/// Kolumne /// – Die Stadtentwicklungspolitik in Berlin benötigt einen qualitativen Schub, eine grundlegende Neujustierung und eine systematische Neuausrichtung. Der Spruch von der „wachsenden Stadt“ ist eine unzureichende Leerformel, die ohne konkrete Leitbilder und ohne Gestaltungsanspruch und ohne städtebauliche Qualitätsziele aus der „Politiksprache“ daher kommt. Das neue Berlin benötigt jedoch „Architektursprache“, „städtebauliche Ziele und Qualitäten“, „Urbanität“ und dazu sozioökonomische und umweltbezogene Synergien.
Die bisherige einseitige immobilienwirtschaftliche Investoren-Perspektive der Stadtentwicklungspolitik in Berlin, führt zu wachsenden „sozioökonomischen Disparitäten“, zu Verarmung, Verdrängung und steigenden staatlichen Aufwendungen. Die induziert wiederum steigende Abgaben-Lasten und staatliche Ausgleichsmaßnahmen.
Im globalen Wettbewerb ist es ein Teufelskreis, der nicht nur zur sozialen Spaltung, sondern auch zum Verlust sozioökonomischer Stabilität und zum Verlust von Zukunftschancen führt.
Städtebaukritik und sozioökonomische Architekturkritik
Vor einem Neuanfang im Berliner Städtebau muss eine grundlegende Städtebaukritik und sozioökonomische Architekturkritik gesetzt werden. Berlin darf nicht nur einfach wachsen, sondern benötigt auch eine passende städtebauliche und sozioökonomische Struktur.
Die Formel von der wachsenden Stadt wurde noch unter dem 2015 amtierenden Stadtentwicklungssenator Michael Müller in die politischen Debatten eingeführt. Die Tagung „„Metropolen im Wachstum – Die zentralen Herausforderungen Wohnen und Mobilität“ mit der Grundsatzrede von Michael Müller als Regierender Bürgermeister am 21.9.2015 brachte die neuen Ziele der Stadtentwicklungspolitik erstmals auf eine Agenda.
Insbesondere „Zukunfts-Stichwortgeber“ Matthias Horx wurde zum Trendgeber für Politik und Immobilienwirtschaft. Mit seiner Forderung nach einer „Verringerung des ökologischen Fußabdrucks der Stadtbewohner“ lassen sich städtebauliche Verdichtung, die Verkleinerung der Wohnfläche, bei gleichzeitiger Umweltentlastung und immobilienwirtschaftlicher Profitmaximierung ideal miteinander verbinden.
Sozioökonomisch haben bisher Versingelungstendenzen, der anhaltende Trend zu Kleinfamilien und die Anpassung an die Hartz4-Gesetzgebung zur Ausweitung der Durchschnittswohnfläche auf über 41 Quadratmeter je Person beigetragen. Im Zweifel ziehen Paare heute lieber nicht mehr zusammen, wenn ein Partner prekär beschäftigt ist. Andererseits wächst damit die Zahl Alleinerziehender und ihrer Kinder, die in Hartz-4-Haushalten leben. Armut ist eine sozioökonomische Folge, die die ganze Stadtgesellschaft aufsprengt.
Gleichzeitig begünstigte die wachsende Wohnfläche auch die Arbeit im Homeoffice, die kreativwirtschaftliche Arbeit in der Atelierwohnung und die „Büro- und Firmengründung im Stockwerk.“ Die Verteuerung von Ladenmieten hat diesen Trend sogar noch begünstigt.
Die „Berliner Mischung“ und die „prekäre Berliner Mischung“ im Stockwerk sorgen für eine hohe Konkurrenz und niedrige Löhne. Die Individuen bleiben dabei in „nicht skalierbaren Geschäftsmodellen“ und prekärer Arbeit gefangen. Berlin ist dabei ein Musterbeispiel, mit Praktikanten-Ökonomie und Lieferdienst-Startups.
Allein der Internet-Anschluss wird zur „ökonomisch-informellen Nabelschnur“, die zugleich auch in eine Welt der „sozialen Plattform-Ökonomien“ und der noch höheren Konkurrenz mit „kostenlos“-Ökonomien führt.
Virtueller Wettbewerb, prekäre Schwarmökonomien und hohe soziale Transaktionskosten zum Selbstmarketing sorgen so für das Entstehen des „Produktivitätsrätsels“ (FAZ 8.9.2016), das den Wohlstand in den OECD-Staaten insgesamt bedroht.
Zudem steht heute eine geburtenstarke „Aufbaugeneration mit überbordenden Rentenansprüchen“ einer geschrumpften jungen Generation mit schwindenden Lohnniveau gegenüber. Die Anleger-Generation erwartet nun zusätzlich zu Steuern und Rente auch noch Mieten und Renditen von der nachwachsenden Generation. Eine absehbare Überforderung tritt in den Städten ein.
Das perfekte makroökonomische Schreckensszenario baut sich zusätzlich auf: eine Euro- und Finanzkrise, die „stillgelegtes Sparkapital“ in Billionen-Höhe nicht mehr reinvestieren kann, obwohl es eigentlich nur der Anwendung von „Federstrichen und Rahmengesetzen“ bedarf. Menschen mit Investitionsbedarf bekommen keinen Kredit – Menschen mit Sparkapital finden keine Finanzinstitute, die ihr Geld sinnvoll reinvstieren. Die Bankenregulierung legt die Banken still, weil sie im Rahmen der Kreditgewährung praktisch fordert, „Mitinvestor“ zu werden.
Hinter der vielgelobten „Berliner Mischung“ steckt inzwischen ein Monopol der „Vermietwohnung“: 86% aller Wohnungen in Berlin sind Mietwohnungen, oder von Kapitalanlegern zwecks Erzielung von Mieterträgen vermietete „Eigentumswohnungen“. Die Mieter sind damit auf breiter Front „ökonomische Gefangene“ einer „Creative City“, die alle Formen von Eigenkapitalbildung, eigenwirtschaftlicher Stärkung und Langzeitperspektive erschwert.
Begrenzender Faktor sind zu teurer Raum, unzureichende Marktpotentiale und zu geringe Möglichkeiten zum Eigenkapitalaufbau. Flexibler Raum für skalierbare Geschäftsmodelle fehlt. Die mögliche Standort-Dividende einer kostengünstigen Immobilie fehlt als Struktur-Ressource für neue Aufbruchsstimmung.
Wohnen & Arbeiten 5.0 – eine neue sozioökonomisch fundierte Städtebau-Charta ist notwendig
Das durch Immobilienwirtschaft, landeseigene Wohnungsgesellschaften, staatliche Flächenpolitik und Baurecht in Berlin (BauGB und BauOBln) immer noch verankerte Leitbild der „funktionalen Stadt“, wie es seit 1933 in der Charta von Athen auf dem Congrès International d’Architecture Moderne (CIAM) 1933 begründet wurde, schafft heute immer neue sozioökomische Friktionen. Es ist bislang auch nie ernsthaft auf den Prüfstand gestellt worden.
Erst ab 1970 wurde der kleinteiligen Funktionsmischung und der Vitalisierung der Historischen Stadtkerne wieder mehr Beachtung geschenkt, und im Städtebauförderungsgesetz umgesetzt. Die Folge ist heute nicht nur positiv: Verkiezung und bodenständige Geschäftsmodelle im Nahversorgungsbereich, die kaum Wachstumspotentiale entfalten sind die negative Seite der Rückbesinnung.
Verdichtung, Nachverdichtung und Monostruktur von Mietwohnungen sind heute allein keine zukunftsweisende und nachhaltigen Strategien.
Die moderne und smarte* Stadt muss Wohnen, Arbeiten und Leben auf neue Weise integrieren, und auch neue Formen von Technologien und Wertschöpfung integrieren. Die in Wien erarbeitete „Smart City Rahmenstrategie 2050“ kann in der Philosophie bis auf das Komma für Berlin übernommen werden.
Dort heißt es:
„Weil Wien seit Generationen „smart“ handelt, ist die Stadt heute schon einer der weltweit besten Plätze zum Leben. Das soll so bleiben. Jetzt geht es darum, aktuelle Herausforderungen wie Klimaschutz oder den ungebrochenen Run auf die Städte zu meistern.“
Bürgermeister Michael Häupl:
„Wien ist schon seit Generationen smart. Unser Trinkwasser oder die Gemeindewohnungen zeigen das. Aber auch wir müssen uns ständig neu erfinden und werden mit mehr Innovation weiter Weltspitze bleiben. Der Unterschied zu anderen: Wir in Wien lassen dabei niemanden zurück.“
Die einseitige Fokussierung auf Wohnungsbau und Mietenproblematik in Berlin sorgt für falsche Prioritäten, für hohe investive Neuverschuldung, für hohe Baukosten und Mieten – sowie für auf Dauer für Verdrängung, Fachkräftemangel und Verlust von langfristigen Wachstumschancen.
Im Grundsatz muss es immer auch um Wohnen und Arbeiten, neue Arbeit und gutes Einkommen gehen. Vor allem aber muss es eine neue Vorstellung von „Wohnen & Arbeiten“ in der „modernen und smarten Stadt gehen! Um Anpassungen und Neuentwürfe, die den laufenden zivilisatorisch-technischen Fortschritt integrieren und dabei neue Gestaltungspotentiale und Möglichkeiten eröffnen.
Luciano Floridi hat die „4. Revolution“ (Buchbesprechung 22.11.2015) als einen Übergang in die „Infosphäre“ beschrieben:
„Die Trennung zwischen online und offline schwindet, denn wir interagieren zunehmend mit smarten, responsiven Objekten, um unseren Alltag zu bewältigen oder miteinander zu kommunizieren. Der Mensch kreiert sich eine neue Umwelt, eine »Infosphäre«. Persönlichkeitsprofile, die wir online erzeugen, beginnen, in unseren Alltag zurückzuwirken, sodass wir immer mehr ein »Onlife« leben. Informations- und Kommunikationstechnologien bestimmen die Art, wie wir einkaufen, arbeiten, für unsere Gesundheit vorsorgen, Beziehungen pflegen, unsere Freizeit gestalten, Politik betreiben und sogar, wie wir Krieg führen.“
Parallel dazu wird von der Bundesregierung das Leitbild „Industrie 4.0“ mit der Digitalen Agenda vorangetrieben, das produktive Wertschöpfungsketten in der industriellen Fertigung und Endmontage automatisieren soll. Bisherige Leitbilder der Industrie- und Arbeitsgesellschaft werden „digitalisiert“ und in die Zukunft verlängert. Wirtschaft und Arbeit, vor allem Industriearbeit bleiben auf Kurs: mehr, besser, weiter, höher, schöner und zahlreicher soll die Produktion entwickelt werden. In der Regel sind lineare hoch skalierbare Wertschöpfungsketten das Entwicklungsmuster – von Automobil bis Fahrrad, vom Smartphone bis zur Kaffeemaschine und zum Haushaltsgerät.
Doch erleben wir gerade einen rasanten nächsten Schritt, der als die nächste, fünfte Ebene technischer Revolution begreifbar ist. Die Einführung einer neuen Ordnungsziffer 5.0 beruht auf einer neu beginnenden Phase der kreativen und performativen „Verflechtung aller Produktivkräfte“:
Digitalisierung, weltweite Vernetzung, soziale Plattform-Ökonomien und Mensch-Roboter-Kooperation sind die volkswirtschaftlich wirksamen Treiber, die kreative und mannigfaltige innovative Strukturen entstehen lassen.
Die 5. Revolution: Lernfähige und autonom assistierende und kooperierende Roboter werden die bisherige Arbeitsteilung zwischen Labor, Werkstatt, Manufaktur und Industrieproduktion aufheben. Vormittags Labor, mittags Lernwerkstatt für den Roboter, nachmittags Robo-Manufaktur, zwecks Nacharbeit, Entgratung und Optimierung vorproduzierter Werkstücke – und abends die beginnende neue Serienproduktion.
Der Koch-Roboter der britischen Firma Moley kann im Haushalt, in der Kantine oder im Restaurant oder bei einem kommerziellen Caterer für Schul- und Kitaessensversorgung seinen Dienst tun. Völlig neue Wertschöpfungsketten lassen sich damit aufbauen.
CNC-Schneide-Roboter, Laser- und Schweißroboter und 3-D-Metalldrucker können heute praktisch in der Garage und Werkstatt-Etage wie zu den Berliner Gründerzeiten betrieben werden. Eine neue Verbindung von Wohnen und Arbeiten wird möglich – und neue Formen der Immobilienfinanzierung, die Wohnen und gewerbliche Nutzung auf gemeinsame Finanzierungskonzepte stellen.
Digitalisierung, weltweite Vernetzung, soziale Plattform-Ökonomien und Mensch-Roboter-Kooperation und neue Mobilität – in Verbindung mit „fairen Sharing-Ökonomien“ schaffen Ausgangsbedingungen für eine neue „smarte Gründerzeit“, in der kreative Zusammenarbeit, kreative Geschäfts- und Finanzierungsmodelle eine soziale und inklusive Wachstums-Ökonomie möglich machen, die auf Eigenkapitalbildung, Innovation, Kooperation und Synergien – und guter Arbeit baut.
Allerdings müssen die neuen Investitionen in Arbeit und Wohnen auch „sozial tragfähig & nachhaltig“ investiert werden.
Die Gewerbegenossenschaft, öffentlich unterstützte Gewerbe-Immobilien-Genossenschaften und wachstumsorientierte Gründungen von Gründungsetagen und Coworking-Spaces – in Verbindung mit diversen Wohnformen, Gewerbe, Handel, Dienstleistungen und sozialen Nutzungen können die „Berliner Krise“ überwinden helfen.
Moderne Gewerbebauten mit Wohnen und kreatíver Mischung
Mit dem Bauprojekt „Wohnen am Lokdepot“ haben die Architekten Robertneun in Berlin Kreuzberg ein Modell für Wohnen und Gewerbe entworfen, das als neuer „Gründerzeit-Typus“ der modernen und smarten Stadt funktionieren kann.
Die Stahlbetonskelettbauweise mit stabilen Decken erlaubt eine Mischung von Wohnen und Gewerbe. Vor allem ist die städtebauliche Verdichtung flächensparend und zugleich mit Augenmaß entwickelt worden. Urbanität wird durch einen breiten Nutzungsmix ermöglicht – eine zukunftsfähiger Bautypus, der die Gründerzeitarchitektur der Berliner Gewerbehöfe weiter entwickelt.
Soziale und innovative Stadt und gemeinschaftliche Finanzierungsstrategien
Das Wohnungsbau- und Mietenproblem in Berlin ist viel schneller auflösbar, wenn auf eigenkapitalfähige Finanzierungsstrategien und Beteiligung von „Selbstnutzern“ und „Eigenkapital-Investoren“ gesetzt werden kann.
Durch Einbringung von landeseigenen Industrie- und Gewerbegrundstücken kann das jeweilige Vorhaben auf eine langfristig ertragsbildende Kapitalgesellschaft gegründet werden, die auch zur Gewerbegenossenschaft und Wohngenossenschaft ausgebaut werden kann.
Der Vorteil für Startups, Gründer und Mieter: es kann Eigenkapital gebildet werden, das sich intern gut verzinsen kann, weil es wirtschaftliche Erträge gibt. Es gibt sogar langjährige Vorbilder von erolgreichen Gewerbegenossenschaften in Berlin.
Die Mischung aus Wohnen und Arbeiten birgt auch die Chance, der tariflohngebundenen Miethöhe, wobei soziale Zweckbindungen und gesicherte Arbeitsverhältnisse wachsen können. Statt die Verschuldung der Stadt und Sozialabgaben zu erhöhen, bietet die Belebung des „Arbeiterwohnungsbaus“ soziale und finanzielle Synergien, die in mehr Neubau gelenkt werden können.
Wohnen & Arbeiten in Berlin 5.0 – ein stabiler Pfad der sozialen Stadtentwicklung mit sozialer Marktwirtschaft und High-Tech-Innovation ist möglich und gestaltbar! Wirtschaft – Wohnen – Arbeiten und Innovation bilden die künftigen Synergien der modernen, sozialen und smarten Stadt!
* smart: steht für intelligent, ressourcenschonend, sozial und inklusiv.
Mehr Informationen:
Dipl.-Ing. Michael Springer:
Wohnen & Arbeiten in Berlin 5.0 – Städtebau und urbaner Nutzungsmix
in Zeiten der digitalen Plattform-Ökonomien und Mensch-Roboter-Ökonomien
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