Die Demonstration vor dem Reichtagsgebäude am 30. Juni 2015 wurde kurzfristig vorangekündigt. Eine Aktion von Berliner Mieter/innen aus mehreren betroffenen Wohnsiedlungen, die sich gegen die „energetische Sanierung“ und die nach ihrer Ansicht zu hohen und unwirtschaftlichen Kosten von Wärmedämmungen an Berliner Altbauten wendeten. Ein offener Brief an den Deutschen Bundestag sollte die Abgeordneten noch vor der Sommerpause erreichen.
Die Mieteraktion war gut ins Bild gesetzt, doch der etwas hektisch zusammengesetzte Pressetext mit seinen vielen Argumenten und Schlagworten erwies sich als zu sperrig für eine zeitnahe Verarbeitung.
Im gemeinsamen Mieterprotest fanden Mieter aus landeseigenen Wohnungsgesellschaften, aus ehemals gemeinnützigen, heute privatisierten Wohnanlagen – sowie Mieter privater „Neu-Eigentümer und Umwandlungsspekulanten“ zusammen. Die Mieter sind daher in unterschiedlicher Weise betroffen, kämpfen jedoch einheitlich gegen zu hohe Kostenmieten nach „“energetische Sanierung und Luxus-Modernisierung“.
Problematisch ist vor allem die Fassadenwärmedämmung, die rund 38% der umlagefähigen Kosten verursacht, jedoch nur etwa 15-18% rechnerische Energieeinsparung erbringt.
Die Mieter fühlen sich steigenden Kostenmieten nach einer energetischen Sanierung wirtschaftlich überfordert. Vor allem Rentner und Kleinrentner müssen mit den bei bevorstehenden Sanierungen geforderten mietrechtlichen „Duldungserklärungen“ praktisch auch ihren Planungen für den Lebensabend aufgeben.
Während in Deutschland die Ferienzeit ausbricht, befinden sich die „Sanierungsmieter“ mit den Bundestagsabgeordneten praktisch in einer „Schicksalsgemeinschaft“: die Mieter müssen bei Duldung der Mieterhöhungen künftig auf Urlaubspläne verzichten, weil das verfügbare Nettoeinkommen schrumpft. Die Bundestagsabgeordneten müssen sich wegen der griechischen Schuldenkrise bereit halten, weil ein ganzes Land überschuldet ist.
Veränderungen in der Wohnungspolitik
Die Mietpreisbremse ist nach langen Streit zwischen SPD und CDU zum 1.6.2015 in Berlin in Kraft getreten. Doch die Mieter in Wohnungen mit Sanierungsankündigungen müssen noch auf die sogenannte „zweite Mietpreisbremse“ warten, die sich auch der Problematik der wirtschaftlichen Überforderung von Mietern durch „energetische Sanierung“ widmet. Denn bei der energetische Sanierung wirkt die Mietpreisbremse nicht. 9% der anteiligen Sanierungskosten können auf die Miete umgelegt werden, was sofort nach Baufertigstellung enorme Mietpreissprünge nach sich zieht.
Auch die Verabschiedung der neuen Wohngeldregelungen in der 115. Sitzung des Deutschen Bundestages am 2. Juli 2015 schafft kaum Linderung, denn vor allem Rentner werden wirtschaftlich zuerst genötigt, zuerst ihr Vermögen aufzubrauchen, bevor sie einen Wohngeldanspruch geltend machen können.
Reale Ängste und Befürchtungen der Mieter
Die Mieter aus den Mieterinitiativen berichten von realen Ängsten, denn Mietsteigerungen zwischen 30% und 300% sind für viele von Ihnen überhaupt nicht verkraftbar. Es wird auch eine riesige Entmietungs-Welle befürchtet, denn der Bundesgesetzgeber hat mit dem Mietrechtsänderungsgesetz 2014 eine Gesetzeslücke geschaffen, die den Mieterschutz bei der energetischen Sanierung völlig auf der Strecke bleiben lässt.
Beispielrechnungen zeigen auch auf, wie sehr insbesondere Rentner in Not geraten: so ermöglichten in den meisten Fällen langjährig gezahlten stabile Miete bisher einen bescheidenen und sicheren Lebensstandard.
Die geplante „Duldungsmiete“ ührt nach Sanierung praktisch direkt in die „planbare Lebensabend-Insolvenz“. Besonders bitter: manche Rentner haben mehr als 30 Jahre in ihren Wohnungen Miete gezahlt, ihre Wohnungen renoviert und ausgebaut und damit praktisch auch die Baukosten bezahlt.
Kommt nun eine Wärmedämmung an die Fassade, steigt die Miete auf ein Niveau, das den „Gang zum Amt“ erzwingt.
Grundsicherungsempfänger mit Wohngeldanspruch
In Beispielrechnungen wird vorgerechnet, wie sich ab 2016 die Lebenssituation verändert: „So könnte eine Rentnerin mit einer monatliche Rente von 950 Euro und einer Kaltmiete von 510 Euro, die 96 Euro Grundsicherung erhalte, künftig einen Wohngeldanspruch von 120 Euro haben und so nicht mehr auf die Grundsicherung angewiesen sein.“
„Ein weiteres Beispiel bezieht sich auf eine alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, die mit einem Einkommen von 1.400 Euro monatlich, Kindergeld und Unterhalt zwei Kinder zu versorgen hat und eine Kaltmiete von 520 Euro aufbringen muss. Hier würde sich das Wohngeld von bisher 71 Euro um 116 Euro auf insgesamt 187 Euro erhöhen.“
Bei Familien sieht die Rechnung 2016 so aus:
„Der Vater verdient 1.600 Euro brutto und die Mutter 450 Euro monatlich. Zusätzlich wird Kindergeld für die beiden Kinder in Höhe von 368 Euro monatlich gezahlt. Bisher erhält die Familie ein Wohngeld von 98 Euro und Kinderzuschlag in Höhe von 280 Euro monatlich. Nach der Erhöhung des Wohngeldes beläuft sich die Leistung auf 194 Euro, also ein Mehr von 96 Euro monatlich.“ (Quelle der drei Beispiele: www.wohngeld.org).
Mietwohnen kommt nun vor Gericht
Den heute von „energetischer Sanierung“ bedrohten Mietern bei privaten Eigentümern bleibt praktisch nur der Klagewiderspruch, und der Weg durch die Instanzen. Dieser aber geht an die finanzielle und psychische Substanz – und so gegen vor allem Rentner aus gesundheitlichen Erwägungen auf. Sie ziehen aus, oder unschreiben und zahlen, um Zeit zu gewinnen.
Der Bundestagsabgeordnete Klaus Mindrup (SPD) hat sich gegen den laufenden Skandal gewendet, und versucht, Unterstützung zu finden, umd die Misere der „Sanierungsmieter“ bei überteuerten energetischen Sanierungen zu lösen. Doch Mindrup hat bereits signalisiert, dass eine „zweite Mietenbremse“ noch nicht in Sicht ist. Vor allem die CDU mauert, und will das renditesichernde Projekt der „energetischen Sanierung“ weiter laufen lassen. Volker Kauder (CDU) hat das den Haus- und Grund-Besitzern auf einer Tagung versprochen. Auch der hat den Mieterrechten bereits Ade gesagt und zumindest den reicheren Mietern den privaten Klageweg aufgezeigt (siehe ARD-Panorama: Wärmedämmung: wie man lästige Mieter los wird – Mediathek).
Den Mietern wird nun allen Ernstes von Justizminister Heiko Maas (SPD) vorgeschlagen, den privaten Rechtsweg zu beschreiten. In Berlin gibt es deshalb auch bereits eine exorbitante Steigerung bei Mietrechtsauseinandersetzung rund um das Thema „energe-tische Sanierung“.
Die Befürchtungen der Mieterinitiativen
Die bestehenden Schlupflöcher für eine Mieten- und Umwandlungsspekulation durch „energetische Sanierung und Luxus-Modernisierung“ sind ein willkommenen Weg bei privaten Investoren, um kurzfristig mit minimalen Einsatz einen hohen Profit zu erwirtschaften. Ein Mietshaus mit 56 Mietparteien in Prenzlauer Berg, das vor 20 Jahre unmodernisiert für 660.000 € den Eigentümer wechselte, wird heute für maximal 8,50 € Kostenmiete zu einem Wert von 2,1 Mio. € beliehen, wenn die Mieter das Gebäude über eine gemeinnützig orientierte Bank finanzieren wollen. Der sog. Investor will jedoch einen Verkaufspreis über 4 Mio. € erzielen, eine Differenz, die nur durch vierstellige Mieten – oder durch Verkauf an Eigentumswohnungskäufer möglich ist.
Die Berliner Mieteninitiativen befürchten nun eine riesige „Entmietungs-Welle“, die bei „staatlich legalisierten Wuchermieten von 30 bis 300%“ vorhandene Sozialstrukturen zerschlägt, und viele Altmieter verdrängt.
Wenn Mindestlöhner zur „Dämm-Löhnern“ werden
Mit der Aktion von Berliner Mieter/innen vor dem Reichstag wurde auch gegen den „Dämmwahn“ protestiert, der bei Altbauen mit massiven dicken gemauerten Außenwänden unnötig und auch höchst unwirtschaftlich ist: „Einzigartig in der Geschichte unseres Landes ist auch, dass Wirtschaft und Politik hier so beharrlich die immer stärker gewordene Kritik nahezu der Gesamten Medien komplett ignorieren. Auch der BDB (Bund Deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure e.V.) hat gerade auf seiner Jahrestagung 2015 hierzu ein 5-jähriges EnEV-Moratorium gefordert.
In einem „Offene Brief an die Mitglieder von Bundestag“, Regierung und Parteien machten die Mieter in einer 3-seitige Analyse Druck gegen die „politischen, rechtlichen, technischen und sozialen Gefahren der „DÄMMokratie“, die betroffenen Mieter ganz praktisch in „wirtschaftliche Not“ treibt.
Mit Unterstützung des „Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“ machten die Mieter ihrem Ärger vor dem Reichstag mit Spruchbändern und zwei in Styropor verkleideten Figuren Luft: Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel im „Volldämm-Look“ und Bundeswirtschaftsminister Siegmar Gabriel mit Heiligenschein werden als Hauptverantwortliche gesehen, die eigentlich verhindern sollten, dass ganz normale Menschen praktisch zu „Dämm-Löhnern“ werden.
Tilo Trinks, einer der Vertreter der Pankower Mieterinitiativen brachte es zahlenmässig am Mindestlohn auf den Punkt: „Lasst uns mal rechnen, nur mal so Pi mal Daumen:
21 Arbeitstage x 8 Stunden = 168 Stunden | 168 Arbeitsstunden x 8,50 € = 1428 Euro Brutto | Steuerklasse I = 1.059,29 € Netto
Trinks: „Nun geht nur noch die Miete von ca. 450 € incl. Nebenkosten, dazu Unterhalt (Essen, Trinken, Kosmetik) mit 400 Euro. Telefon und Internet = 40 Euro, Rundfunkgebühr, Sportverein (McFit) = 20 Euro, BVVG-Monatskarte = knapp 80 Euro. Es bleiben unterm dem Strich rund 50 Euro im Monat übrig, für Kleidung, Urlaub, Freizeit und Hobby.
Die per „Duldungserklärung“ geforderten Sanierungsmieten von 600 bis rund 1.300 € für eine 40-60 Quadratmeter-Wohnung sorgen somit automatisch für eine Mieter-Verdrängung von Mindestlohnempfängern, Grundsicherungsempfängern und Kleinrentnern.
Volkswirtschaftlich ist das eine bedenkliche Entwicklung, weil selbstständige Arbeitnehmer und Rentner so praktisch zu dauerhaften Hilfsempfängern werden. Am Ende zahlt der Staat „Dämmgeld – statt Wohngeld“, die Not aber bleibt. Geld zum Heizen ist eigentlich auch nicht da. Die Schimmelproblematik in kalten Räumen dürfte das nächste Streitthema zwischen Mietern und Vermietern werden.
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