Die Unterbringung von Flüchtlingen in Berlin ist seit Wochen und Monaten Krisenthema der Politik. Wurden zunächst mobile Unterkünfte wie im Refugium Buch aufgebaut, so musten nach und nach immer mehr Sporthallen beschlagnahmt und als Notunterkünfte umgewidmet werden. Container-Module waren sogar zeitweise bundesweit ausverkauft – die Produktion kam nicht nach. Bausenator Andreas Geisel (SPD) trieb unterdessen sein „Modulbau-Programm“ voran, das mit dem beschämenden Akronym „MUF“ für „Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge“ garniert wurde.
Architekten wurden eingeschaltet, und ein Entwurfskonzept im beschränkten Wettbewerb erstellt, das eine berlinweite modulare Einheitsbauweise auf ästhetisch sparsamsten Niveau – mit energetisch hohen Standard vorsieht. Entgegen den Empfehlungen des Bundesbauministeriums wird ein „Sonderprogramm für Flüchtlinge“ aufgelegt, und ein Berliner Sonderweg mit Gemeinschaftsunterkünften beschritten. Florian Pronold, Staatssekretär im Bauministerium hatte ausdrücklich gefordert, sozialen Wohnungsbau zu forcieren, damit es nicht zu Ghettobildung und Folgeproblemen fehlender Integration kommt.
In einer kleinen Arbeitsgruppe wurde eine Liste von rund 100 möglichen Standorten erstellt, auf denen „MUF´s“ gebaut werden sollen. Die Liste wurde im November 2015 unter großer Geheimhaltung erstellt und dem Rat der Bürgermeister Anfang Dezember 2015 zur Kenntnis gegeben (Ulrich Paul | 3.12.2015 | Berliner Zeitung). Insgesamt sollen an 60 Standorten rund 24.000 Menschen untergebracht werden. Je Standort etwa 450 Personen. Allein im Bezirk Pankow standen 11 Standorte auf der Liste. Vor allem im Raum Buch und Karow und Französisch Buchholz, sowie in der Stadtrandsiedlung Malchow waren Standorte geplant.
Flüchtlingswelle baurechtlich langfristig vorbereitet
Die krisenhafte Ausweitung der Flüchtlingszahlen ist offensichtlich nicht so überraschend gekommen, wie die das Medienecho vermuten lässt. Tatsächlich hat die Flüchtlingswelle die Kommunen nicht über Nacht getroffen:
Das Gesetz über Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen“ ist nach der erfolgten Verkündung im Bundesgesetzblatt (Nr. 53) am 25.11.2014 (BGBl. I S. 1748) einen Tag später und damit am 26. November 2014 in Kraft getreten.
Offensichtlich wußte man schon sehr früh, was noch kommen „sollte“. Es gab damit so etwas wie eine politische Planung, deren Urheberschaft noch hinterfragt werden muss. Das mit dem Gesetz novellierte BauGB hat für die Städte und Gemeinden städtebaurechtliche Flexibilisierungen zur Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerber geschaffen. Die Art der baurechtlichen Feinjustierung läßt eine Vorbereitung „von langer Hand“ erkennen (vgl. Norbert Portz und Bernd Düsterdiek | 28.5.2015 | Deutscher Städte- und Gemeindebund, 28.5.2015)
Wichtig zur Einschätzung der heutigen Lage in Pankow: Spätestens mit dem 26.11.2014 hätte jede vorausschauende Gemeinde- und Kommunalvertretung Vorsorge treffen können, und Bedarfsstandorte festlegen können. Der Königssteiner Schlüssel ist zudem seit sehr sehr langer Zeit bekannt. – Die parteiübergreifende Detailverliebtheit der Pankower Bezirksverordneten sorgt jedoch dafür, dass im stark wachsenden Bezirk Pankow keine ausreichende Zukunftsvorsorge getroffen werden kann.
Protest der Bezirksbürgermeister war vorhersehbar
Staatssekretärin Margaretha Sudhoff bei der Senatverwaltung für Finanzen musste aus vielen Grundstücken auswählen. Insgesamt waren noch ca. 5.500 landeseigene Liegensschaften potentiell im Angebot, viele davon aber ungeeignet. 51 Grundstücke blieben übrig (Ralf Schönball | 1.12.2015 | TAGESSPIEGEL), von denen „35 kurzfristig bebaut werden können.“
Kurzfristig, das heißt nach bisherigen Plänen ein Baubeginn noch im Jahr 2016, ein Erstbezug im Jahr 2017. Mit Glück und guten Wetter wird es 2016 vielleicht 1-3 fertige Standorte für MUF´s geben.
Die tatsächliche Bedarfszahl für Standorte von modularen Unterkünften ist natürlich umstritten, und hängt von den zu erwartenden Flüchtlingszahlen ab. Auch die Ergebnisse der bevorstehenden EU-Konferenz zur Flüchtlingspolitik werden noch zu berücksichtigen sein.
Hinter den Kulissen gibt es seit November 2015 heftigen Streit und Gerangel um Standort. Das Problem der Senatsverwaltungen: sie wollen Ordnung ins Chaos der Zuwanderungswelle bringen. – Das Problem der Bürgermeister: sie müssen die baurechtliche Einpassung herstellen. Ferner muss die bereitzustellende Infrastruktur gesichert werden, wie etwa Kita-Plätze, Schulplätze und Willkommensklassen – nebst Betreuungspersonal und Lehrkräften. Ein riesiger Fehlbedarf tut sich bereits bei Lehrern auf. Obendrein wächst die Einwohnerzahl – und der absehbare Mehrbedarf für Schulraum ist nicht gedeckt.
Die Flüchhtlingskinder müssen daher voraussichtlich in den Verwaltungstrakten der modularen Unterkünfte Kitaplatz und Schulraum bekommen.
Obendrein geht man in ein Wahljahr. Jeder Kandidat, jede Kandidatin werden im unmittelbaren Wahlkreis und in der Nachbarschaft gewählt. Es macht daher lokalpatriotisch Sinn, den einen oder anderen Standort zu verhindern – oder aufzuschieben.
Situation in Pankow
Bezirksbürgermeister Matthias Köhne (SPD) hatte in der Bezirksverordnetenversammlung Pankow im Dezember scharfe Kritik am Senat geübt, weil in die bezirkliche Planungshoheit eingegriffen wird. Doch diese Kritik ging bereits fehl, weil bereits seit 2014 eine Planungsvorsorge des Bezirkes notwendig gewesen wäre.
Der Senatsverwaltung blieb gar kein anderer Weg. Zudem sind derartige Standortfestlegungen immer unpopulär. Dazu kamen schwach besetzte Planungsämter in ganz Berlin, und Bezirksverordnete, die sich lieber für die Beleuchtung von Schulhöfen, Heckenrückschnitt und „Gender Budgeting“ – statt für unangenehme Zukunftsfragen interessieren.
Stadtrat Jens-Holger Kirchner (Bündnis 90/Grüne) hat seine Abteilung Stadtplanung modernisiert, und steht mit gut geschulten Personal, Teamarbeit und elektronischer Bauakte trotz Aufstockung an der Leistungsgrenze. Über 100 Bebauungspläne und viele Baugenehmigungen laufen parallel.
Die zuständige Abteilung Soziales mit Stadträtin Zürn-Kastantowicz ist mit einer viel zu kleinen Abteilung am Werke, um noch vorausschauende Planung zu machen. Die Stadträtin ist überlastet.
Obendrein sind zwei fest kalkulierte Schulen im Zusammenhang mit dem Planungs-Stau am Pankower Tor im Verzug. Hier hätte 2017 mit dem Bau begonnen werden müssen – die Schulentwicklungsplanung in Pankow hängt insgesamt fest.
Damit gerät die Gesamtverantwortung der in Pankow regierenden Parteien und die Verantwortung des Bezirksbürgermeisters in den Blick: arbeitet man zu detailverliebt, und hat man die großen Bogen vergessen? Genügt es, die Abteilung Stadtentwicklung auszubauen – oder hätte man rechtzeitig personelle Vorsorge im Bereich Soziales, Schule und Kita schaffen müssen?
Pankows Bürgermeister befindet sich nun seit Dezember in höchster Not: 11 Standorte von modularen Unterkünften lassen sich weder organisatorisch noch in der Versorgung mit notwendiger Infrastruktur absichern.
Vor allem aber werden langjährig vorbereitete Gutachten und Absprachen mit Bürgerbeteiligung obsolet. In Berlin Buch wird deshalb besonders darum gekämpft, die ursprünglich bis zu acht gelisteten Standorte von MUF´s zu verhindern.
Hier steht die gesamte Ortsteil-Entwicklung und die geplante Weiterentwicklung des Campus Berlin Buch auf dem Spiel. Hinter der Kulisse wurde daher zwischen den Beteiligten darum gerungen, die bisher erlangte Planungssicherheit im Interesse der wirtschaftlichen und städtebaulichen Gesamtentwicklung zu verteidigen.
Das Konzept der modularen Unterkünfte (MUF)
Das favorisierte Konzept der modularen Unterkünfte wurde von aim architektur management Busse Architekten Ingenieure im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Abt. V). geplant. Die Betonfertigteilbauten sollen nach einem einheitlichen Konzept entstehen.
In viergeschossigen Gebäuden werden Zimmer und Wohnungen für Flüchtlinge und Flüchtlingsfamilien entstehen. Zwischen den Wohngebäuden liegt jeweils ein eingeschossiger „Funktionsbau“ mit Büros und Räumen für ärztliche Dienste, eine Anlaufstelle des Job-Centers. Ferner Räume für die schulische Betreuung, dazu Küche und andere Gemeinschafts-Einrichtungen.
Die Gemeinschaftunterkünfte sind so geplant, um eine „Trägerbetreuung“ sicher zu stellen. Bei der erwarteten Zahl der Flüchtlinge ist das wohl auch einer der wenigen halbwegs vernünftigen Kompromisse. Eine Unterbringung von Flüchtlingen in leere Einzelwohnungen in bestehenden Wohnanlagen wird wohl erst nach erfolgreicher Integration sinnvoll – und leistbar sein.
Geplante Standorte in Pankow
Inzwischen sind den Bürgermeistern und Bezirksämtern zwei Listen mit Standorten bekannt, die in der kommenden Woche im Berliner Abgeordnetenhaus abgestimmt und behandelt werden. Offensichtlich sollen zwei Tranchen gebaut werden. In Pankow sollen zunächst drei Standorte schnell realisiert werden:
– Lindenberger Weg 19/27
– Siverstorpstraße 9a
– Wolfgang-Heinz-Straße neben 47.
Doch es gibt eine weitere, hoch umstrittene Liste mit 45 zu prüfenden Standorten. Nach dieser Liste sollen in einer zweiten Tranche sechs weitere Standorte bebaut werden:
– Rennbahnstraße 94/95
– Blankenburger Pflasterweg 97
– Blankenburger Pflasterweg 107
– Karower Chaussee gegenüber 55
– Wiltbergstraße 29b
– Gustav-Adolf-Straße 67-74.
Die Standort-Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus wird in der kommenden Woche sehr kontrovers geführt werden. Für viele Standorte am Stadtrand bedeutet es eine gravierende Veränderung. Die gesamte Stadtentwicklung wird damit gravierend verändert.
Kurzfristig wird sich an den jeweiligen Standorten nur die bauliche Kulisse verändern.
Mit zunehmender Integration und Förderung werden sich findige und gut integrierte Flüchtlinge nicht nur auf dem örtlichen Arbeits- und Wohnungsmark integrieren, sondern auch Geschäfte und Gewerbe gründen. Das führt zu mehr Konkurrenz für den bisher ansässigen Mittelstand, der neu planen und sich mit verändern muß.