/// Kolumne /// – Heute findet die Volksabstimmung über die Zukunft des Flughafens Tegel statt. Es ist nicht nur eine Abstimmung über einen innerstädtischen Flugbetrieb, sondern eine Abstimmung und Weichenstellung für die Zukunft und Entwicklung der gesamten Metropolenregion Berlin-Brandenburg. Als man Mitte der neuziger Jahre den Flughafenvertrag schloss und die Planung für den gemeinsamen Flughafen Berlin-Brandenburg in Gang setzte, stand eine wichtige Erwartung in Raum: ein kommender Zusammenschluß von Berlin und dem Land Brandenburg zu einem gemeinsamen Bundesland.
Eine gemeinsame Landesplanung und die Entwicklungsperspektive einer gemeinsamen Metropolenregion standen im Raum, und damit eine Entwicklung wie sie in anderen europäischen Metropolen wie etwa London üblich ist.
Länderzusammenschluss wurde politisch hinterzogen
Der für die Wirtschaftsentwicklung, Raum- und Stadtentwicklung wichtige Länderzusammenschluß wurde noch in der Amtszeit des regierenden CDU-Bürgermeisters Eberhard Diepgen „politisch hinterzogen“, obwohl es eigentlich Voraussetzung für eine gemeinsame Flughafenplanung des Haupstadt-Flughafens war.
Zwei politische Eliten in Berlin und in Brandenburg entwickelten jeweils ihre eigene territoriale Agende, eine gemeinsame Landesentwicklungsplanung wurde nur halbherzig voran getrieben. Die einseitige Fokussierung auf Haushaltspolitik, die vom Bund oktroyierte Sparpolitik und der notwendige Schuldenabbau haben sowohl in Berlin, als auch in Brandenburg zu einem Verlust der strategischen Entwicklungsperpektive von Politik und Wirtschaft geführt. Die Spar- und Entwicklungspotentiale gemeinsamer Landesentwicklungspolitik wurden ausgeblendet. Sinnvolle Maßnahmen sind unterblieben, hunderte Millionen Euro wurden vergeudet – und werden noch weiter vergeudet werden müssen, um die Fehler und Unterlassungssünden zu heilen.
Vor allem hat man die gemeinsame Wachstumsperspektive ausgeblendet, und so auch wichtige Chancen verspielt, um Berlin-Brandenburg neben Frankfurt/Main und München angemessen zu positionieren. Die Insolvenz von air berlin und der Verkauf an Lufthansa ist die Langfristfolge einer völlig verfehlten Politik. Das eklatante Versagen beim Bau den Hauptterminals des Flughafen BER ist aus heutiger Sicht nur so etwas wie das „Topping“ auf einem von Politik verursachten Desaster, dessen Rechnung von allen Akteuren, Wirtschaft, Steuerzahlern, Arbeitnehmern und vor allem Berliner Mietern bezahlt werden muss.
Resultat: Völlig unverantwortliche Landesentwicklungs- und Flughafenpolitik
Aufgrund des politisch hinterzogenen Länderzusammenschluß sind mehrere landespolitische Schritte unterlassen worden:
1. Es gibt keine Landesentwicklungs- und Planungsgemeinschaft zur städtebaulichen Neuordnung des Verflechtungsraumes rund um den Flughafen BER und die kommende Airport-City. In der Folge sind wenigstens 500 Mio. € in verfehlte Grundstücksgeschäfte investiert worden. Statt Umsiedlung und Projektentwicklung von luftfahrtaffinen Branchen gewinnringend zu organisieren, werden hunderte Mio. Euro in Vergangenheit und Schallschutz für alte Häuser, falsch genehmigte Neubauten auf „Schallschutz-Erwartungsland“ und für „Stadtgerümpel“ verschleudert.
2. Die Stadt-Umland-Verkehrsanbindungen von Straße, Radwegen und Schiene wurden ausgebremst. Rund 250.000-300.000 Tagespendler zahlen heute die Zeche mit überfüllten Bahnen, Stau und vor allem Umweltbelastungen durch Abgase und Feinstaub in der Innenluft von Fahrzeugen, Bussen und Bahnen.
3. Ein Stadt-Umland-Ausgleich zwischen Berlin und Brandenburg ist unterblieben. Potentiale zur Errichtung von Sozialwohnungen und zur Verlagerung von Kleingärten an den Stadtrand wurden nicht genutzt. Wichtige Verkehrsverbindungen wie etwa die Dresdner Bahn und Stadt-Umland Verbindungn der S-Bahn noch jahrelang fehlen.
4. In Berlin hat man sich nicht ausreichend auf die steigende Verkehrsleistung in Innenstadt vorbereitet, wenn Ziel- und Quellverkehre zum Flughafen BER zwischen 20-70% längere Fahrtstrecken zu bewältigen haben. Die Verkehrsleistung in Berlin kann bis zu 50% zunehmen, wenn der BER tatsächlich rund 58 Mio. Passagiere im Jahr abfertigen würde. Logistisch wird damit vor allem die Stadtautobahn überlastet. Die Verkehrsverlagerung in Richtung auf die südlichen Berliner Bezirke wird Berlin in seiner gesamten Stadt- und Standortstruktur verändern.
Wachsende Stadt mit nur 891,68 km² Fläche – die Knappheitsfalle
Berlin hat inzwischen durch seine Hauptstadtfunktionen eine enorme Attraktivitätynamik entfaltet. Bei einem jährlichen Bevölkerungszuwachs von 40.000 Menschen wurden in den letzten Jahren vor allem „innere Reserven“ und „Flächen“ erschlossen und bebaut. Die politische Formel von der „wachsenden Stadt“ verstellt dabei den Blick auf die Realität: Berlin hat konstant 891,68 km² Fläche. Die Stadt muss folglich immer weiter verdichtet werden. Alle vier Jahre müßte in Berlin ein nächstes Prenzlauer Berg mit 10 Quadratkilometern Fläche erbaut werden, um dem „Einwohnerwachstum“ zu folgen.
Die Folge ist eine gewaltige Baulandverknappung und eine Verdoppelung der Baulandpreise in den letzten fünf Jahren. Berlin wird zur Knappheitsfalle, in der Bauen, Wohnen und Mieten immer teurer wird. Für weite Teile der Einwohner wird diese Teuerung schlichtweg unbezahlbar.
Da es kein gemeinsames Bundesland Berlin-Brandenburg gibt, tragen die Berliner Mieter und Gewerbemieter die Lasten der Versäumnisse und müssen rund 16 Mrd. € Schulden der landeseigenen Wohnungsgesellschaften über rund 300.000 Miet-Wohnungen refinanzieren. Rechnerisch lasten rund 54.000 € auf jeder landeseigenen Wohnung, die über monatliche Mieten refinanziert werden müssen. Weitere 42 Mrd. € Schulden lasten zusätzlich auf Berlin, das wachsende Pensionslasten von bis zu 71.000 Pensionären (ab 2030) aus dem öffentlichen Dienst finanzieren muss.
Wachsende Einwohnerzahlen, wachsende Fluggastzahlen
Sollte der BER 2019 technisch abgenommen werden, könnte er im Jahr 2020 eröffnen. Er wäre mit seiner geplanten Jahreskapazität von 23 Millionen Fluggästen schon zur Eröffnung mit enn zu erwartenden 40 Millionen Passagieren hoffnungslos überlastet. Das Terminal des alten DDR-Flughafens Schönefeld muss entgegen den Planfeststellungsbeschluss weiter betrieben werden.
Zusätzlich soll nun nach dem neuen Übereinkommen mit der Bundesregierung das Regierungs-Terminal nahe dem Terminal Schönefeld errichtet werden.
Der neue vom Vorstandsvorsitzenden Engelbert Lütke Daldrup verkündete Masterplan sieht weitere Baumaßnahmen vor, die erst um 2025 fertig gestellt werden können, um dann etwa 40-45 Mio. Passagiere bedienen zu können. Der neue Terminal 2 soll inmitten der Flughafen-Anlage platziert werden, mit sehr langen Wegen zu Flugsteigen und Vorfahrten, ein Schildbürgerstreich und städtbauliche Flickschusterein bahnt sich hier an!
Würde der Masterplan bis 2035 durchgehalten und umgesetzt, könnte der BER im Jahr 2035 eine Jahreskapazität von bis zu 58 Millionen Passagiere erreichen. Doch diese Zahl ist mit nur zwei Landebahnen nicht zu bewältigen. Vor allem die Verkehrsspitzen können nicht ohne eine dritte Landesbahn abgedeckt werden. Mehr als 10.000 Passagiere und 120 Starts und Landungen können am BER nicht abgefertigt werden. Eine dritte Landebahn ist heute jedoch auch wegen dem nicht realisierten Länderzusammenschluß nicht mehr realisierbar. Der Flughafen BER wird schon 2025 trotz Ausbau nicht mit der prognostizierten Verkehrsnachfrage Schritt halten können.
Wirtschaft, Steuereinnahmen und volkswirtschaftliche Effekte
Was bisher völlig außer Acht gelassen wurde: die Flughafen Berlin Brandenburg GmbH betreibt den Flughafen Tegel über ihre Tochtergesellschaft BFG. Nach einer Schließung von TXL liegt der alleinige Steuersitz der Flughafengesellschaft im Land Brandenburg. Sollte dieser in die Gewinnzone kommen, fallen die Steuereinnahmen in Brandenburg an – nicht etwa in einem gemeinsamen Bundesland. Die Lage der Airport-City wird nach der Inbetriebnahme des BER zur Premium-Adresse für große Konzeransiedlungen mit entsprechenden Steuereinnahme-Effekten.
Nachdem Berlin viele Jahre eigene Mittel in Schönefeld investiert und fehlinvestiert hat, bekommt das Land Brandenburg vom Land Berlin einen nachhaltigen Wachstumskern „geschenkt“, der eigentlich als Investition in ein gemeinsames Bundesland geplant war.
Volkswirtschaftlich wird Berlin mit enormen Verlagerungs- und Standorteffekten belastet, die auf Jahre hinaus hohe infrastrukturelle Anpassungen und Marktanpassungen im Immobilienmarkt nach sich ziehen werden. Das Land Brandenburg wird daraus ohne Kompensationen als alleiniger Gewinner hervorgehen.
Inbetriebnahme, Betriebsrisiken, Redundanz und Kapazitäten
Nachdem inzwischen gutachterlich festgestellt wurde, dass die Inbetriebnahme des BER noch immer mit Risiken belastet ist, weil der Ausgang der „Wirkprinzip-Prüfungen“ der Gebäudetechnik und Brandschutzanlagen unsicher ist, ergeben sich weitere absehbare Betriebsrisiken für den BER:
– sollte der BER 2019 technisch abgenommen werden, ist eine früheste Inbetriebnahme im Herbst 2019 denkbar.
– der Flughafen Tegel müsste mindestens bis Ende 2020 in Betrieb bleiben, bis BER auf Vollauslastung hochgefahren ist.
– Erstes kritisches Datum ist die erste Brandschutz-Revision nach Inbetriebnahme des BER, die im Frühjahr 2021 fällig wird.
Wird diese Brandschutz-Revision fehlerfrei absolviert, hat man ein erstes Jahr Zuverlässigkeit im Betrieb nachgewiesen. Was noch nicht bedacht ist: eine Brandschutz-Revision mit Fehlerdiagnosen kann neue „Wirkprinzip-Prüfungen“ der Gebäudetechnik und Brandschutzanlagen erforderlich machen, die kaum in laufenden Flughafenbetrieb durchführbar sind. Spätestens 2019 wird man bei der technischen Abnahme bemerken, dass das Flughafen-Terminal BER keinerlei Redundanzen hat, und bei kleinsten Fehlern ein Stillstandsrisiko aufweist. Das größte Stillstandsrisiko droht: „Berlin – Metropole ganz ohne Flughafen!“
Letzte Mahnung für verantwortliche Landesplanung und Flughafenpolitik
Im Land Brandenburg ist im Herbst 2019 Landtagswahl. Der Flughafen BER wird frühestens 2020/21 in Betrieb gehen. Über die Zuverlässigkeit und Betriebssicherheit der Terminals BER wird ausgerechnet im Berliner Wahljahr 2021 entschieden.
Bis zu diesem Datum benötigt Berlin eine neue und verantwortliche Landesplanung und Flughafenpolitik, die auch den Fall der Fälle mit bedenkt.
Landesplanung und Flughafenplanung für die Metropolen-Region Berlin-Brandenburg
Boden wird teurer – Bauen wird teurer – Mieten auch! – Mehr Bauen beschleunigt das sogar noch! Die Politik ist insgesamt aufgefordert, eine Landesplanung und Flughafenplanung für die Metropolen-Region Berlin-Brandenburg zu entwickeln, und mit den ostdeutschen Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg abzustimmen.
Berlin muss seine Rolle als Metropole mitten in Europa neu definieren und mit seinen internationalen Vernetzungen abstimmen.
Die Einwohnerzielzahlen im Stadtgebiet und in der 30.370 km² großen Metropolenregion müssen bis 2050 auf rund 6,5 Mio. Einwohner angepasst werden. Berlin muss in der Stadtentwicklungspolitik einen sozialen Stadt-Umland-Ausgleich und sozialen Wohnunsgbau im Umland betreiben, um den Wohnungsmarkt zu entspannen – auch um langfristig Fachkräfte und Ausbildung zu sichern!
All dies ist nur möglich, wenn die Knappheitsfalle beseitigt wird, und eine neue Landesplanung mit einer Luftverkehrsplanung für ganz Ostdeutschland in Gang kommt.
Ein Single-Airport BER mit 55 Mio,Passagieren ist undenkbar – das gäbe auch ein Verkehrs-Chaos in Berlin. Landesplanung und Flughafenplanung müssen ganz Ostdeutschland in den Blick nemmen, damit auch abgehängte Regionen neue Perspektiven bekommen:
Parchim könnte als Luftfracht/Charter-Flughafen funktionieren. Der Flughafen BER könnte Drehkreuz-Linien, Charter & Linie zusammen betreiben. Leipzig ist als Luftfracht/ Charter und Ausweichflughafen prädestiniert. Eberswalde/Finowfurt könnte als Regional- und Medizin-Charter-Flughafen reaktiviert werden. Schönhagen bleibt Vorzugsstanort für Business & Privatfliegerei.
TXL wird künftig als Berlin-City Arport umgewidmet, der genau wie der London-City-Airport nur werktags von 6-21 Uhr betrieben wird, und auf innereuropäische Strecken und lärmarme Maschinen beschränkt wird.
Die völlig unverantwortliche Landesentwicklungs- und Flughafenpolitik muss beendet werden! Die Volksabstimmung für eine Offenhaltung von TXL ist zugleich eine Aufforderung, bis 2021 eine neue Landesentwicklungs- und Flughafenplanung für die Metropolenregion Berlin-Brandenburg vorzulegen und abzustimmen.