Das „Berliner Gesetz zur Einführung von Immobilien- und Standortgemeinschaften“ soll gezielt den Handel in der Hauptstadt stärken. Bezirksbürgermeister Matthias Köhne (SPD) lud zum Dienstag, dem 12. Mai 2015, in den großen Saal des Rathauses Pankow zur Informationsveranstaltung ein.
Geringe Resonanz
Die Veranstaltung war schwach besucht. Zu Beginn der Veranstaltung gab Axel Hansen, Leiter des Büros für Wirtschaftsförderung im Bezirksamt Pankow, die Entschuldigung des Bezirksbürgermeisters für seine Abwesenheit bekannt.
Die spärliche Resonanz war wohl ein Tribut an eine unglückliche Terminlegung, denn König Fußball lockte nur wenig später an die Bildschirme: zum Champions League Semifinalspiel Bayern München gegen FC Barcelona.
Fachleute auf dem Podium
Auf dem Podium saßen Christof Deitmar (IHK Berlin), Axel Hansen, Niels Busch-Petersen (Einzelhandelsverband) und Andreas Wunderlich (Brandenburgische Stadterneuerungsgesellschaft BSG). Wunderlich ist hat sowohl als Quartiersmanager und im Einzelhandels- und Altstadtmanagement in Spandau und Neukölln Erfahrungen, und sorgte für die erfahrungsbasierte Information.
Scharfer Wettbewerb im Einzelhandel – Business Improvement als Antwort
Im umständlichen Einladungstext hieß es zunächst:
„Vor dem Hintergrund des sich verschärfenden Wettbewerbs zwischen verschiedenen Standorten sowie des zunehmenden Kaufkraftabzugs durch den Online-Handel halten viele Immobilieneigentümer und Unternehmer es in Hinblick auf die Existenzsicherung für äußerst wichtig, Maßnahmen zur Verbesserung der Attraktivität und Wahrnehmung der jeweiligen Geschäftsstraße zu ergreifen. Dabei kann vieles nur von oder mit den Eigentümern bzw. den Gewerbetreibenden selbst realisiert werden.“
Ziel der Veranstaltung war es, das neue Gesetz über Standortgemeinschaften bekannt zu machen, das nach langen Wehen im Oktober 2014 verabschiedet wurde. Der genaue Titel wird hier nachgereicht:
Berliner Gesetz zur Einführung von Immobilien- und Standortgemeinschaften
(Berliner Immobilien- und Standortgemeinschafts-Gesetz – BIG) Vom 24. Oktober 2014 – Link
In der Gesetzes-Systematik ist das BIG-Gesetz ein Novum, weil es praktisch nur auf Antrag in Kraft treten kann, und örtlich begrenzt nur dort angewendet werden kann, wo sich Standortgemeinschaften bilden. Erschwerend kommt hinzu: ein Quorum wird benötigt, es müssen sich mindestens 15% der Immobilieneigentümer bereit erklären, eine Standortgemeinschaft ins Leben zu rufen.
Das BIG-Gesetz hat vor alllem die Einzelhändler an einem Standort im Blick, deren Geschäfte im Wettbewerb mit Einkaufscentern und Malls mithalten sollen.
Das Big-Gesetz stattet Standortgemeinschaften mit einem Instrumentarium als „Aufgabenträger“ und einer „Finanzierungsquelle“ aus, sofern es ihnen in einer konkreten Standortlage gelingt, ausreichend Immobilieneigentümer zu mobilisieren.
Standortgemeinschaft: Verein, Interessengemeinschaft, Wirtschaftsverein
Standortgemeinschaften bilden sich in der Regel als Verein, zu Beginn auch als einfache GbR, auch IG genannt. Meist geht die Initiative von Einzelhändlern aus, die ihre Geschäftsstraße oder ihren Kiez beleben wollen, und für Gemeinschaftswerbung, verbesserte Angebote, einen bunteren Ladenmix und viele attraktivitätsverbessernde Angebote eintreten wollen.
Doch woher kommt das Geld? Das Big-Gesetz nimmt die Eigentümer und Vermieter in die Pflicht: sie sollen eine Abgabe leisten, die jährlich je nach Einheitswert der Immobilien bemessen wird. Bei 100.000 € Einheitswert dürfte die Umlage etwa 163 € im Jahr betragen. Bei 1 Million € Einheitswert etwa das ein überschaubarer zehnfacher Betrag.
Es ist ein Betrag, mit dem eine Einkaufsstraße ihre Weihnachtsbeleuchtung organisieren kann, aber auch Stadtfeste, Gemeinschaftswerbung und ein koordinierendes Geschäftsstraßenmanagement, dessen Honorar auf jährlich maximal 20.000 € begrenzt ist. Diese Limit sorgt dafür, dass sich aus der Aufgabe kein Haupt-Beruf, sondern allenfalls eine qualifizierte Nebentätigkeit ergibt.
Erst grün, dann schwarz – der Weg zum BIG-Gesetz
Der Weg zum BID-Gesetz war in Berlin beschwerlich. Bündnis 90/Grüne hatten zuerst die Initiative übernommen und 2013 einen ersten Gesetzentwurf vorlegt. Der grüne Gesetzentwurf ging auf die Berliner Struktur ein: „Ein Berliner Gesetz kann nicht einfach die Vorlagen anderer Bundesländer kopieren. Aufgrund der vielfältigen Geschäftsstrassen-Struktur und der starken Mischung von Gewerbe und Wohnen in Berlin sollen AnwohnerInnen von Anfang an ernsthaft einbezogen und soziale, ökologische und kulturelle Belange besonders berücksichtigt werden.“
Die große Koalition von SPD und CDU vereinbarte die Schaffung eines solchen Gesetzes, und im Frühjahr 2014 legten beide auch den Entwurf des BIG-Gesetzes vor.
Natürlich wurde auch hier ein Berliner Sonderweg beschritten, der für Verwirrrung sorgt. Die große Koalition redet vom „BIG-Gesetz“, während sich bundesweit der Begriff „BID-Gesetz“ durchgesetzt hat. Auch Berlins Grüne reden vom Business Improvement (BID).
Sowohl Bündnis 90/Grüne als auch CDU haben Leitfäden (CDU:Leitfaden zum BIG Gesetz) Thema Business Improvement District herausgegeben, die Charakter und Umsetzung des Gesetzes beschreiben. Konsequenterweise heisst das grüne Pendant „Grüner Leitfaden BID – Immobilien- und Standortgemeinschaften in Berlin“, der nur noch per Post bei der Landesgeschäftsstelle bestellt werden kann.
Enorme Starthindernisse befürchtet
Ein qualifiziertes Quorum sorgt dafür, dass Standort-Initiativen ein gewisses „Gewicht“ entfalten müssen, um überhaupt wirksam werden zu können.
Die Initierung derartiger Standortgemeinschaften ist ein Engpaß, denn die selbstständigen Einzelhändler sind bei einem hohen Filialisierungsgrad der großen Einzelhandelskonzerne das schwächste Glied im Kiez. Vor allem Immobilieneigentümer müssen mit aktiv werden, bevor Leerstand, Wertverluste und ein mögliches Downgrading eintreten.
Niels Busch-Petersen erinnerte daran, dass es vor über 3 Jahren noch vielfach in Geschäftsstrassen kritisch aussah, und wir heute eine veränderte Lage mit einer wachsenden Stadt haben. Auch in Pankow ist es zu sehen, wenn man den Wandel der Berliner Straße betrachtet, und neue attraktive Läden und Angebote entstehen.
Kurzvortrag zum Thema Business-Improvement
Diplomingenieur Andreas Wunderlich stellte in einem Vortrag einen einen einführenden Überblick und den Ansatz für das Business Improvement vor. Der „BID-Ansatz“ sieht vereinfacht vor, dass Grundeigentümer die Initiative in die Hand nehmen.
Aus seinen Erfahrungen in Spandau heraus empfahl er, dass Einzelhändler Immobilieneigentümer gezielt und persönlich ansprechen.
Dazu muß aber angemerkt werden: der Erfolg der Spandauer Altstadt-Initiative baut auf Unterstützung des Wirtschaftskreis Spandau e.V. auf, dem allein über 400 Firmen angehören.
Zugleich sind in der Spandauer Altstadt nur ein gutes Dutzend Immobilieneigentümer tatsächlich involviert. Die Krise erreichte dort nach über 10 Jahren auch die wirtschaftliche Substanz der Vermieter, die irgendwann selbst handeln „mussten“.
Startschuß für eine weitere Diskussion
Im spärlichen Publikum waren immerhin drei Standortinitiativen vertreten, sodass die Veranstaltung wenigstens einen Startschuß für die weitere Diskussion setzte.
In Pankow gibt es bereits mehrere „Standortgemeinschaften“ in unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Der Florakiez funktioniert als informelle und lebendige Kiezgemeinschaft, die sich durch vorwiegend junge Geschäftsinhaber und Unternehmerinnen organisiert hat.
Die IG Alt-Pankow hat sich nur minimal entfaltet, und umfasst zu wenige Unterstützer. Es reicht derzeit nicht einmal mehr die Kraft aus, um eine angemessene Weihnachtsbeleuchtung zu finanzieren. Leider zieht sich die Rathauspassage aus der Finanzierung auch zurück, und so gibt es Erneuerungs- und Handlungsbedarf.
Anders sieht es in Weißensee aus: hier wurde in einem beispiellosen Kraftakt eine neue Weihnachtsbeleuchtung finanziert, die auch berlinweit als beispielhaft wahrgenommen wird. Die IG-City Weißensee funktioniert als „Berliner Mischung“ vorwiegend mittelständischer Händler.
Bei der Weißenseer Spitze gibt es Startschwierigkeiten, hier prangt ein von einem Künstler gestalteter schwarzer Trauerbalken auf der ersten Internetseite. Die Initiative hat im ersten Jahr der Aktivität Feste, Weihnnachtsaktionen und Kunstaktionen organisiert. Gleichzeitig wurden aber auch fünf Geschäfte aufgegeben, über 3.500 Artikel und eine Sparkassenfiliale sind aus dem Angebot der Gustav-Adolf-Straße verschwunden. Inzwischen hat die Sparkasse wenigstens wieder einen Geldautomaten eingerichtet, und ein paar wagemutige neue Geschäfte und ein Back-Café an der Spitze sorgen für neuen Schub.
Auch in Karow gibt es so etwas wie eine Standortgemeinschaft, die aber nur im Karower Bezirksteil bekannt ist. Ein Karow-Guide wird einmal jährlich verteilt. Das Café Rosinchen und der Vermieter ALLOD entfalten viele Aktivitäten, bis hin zu Festen und Flohmärkten, die die Achillesstraße und die Piazza Karow beleben.
Im Kiez Kastanienallee / Oderberger Straße gibt es die IG Casting-Carree e.V. Der Verein war Gewinner des Wettbewerbs “MittendrIn Berlin! Die Zentren-Initiative” 2012. Die Jury der gemeinsamen Initiative der IHK Berlin, der Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung und Umwelt sowie Wirtschaft, Technologie und Forschung und Partnern aus der Wirtschaft hatte den Wettbewerbsbeitrag des Vereins “CastingCarrée – Gestern, Heute, Morgen” als Gewinner ausgewählt.
Das CastingCarrée-Festival No. 1 am 23.-25.08.2013 bliebt bisher die einzige größere Aktivität, was angesichts gestiegener Kosten für Sondernutzungen und Sicherheit verständlich ist.
Auch in der Schönhauser Allee ist eine Initiative gestartet, und in der Stargarder Straße gibt es eine kleine im Kiez bekannte Gemeinschaft von Händlern, Gewerbetreibenden und Ärzten, die eine eigene Internetseite betreiben.
Die vielen Pankower Initiativen sind ein Zeichen für Engagement und Aufbruchstimmung unter den Einzelhändlern, die nun endlich auch auf Seiten der Immobilieneigentümer und Vermieter mehr Unterstützung verdienen.
Weitere Informationen:
Sonderveröffentlichung:
Einzelhandel zwischen Kiez & Metropole
Wie City-Marketing, Citymanagement und informelles Business Improvement die Berliner Mischung fördern können
Aus dem Inhalt:
– Einladen & Locken, statt „Werben & Sterben“ – kostengünstig Kunden gewinnen und binden
– Flair und Charme, wie baut man das in eine Geschäftsstraße ein?
– E-Commerce, Abo-Commerce, Orderdienste, neue Vertriebskanäle – wer blickt noch durch?
– Online-Konkurrenz und Handelschancen im Quartier
– Zwischen Nahversorgung und neuen Kundenzielgruppen – wie positioniert sich eine Geschäftstrasse?
– Zwischennutzung und Zwischennutzungsverträge intelligent gestalten
– Informelle Infrastrukturen von Geschäftsstraßen und Zentren
– Monetäre Anreize, Aktionen und Attraktionen für Kunden
– Internet, mobiles Internet und Lokale Medien als Stadtinformationssystem
– IG, GbR, eingetragener Verein oder Gewerbeverein – Organisationsformen.
Die Sonderveröffentlichung erscheint am 1.9.2015
Preis: 71,40 €. ca. 80 Seiten. Whitepaper als PDF oder Copyprint.
Anfragen: redaktion@pankower-allgemeine-zeitung.de