Der „geduldete“ illegale Schwebezustand in der Stille Straße 10 dauert an, doch eine wichtige Vorentscheidung ist gefallen: Das Haus wird in das Immobilienvermögen des Bezirks Pankow übertragen. Stadträtin Lioba Zürn-Kastantowicz (SPD) gibt das Objekt aus dem „Fachvermögen“ ab – künftig ist Städträtin Christine Keil (Die Linke) für das Objekt zuständig.
Seniorenfreizeitstätte Stille Strasse 10
Zur letzten BVV am 29.8.2012 in der Fröbelstrasse hatten die Senioren und Besetzer noch einmal mobil gemacht. Transparente, eine Trommelgruppe und ein mobiles Studio des RBB fuhren auf, begleitet von einem knappen Dutzend Kameraleuten.
Doris Syrbe durfte als Vertreterin der Senioren vor der BVV ihre Sicht vortragen, und erinnerte daran, wie seit März um den Erhalt der Begegnungsstätte gekämpft wurde und wie die Schließung durch die inzwischen 61 Tage andauernde Besetzung verhindert wurde.
Der Betrieb wurde unterdessen ehrenamtlich offen gehalten, 22 Gruppen haben Angebote forgesetzt. Lesungen, Menschen aus alles Bezirken nutzten das Angebot. Kämpferisch betonte Doris Syrbe: „Wir haben 12.602 Unterschriften gekommen … Wir lassen uns nicht unterkriegen!“
Auch die Gemeinschaft der Senioren hat sich nach Syrbes Angaben gefestigt: „Wir wollen mitbestimmen und nicht entmündigen lassen“. Gleichzeitig bekundete sie die Sorge, die beschlossene Trägerabfrage könne ohne Erfolg bleiben.
Senioren-Protest in der BVV-Sitzung vom 29.8.2012
Streit zwischen der BVV-Mehrheit und der BVV-Linksfraktion besteht in der Frage, ob die Immobilie aus dem Fachvermögen der Sozialstadträtin in das Finanzvermögen des Bezirks überführt wird. Michael van der Meer machte seinen Standpunkt deutlich:
„Im Fachvermögen kann der Träger einen ermäßigten Pachtzins in Anspruch nehmen. Das Finanzvermögen hingegen bedeutet ganz andere Preise und Zinsen“ Außerdem: „Die Übertragung hieße, das Haus als leere, ungenutzte Immobilie zu deklarieren“.
Sozialstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD) machte dagegen deutlich, das die Einrichtung Ende Juni geschlossen worden sei. Der Status“ Geschlossen“ – „Die jetzige Nutzung sei illegal.“
Sie erläuterte auch, das es im Sozialhaushalt keinen weiteren Spielraum gibt, und „es an anderer Stelle im Bezirk weiße Flecken in der Seniorenbetreuung gibt“. Gleichwohl werden die Angebote der „Stillen Straße” aber in anderen Einrichtungen erhalten bleiben, was die Senioren aber ablehnen (Anmerkung d. Red.: gemeint sind die Kurs- und Betreuungsangebote).
Lioba Zürn-Kasztantowicz unterstützt jedoch die beschlossene Trägersuche. „Bevor es zu einer Entscheidung kommt, „muss ein möglicher neuer Träger ein schlüssiges Konzept vorlegen“, unterstrich Zürn-Kasztantowicz.
Rona Tietje (SPD) erläuterte noch einmal die schwierige Finanz-Sitation des Bezirks, die zu dem Schließungsbeschluß im Frühjahr geführt hatte. Gleichzeitig erläuterte sie die veränderte Position, nachdem Träger der Wohlfahrtspflege sich nun für eine Übernahme der Stille Strasse 10 interessiert hatten.
„… der Finanzausschuss der BVV hat einem Vorschlag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mehrheitlich zugestimmt, der eine gezielte Interessensabfrage für die Übernahme der Stillen Straße 10 durch einen Freien Träger der Wohlfahrtspflege ermöglicht,“ so Rona Tietje.
Cornelius Bechtler (Bündnis 90/Grüne) machte noch einmal deutlich, dass der Träger nicht mit finanzieller Unterstützung des Bezirks rechnen könne – und warnte vor den bevorstehenden Risiken im Haushalts 2013, in dem der Bezirk zusätzlich zu den Mehrausgaben des Jahres 2012 weitere 1,8 Mio. € sparen müsse.
Die Interessenabfrage wurde gewählt, weil man wegen des bestehenden Zeitdrucks kein offenes Interessenbekundungsverfahren mit entsprechend langen Vorlauf-Fristen durchführen kann.
Jan Schrecker von der Piratenpartei legte noch einmal offen, wie die schnellen Haushaltsentscheidungend des Frühjahrs zu schnellen Beschlüssen gezwungen hatte und keine ausreichende Zeit für die Entwicklung von Konzeptionen ließen.
Sebastion Bergemann (CDU) warf der BVV-Mehrheit in vor, mit der Interessenabfrage viel zu enge Fristen gesetzt zu haben, was eine seriöse Lösung in Frage stellen wird. Er nannte das Verfahren aufgrund der kurzen Fristen „unrealistisch” und „nicht nachhaltig” und forderte eine längere Entscheidungsfindung.
Der Beschluß zur Überführung der Immobilie ins Immobilienvermögen wurde schließlich mehrheitlich beschlossen – und damit wurde faktisch ein zweites Mal eine Schließung der „Stille Strasse 10“ beschlossen.
Der erste Haushaltsbeschluß vom 14.3.2012 zur Schließung wurde durch die Besetzung unterlaufen. Mit der Aneignung der Schlüssel des Objektes durch die „Senioren-Besetzer“ begann der rechtliche Schwebezustand der „Stille Strasse 10“ seit 1. Juli 2012.
Mit dem Beschluß zum Übergang des Objektes ins Immobilienvermögen des Bezirks vom 29.8.2012 sind neue baurechtliche Tatsachen entstanden. Eine Wiederinbetriebnahme im gegenwärtigen Zustand ist nun völlig ausgeschlossen. Nur eine Neueröffnung nach bauaufsichtlicher Neuzulassung wäre nun möglich.
Was auf den ersten Blick als „politische Bosheit“ gedeutet wird, ist jedoch vor allem der jahrelangen Unsicherheit über den zukünftigen Umgang mit der Immobilie „Stille Strasse 10“ geschuldet – die schon einmal geschlossen werden sollte. Notwendige Instandhaltungsmaßnahmen wurden aufgeschoben, weder wurde die geforderte Barrierefreiheit hergestellt, noch werden neueste Brandschutz-Richtlinien eingehalten. Der Bezirk hatte damit auch ein unwägbares Betreiber-Risiko getragen.
Für die interessierten Träger steigen damit die Übernahme-Kosten, denn bislang hat noch niemand nachgerechnet, ob sich bei dem Objekt ein Umbau überhaupt noch lohnt.
Die in den fünfziger Jahren zeitweilig von Erich Mielke bewohnte „Villa“ ist nie als Seniorenfreizeitstätte konzipiert worden, und letztlich auch viel zu klein, um als „Versammlungsstätte“ für rund 300 interessierte Senioren dienen zu können.
Die neu zuständige Stadträtin Christine Keil (Die Linke) muß nun die Interessen-Abfrage der Wohlfahrtsträger abwarten. Eveline Lämmer, stellvertretende Vorsitzende der Berliner Volkssolidarität und den Besetzern besonders persönlich verbunden, bekundete zwar öffentlich an, es gebe gute Chancen, daß die Volkssolidarität das Gebäude übernimmt. Auch die Landesvorsitzende der Volkssolidarität, Heidi Knake-Werner machte Vorbehalte geltend: „Als Sozialverband haben wir Verantwortung für Senioren“. „Vor einer solchen Entscheidung müssten aber die realen Kosten offen gelegt werden.“ „Außerdem müsste der Bezirk über die Bedingungen nachdenken, zu denen wir die Trägerschaft übernehmen“.
Der geduldete Schwebezustand in der Stille Strasse 10 wird nun weitergehen – und erst Ende September 2012 wird sich eine neue Perspektive abzeichnen.
Entscheidend wird nun der spitze Rechenstift: 60.000 € jährliche Betriebskosten – einschließlich Hausmeister und wenigstens 250.000-350.000 Umbaukosten sind auch für große Träger keine Kleinigkeit. Dafür könnte man andernorts auch einen zeitgemäßen Pavillion an anderer Stelle neu anbauen.
Für Stadträtin Christine Keil (Die Linke) wird das Objekt im Herbst zur ungewollten Bewährungsprobe, weil sie nun selbst den spitzen Bleistift auf dem Tisch haben muß – und den rechtlichen „illegalen“ Schwebezustand mit den Besetzern irgendwie beenden muß.
Vielleicht wird es sogar ein „kreativer Schwebezustand“: bis zur bereits geplanten „Senioren – BVV 2012 am 24.Oktober 2012 könnte noch eine überraschende konzeptionelle Alternative auf den Tisch kommen!