensspanne und dem zunehmenden Tempo des Lebens. Geoffrey West sieht verbindende Muster: „Hinter dem komplexen Chaos, das uns umgibt, scheint eine eindrucksvolle Einfachheit zu stecken.“
Dies ermutigt, die Welt um uns herum neu in Frage zu stellen: Haben Städte, Unternehmen und Menschen natürliche, vorgegebene Lebensspannen? Sind wir als Individuum, Organisation, Stadt oder Zivilisation ein faszinierendes Experiment der natürlichen Auslese, das letztendlich zum Scheitern verurteilt ist?
Das Buch ist eine fesselnde und unterhaltsame Lektüre, die uns an neue Grenzen heranführt. West stellt die erstaunliche Herausforderung dar, zu verstehen, warum Tiere, Städte und Unternehmen so einheitlich skalieren.
Geoffry West hinterlässt aber auch ein neues Rätsel: „Was ist der Ursprung der magischen Zahl 4, die einen großen Teil der Physiologie und Lebensgeschichte von der Geburt bis zum Tod zu bestimmen scheint?“
Der Autor führt die Leser geschickt in die Geheimnisse ein, die seine Detektivarbeit aufgedeckt hat. Das Buch fängt den Geist der aktuellen Wissenschaft ein. Es enthüllt die tiefen Zusammenhänge zwischen Physik und Biologie, und zwischen Gesellschaft und Leben.
Zugleich wird ein Blick auf ein Forscherleben möglich, das der Suche nach neuen Wegen und der Grenzüberschreitung zwischen den Disziplinen gewidemt ist, um die langfristigen globalen Herausforderungen der Nachhaltigkeit zu lösen.
Über den Autor
Geoffrey West ist theoretischer Physiker mit Hauptinteressen an grundlegenden Fragen der Physik und Biologie. Er Senior Fellow am Los Alamos National Laboratory und Professor am Sante Fe Institute, wo er von 2005-2009 Präsident war. Im Jahr 2006 wurde er in die Liste der 100 einflussreichsten Menschen der Welt aufgenommen.
‚This book will expand your thinking from three dimensions to four‘ – Nassim Nicholas Taleb
Geoffrey West: Scale
The Universal Laws of Growth, Innovation, Sustainability,
and the Pace of Lifein Organisms, Cities, Economies, and Companies
Penguin Randomhouse | 2017
496 Seiten
ISBN-13: 978-1594205583 | ISBN-10: 1594205582
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