Donnerstag, 28. März 2024
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Pankower Tor: Ökokonto kein Ausgleich für Artenschutz und Stadtklima

Ehemaliger Rangierbahnhof Pankow

Von Michael Springer

Der Berliner Senat hat am 22. März 2022 die Gründung der Senatskommission Wohnungsbau auf den Weg gebracht, die seitdem monatlich unter der Leitung der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey tagt. Nachdem die Planungshoheit in den Berliner Bezirken und die Planungskompetenz in den Stadtplanungsämtern trotz Digitalisierung ausgehöhlt wurde, wird nun im Stil „sozialistischer Plankommisionen agiert.
Die „Geisel-Giffey-Baupolitik“ läuft dabei am Baurecht vorbei, das ganz klar Gewaltenteilung, Baurechte, Nachbarschaftsrechte und Naturschutz- und Umweltrechte vorschreibt.
Dazu kommen die EU-Beschlußfassungen und Gesetze zum Klimaschutz, die eine Bindungswirkung bis auf Ebene von B-Plänen entfalten. Obendrein hat das Bezirksamt Pankow mit dem Beschluß VIII-1337/2020 vom 25.3.2020 (öffnet PDF-Datei) den Klimanotstand erklärt.

Mit der Achten Sitzung der Senatskomkmission Wohnungsbau wurde nun beschlossen, das „Gesamtprojekt „Pankower Tor“ mit 2000 Wohnungen zügig umzusetzen.

Dabei wurde der Blick vor allem auf die Artenschutzfragen gerichtet, weil hier eine wirksame rechtliche Beanstandung und Klage zu naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung vorliegt. Der Naturschutzbund (NABU) Berlin wendet sich daher gegen eine geplante Umsiedlung der Kreuzkröten nach Brandenburg: „Kreuzkröten müssen Berliner bleiben!“

Der am 10. Februar 2022 in Regie des Investors erarbeitete und präsentierte Siegerentwurf zum „Masterplan Pankower Tor“ wurde vom NABU als „Realitätsferne Planungen am Pankower Tor“ eingestuft.

Artenschutz: eine von mehreren Schlüsselfragen am Pankower Tor

Die baurechtlichen Genehmigungsvorraussetzungen sehen nach dem Baugesetzbuch Abwägungsgebote vor (siehe: BauGB §1 § 1 Aufgabe, Begriff und Grundsätze der Bauleitplanung).

Die Artenschutzproblematik soll nun durch Nutzung des Instruments „Ökokonto“ gelöst werden, das eine Kompensation durch Flächenbereitstellung an anderer Stelle ermöglichen kann.

Es ist erklärtes Ziel der Senatskommission, das Gesamtprojekt „Pankower Tor“ mit 2000 Wohnungen zügig umzusetzen. Aufgrund seiner gesamtstädtischen Bedeutung, der zeitlichen Dringlichkeit und dem hohen Anteil an gemeinwohlorientiertem Wohnungsbau sowie der gemeinwohlorientierten Infrastruktur wie z.B. Schul- und Kitagebäuden erfüllt das Projekt Pankower Tor die Voraussetzungen für einen Zugriff auf das Ökokonto. Dieser soll nun auch ermöglicht werden.
Die Realisierung des Bauvorhabens Pankower Tor sowie die Fortführung des Bebauungsplans 3-60 sind maßgeblich von der Klärung der Artenschutzfragen sowie der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung abhängig.
Die Kernforderung des Artenschutzes: „Schutz der Tiere und Pflanzen wild lebender Arten und ihrer Lebensgemeinschaften vor Beeinträchtigungen durch den Menschen und die Gewährleistung ihrer sonstigen Lebensbedingungen.“ Der Status der Erdkröten (Bufi bufo) würde sich bei einer Umsiedlung von „gefährdet“ in „ausgestorben“ verwandeln, wenn die Tiere ins Land Brandenburg umsiedeln müssen.

Mit der Umsetzung des Bebauungsplan-Entwurfs ensteht ein großflächiger Bedarf für Ausgleichsmaßnahmen außerhalb des Plangebiets: „ Um dennoch eine Realisierung des Vorhabens und eine zügige Fortsetzung des Verfahrens zu ermöglichen, werden Maßnahmen außerhalb Berlins geprüft.“

Kreuzkröten bei der Paarung
Planungshindernis am Pankower Tor: Kreuzkröten bei der Paarung (Bufo calamita) – Foto: David Delon, gemeinfrei, Ausschnitt

Dürre, Hitzeperioden und Stadtklima-Ausgleich

Während eine Umsiedlungsaktion von Erdkröten in vergleichbare wechselfeuchte Laichgewässer noch denkbar ist, sind andere Umwelt- und Klimafaktoren untrennbar mit dem Plangebiet und seinem Umfeld verbunden.
Das gesamte Planungsvorhaben Pankower Tor belegt die letzte noch freie und verfügbare Kaltluftschneise in das nordöstliche Umland. Der Kaltluftausgleich zwischen Innenstadt und Außenstadt und Umland ist eine essentielle Funktion des Stadtklimas, die über die Wohn- und Lebensqualität im Umfeld mit entscheidet.
Laut DWD lag die Durchschnittstemperatur in Deutschland im Jahr 2021 mit 9,1 Grad Celsius (°C) um 0,9 Grad über dem Wert der international gültigen Referenzperiode 1961 bis 1990.
Mit 10,1 °C (9,1 °C) war die Hauptstadt Berlin 2021 vor Bremen und Hamburg die wärmste Region und mit 560 l/m² (573 l/m²) das niederschlagsärmste Gebiet. Zudem wurden 1665 Sonnenstunden (1635 Stunden) erfasst. Während einer landesweiten Hitzewelle stieg das Quecksilber am 19.6. 2021 in Berlin Tempelhof und auch in Baruth, 50 km südlich von Berlin, auf den bundesweiten Jahreshöchstwert von 36,6 °C. Am Ende wurde der Juni, auch dank einiger Tropennächte, der drittwärmste Monat.

Für die Stadtplanung ergeben sich daher elementare Abwägungsgebote, die den Hitzeschutz und vor allem auch den Stadtklimaausgleich betreffen. Da weder Berlin noch der Bezirk Pankow bisher Hitzeschutzpläne zum Schutz vor allem der älteren Wohnbevölkerung und kranker Bürger:innen haben, liegt hier ein schwerwiegendes klimapolitisches Versäumnis vor!
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat schon 2011 einen Stadtentwicklungsplan Klima (öffnet PDF-Dokument) entworfen, der bis heute nicht im Baugenehmigungsrecht angekommen und auch nicht politisch konzeptionell abgesichert ist.
Auch das Bündnis Klimastadt 2030 träumt noch grüne Zukunftspläne von „Klimaresilienz“, während der Dürremonitor im Boden auf Dauer „dunkelrot“ anzeigt.

Bei Verdunstungsraten von 140 mm im Juli-August dürfte auch dem letzten Gärtner klar werden: in Berlin kann künftig kein Straßenbaum ohne künstliche Bewässerung überleben! — An Hitzetages kommt dazu der Faktor „durstige Luft“, der allen Pflanze und Blättern zusätzlich Wasser entzieht.
Absinkende Waserspiegel bei Teichen und Seen deuten auf eine negative Wasserbilanz — vor allem im Nordosten von Berlin hin. Halten die Trends an, wird es weder mit dem Konzept der „Schwammstadt“ noch mit der Idee der „Klimastadt 2030“ genügend Wasser für 4 Millionen Einwohner geben!

Klimabilanz: mit jeder Baumfälllung gehen Baumkronenvolumen, Beschattung & Kühlungseffekte verloren - Foto: Pixabay /FLL
Klimabilanz: mit jeder Baumfälllung gehen Baumkronenvolumen, Beschattung & Kühlungseffekte verloren – Foto: Pixabay /FLL

Grundsteuer und Wertsteigerungen als Zusatzfaktor

Mit der Abgabe der Grundsteuer-Erklärungen wird in Berlin eine nächste Kostenspirale in Gang gesetzt, die ab 1.1.2025 zu einem Sprung bei Mieten und Gewerbemieten führt. Die Neubemessung der Grundsteuer wird dann auch in den Nachbarschaften neuer Bauvorhaben zum Problem, denn die Wertsteigerungen drücken dann nach und nach auch in bestehenden Mietverhältnissen dynamische Neubewertungen hinein. Vor allem in Altbauten wird es daher zu überraschenden Mietkostensteigerungen kommen. Die Höherentwicklung am Pankower Tor muss dann auch in der Nachbarschaft nach den Gemeinwohlprinzipien bei der Grundsteuer mitgetragen und bezahlt werden.

Die Frage der Aufkommensneutralität der Grundsteuer und die entsprechende Absenkung der Hebesätze und die Anrechenbarkeit von Wertsteigerungen sollten daher von allen Parteien neu in den Blick gerückt werden!

m/s