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Museum für Architekturzeichnung

YakovChernikhov: Architectural Fantasy 1929 - Bild: TchobanFoundation

Seit Vitruvs Zeiten gehört das Zeichnen zu den wichtigsten Fähigkeiten des Architekten, um die drei bedeutenden Hauptforderungen an gebaute Architektur bewältigen zu können: Firmitas (Festigkeit), Utilitas (Nützlichkeit) und Venustas (Schönheit). Der römische Architekt, Ingenieur und Architekturtheoretiker legte bereits im 1. Jahrhundert v. Chr. die geistigen Grundlagen für den Architektenberuf.

YakovChernikhov: Architectural Fantasy 1929 - Bild: TchobanFoundation
YakovChernikhov: Architectural Fantasy 1929 (Auszug) - Bild: TchobanFoundation

Zeichnen als Kernkompetenz des Architekten

Marcus Vitruvius Pollio definierte im 1. Jahrhundert v. Chr. auch sechs Grundkategorien, die jeglicher Architektur zugrundezulegen sind: „ordinatio“, „dispositio“, „eurythmia“, „symmetria“, „decor“ und „distributio“.

„Ordinatio“, „eurythmia“ und „symmetria“ beziehen sich dabei auf die Proportionierung des Gebäudes, die „Maßordnung“, das anmutige Aussehen und das maßgerechte Erscheinungsbild und den Einklang der einzelnen, auf einen Modul bezogenen Elemente untereinander.

„Dispositio“ bezieht sich auf die Konzeption des Gebäudes und die dazu notwendigen Baupläne, die mit Grundriss, Schnitt und perspektivischer Ansicht („ichnographia“, „orthographia“ und „scaenographia“) festgelegt werden.
„Decor“ betrifft das Erscheinungsbild eines Gebäudes entsprechend anerkannten Konventionen, z.B. die Zuordnung von Säulenarten (dorisch, ionisch, korinthisch) zu bestimmten Gottheiten beim Tempelbau, die Koordination von Außen und Innen, die Zuordnung stilistischer Teilelemente zum Gesamtstil und die Anordnung von zu Himmelsrichtungen.
„Distributio“ meint einerseits die angemessene Verteilung der Baumaterialien und der Ausgaben für den Bau, zum anderen die dem jeweiligen Status der Bewohner angemessene Bauweise.
Die Fähigkeit zum Zeichnen wurde aus umfassender Bildung des Architekten gespeist: Schriftkunde, Geometrie, Arithmetik, Geschichte, Philosophie, Musik, Medizin,Jura und Astronomie zählten zu den Wissensgebieten, die Ausdrucksfähigkeit und Urteilsfähigkeiten des Architekten und Baumeisters herausbildeten.

Trennung von Plan und Ausführung

Zugleich schuf Vitruv die geistige Grundlage für die Trennung von „fabrica“ (Handwerk) und „ratiocinatio“ (geistiger Arbeit), die im Zeitalter der Renaissance die Überwindung der Bauhüttentraditionen ermöglichte und zur personellen Trennung von praktischer Ausführung und theoretischer Planerstellung führte. Leon Battista Alberti war wohl der bedeutendste Protagonist, der nur noch Pläne und Modelle verfertigte und die Realisierung der Gebäude erfahrenen Bauleitern überließ.
Die Zeichenkunst wurde damit zu einer eigenständigen Fähigkeit, die die Kernkompetenz des Architekten bis heute ausmacht, und die einzigartige Stellung dieses Berufs begründet.

Einzigartige Leidenschaft eines Architekten

Sergei Tchoban (Sergej Ėnverovič Čoban) ist deutscher Architekt russischer Abstammung, 1962 in Leningrad geboren – und leidenschaftlicher Zeichner. Als gut beschäftigter Star-Architekt befasst er sich vor allem in Rußland mit Großprojekten.
2009 schuf er die Tchoban Foundation – Museum für Architekturzeichnung, deren Sitz 2013 in Berlin am 1.6.2013 nach eigenen Planungen auf dem Pfefferberg eröffnet wurde.
Das Museum, das mit seiner großen Sammlung von Architekturzeichnungen aus dem 17. bis 21. Jahrhundert Tchobans Leidenschaft für das Zeichnen und für die Architektur verbindet, hat das Ziel, das öffentliche Interesse am Genre durch Ausstellungen und Veranstaltungen zu beleben und Talente zu fördern

Sergei Tchoban provoziert und inspiriert heute die Architektenszene und die „Computer-Aided-Design“-Szene:

„Soll man heute noch das Handzeichnen erlernen? Kaum ein Architekt versucht im 21. Jahrhundert seinen Bauherrn mit Skizzen oder Perspektivansichten von seinen entwerferischen Fähigkeiten zu überzeugen. Der Großteil des Architektennachwuchses stellt sich die Frage nach handzeichnerischen Fähigkeiten gar nicht mehr.“
Allzusehr verlassen sich heutige Architekten auf Software, technische Maßsysteme und reproduzieren dann Hüllformen von Baurastern und Rasterfassaden. Hat sinnentleerte Architektur auch mit der Art zu tun, wie Architektur entsteht? Haben alle großen Architekturzeichner auch eine Verbindung zu Kunst und Malerei?

… es sind spannende Fragen, die man sich nach dem Besuch des Museums stellen kann!

Neubau Tchoban Foundation - Foto: © Roland Halbe
Museum für Architekturzeichnung Tchoban Foundation - Foto: © Roland Halbe

Analoges Denken, Zeichnen und humane Architektur

Tchoban propagiert die klassische Architekturausbildung und will wieder an die Tradition anknüpfen: „Die Entwicklung und das Training von Formen- und Proportionsfindung führen über den Gedanken und die zeichnende Hand. Begabung und Ausbildung sind Grundfesten, auf denen die Zeichenkunst bis weit in das 20. Jahrhundert hinein stand. Die S. Tchoban Foundation setzt an dieser Stelle an. Sie plant den talentierten Architektennachwuchs in der klassischen Ausbildung des Zeichnens zu fördern und ihm die beachtliche Sammlung des Stiftungsgründers zum Studium zur Verfügung zu stellen.“

Erklärtes Ziel der Stiftung ist aber auch, die fantastischen und emotionsbeladenen Welten der klassischen Architekturzeichnung in Veranstaltungen und Ausstellungen einer breiten Öffentlichkeit wieder näher zu bringen.
Nicht nur Sergei Tchoban hat an der Kunstakademie studiert, sondern alle gesammelten Werke des Architekturzeichnungsmuseums scheinen eine geheime Verbindung aufzuweisen: die Urheber und Protagonisten haben sämtlich eine frühe Beziehung zu Kunst und Malerei aufgebaut, oder sich im Beruf zum Künstler gewandelt, die ihre Visionen und Werke in eindrucksvoller Weise in Zeichnungen ausdrücken und transportieren.

Museum für Architekturzeichnung - Tschoban Foundation - Foto: © Roland Halbe
Museum für Architekturzeichnung - Tschoban Foundation - Foto: © Roland Halbe

Der Neubau auf dem Pfefferberg

Die Tschoban-Foundation hatte bis zum Sommer 2013 bisher in Häusern Dritter ausgestellt und die Zeichenausbildung junger Architekten gefördert. Das eigene Haus soll nun im doppelten Sinn zeichenhaft wirken, wie die Bauherrin beschreibt: „Die Silhouette des Gebäudes ähnelt einem losen Stapel Archivboxen oder Blattsammlungen mit Fragmenten architektonischer Zeichnungen.“
Ziel der Foundation ist nicht nur Architekturzeichnungen adäquat unterzubringen, sondern sie auch aus verschlossenen Archiven zu holen und zugänglich zu machen. Dazu stehen die beiden Galerieebenen des viergeschossigen Hauses zur Verfügung. Daneben ist zu Studienzwecken ein Archiv zugänglich.

Das Gebäude liegt auf dem Gelände des Pfefferbergs, einem ehemaligen Brauereiareal in der Christinenstraße 18 im Prenzlauer Berg, Bezirk Pankow. Das Gelände wurde 1848 für die Brauerei Pfefferberg erschlossen und weist eine wechselvolle Geschichte auf. Seit 1990 haben sich in den meist unter Denkmalschutz stehenden Gebäuden Kultureinrichtungen, Galerien, Gastronomie und Hotels angesiedelt.

Mit zum Gelingen beigetragen hat Dr. h.c. Kristin Feireiss, Gründerin und Leiterin des Architekturforums Aedes am Pfefferberg, die hier auch als Kuratorin in der Tschoban-Foundation mitwirkt.

Das neue Museumsgebäude, entworfen von SPEECH in Moskau, Architekten Sergei Tchoban und Sergei Kuznetsov, liegt am Eingang des Komplexes und schließt an die Brandwand des denkmalgeschützten Gebäudes Christinenstraße 17 an. Der Neubau ordnet sich als Teil in die Gesamtanlage „Pfefferberg” ein und überbaut kein eigenes definiertes Grundstück.

Der unterkellerte fünfgeschossige Bau erhebt sich über rechteckigem Grundriss. Der Eingang liegt, hinter der Fassade zurückspringend, an der Nordwestseite des Gebäudes. Die in Massivbauweise errichteten Geschosse kragen in verschiedenen Tiefen und Winkeln je Geschoss unterschiedlich aus dem Wandverband aus und erzeugen so den Eindruck von verschiebbaren „Schubladen”, in denen die Zeichnungen aufbewahrt werden. So erzeugt das Gebäude den Eindruck, aus den Zeichnungen gebaut zu werden (durch Abdrücke der Zeichnungen an der Außenfassade) und stellt gleichzeitig einen Stapel der Zeichnungsschubladen dar. Die Sichtbetonhülle des Gebäudes stellt sich als monolithischer, fugen- und fensterloser Körper dar. Den gesamten Baukörper, außer dem gläsernen Staffelgeschoss, überziehen mit Hilfe von Matrizenschalungen erzeugte Reliefs. Die feine Relieftextur mit periodisch angelegten architektonischen Motiven und die gelblichgraue Farbgebung des Betons verweisen subtil auf die Funktion des Gebäudes und dessen Sammlung: das Pergament als Trägermaterial von Architekturzeichnungen.

Im Erdgeschoss befinden sich die Eingangshalle, Garderobe und ein Museumsshop. Das erste und zweite Obergeschoss werden von Ausstellungsräumen eingenommen. Im dritten Obergeschoss ist neben einem Schauarchiv das Kunstdepot als separate Raumeinheit untergebracht. Das Staffelgeschoss mit einer offenen Terrasse dient vor allem sozialen Funktionen, als Besprechungs- oder Arbeitsraum der Kuratoren. Von den insgesamt knapp 450 m², die das Gebäude umfasst, sind etwa 200 m² den Ausstellungsflächen inklusive Kasse/Museumsshop zugewiesen.

Für dieses Museum finden sich in Deutschland weder bauliche noch inhaltliche Parallelen. In der Idee führt es die fast vergessene Tradition privater Kunstsammlungen und -stiftungen im 21. Jahrhundert fort, hochwertige Kunstobjekte gezielt der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Mit der Eröffnungsausstellung im Sommer 2013 wurde auch ein ambitioniertes Zeichen gesetzt: das Museum zeigte „Piranesis Paestum“ – fünfzehn Zeichnungen von Giovanni Battista Piranesi (1720–1778) aus dem Londoner Sir John Soane’s Museum – einem der ältesten Architekturmuseen weltweit.

In Verbindung mit AEDES am Pfefferberg und dem Aedes Network Campus Berlin gGmbH ist damit auf dem Pfefferberg ein wertvoller Hotspot der internationalen Architekturszene entstanden.

Museum für Architekturzeichnung - Tschoban Foundation - Foto: © Roland Halbe
Bibliothek Museum für Architekturzeichnung - Tschoban Foundation - Foto: © Roland Halbe

Aktuelle Ausstellung:
Architektur im Kulturkampf. Russische und sowjetische Architektur in Zeichnungen. 1900–1953

21. September 2013 – 14. Februar 2014 (verlängert bis 21. März 2014)

Die Geschichte der russischen Architektur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist geprägt von großen Widersprüchen. Schon ihre Ursprünge deuten darauf hin. Während die Avantgarde des neuen, bis heute radikal anmutenden Konstruktivismus vorwiegend in der Hauptstadt Moskau angesiedelt war, sahen sich die Verfechter des neoklassischen Stils der traditionellen Baukunst Sankt Petersburgs verpflichtet. Dabei galten beide Strömungen zunächst jeweils als Architektur der Revolution. In den 1920er Jahren kreuzten sich Ihre Linien und offenbarten nicht nur künstlerische Gräben sondern auch unterschiedliche Ideologien. Der Neoklassizismus, von den Bolschewiki zum Inbegriff von Kultur und Repräsentation erhoben, erstarkte im darauffolgenden Jahrzehnt zum beherrschenden Nationalstil der Sowjetunion, drängte modernere Strömungen an den Rand der künstlerischen Szene oder bestenfalls in eine Art Synthese, im Stil vergleichbar mit dem westlichen Art déco.

Die Ausstellung beleuchtet anhand der umfangreichen Sammlung Sergei Tchobans die ideologische und künstlerische Kluft zwischen den beiden architektonischen Hauptströmungen von der Jahrhundertwende bis zum Tode Stalins im Jahre 1953. Sie gibt in ausgewählten Beispielen den Blick frei auf das Spannungsfeld zwischen Tradition und Fortschritt, Kunst, Technik, Geschichte, Visionen – und nicht zuletzt auch auf die kulturelle Konkurrenz der beiden russischen Metropolen Sankt Petersburg/Leningrad und Moskau.
Zur Ausstellung ist auch ein ausführlicher Katalog erschienen.

Der Eintritt: 5 €, ermäßigt 3 €
Führungen: Anmeldung unter 030-43739090 – Kosten: Eintritt + 1 €

Öffnungszeiten
Mo–Fr 14 – 19 h, Sa / So 13 – 17 h

Öffnungszeiten an den Weihnachtsfeiertagen, Silvester und Neujahr:
26. und 27. Dezember 2013 14 – 19 h
28. und 29. Dezember 2013 13 – 17 h
30. Dezember 2013 14 – 19 h
31. Dezember 2013 geschlossen
1. Januar 2014 geschlossen

Anmeldung unter 030-43739090 oder mail@tchoban-foundation.de

Museum für Architekturzeichnung, Christinenstraße 18a, 10119 Berlin-Prenzlauer Berg

Weitere Informationen:

www.tchoban-foundation.de

m/s