Die SPD bereitet ein Programm für die Bundestagswahl 2017 vor, mit Schwerpunkt Europa. Im Gasometer hatten Siegmar Gabriel und Martin Schulz flammende Reden gehalten, und ein „sozialeres Europa“ gefordert. Eine wohlige republikanische Stimmung kam unter dem Motto „Sicher.Gerecht.Weltoffen“ auf. Währendessen kommen aus dem Inland Nachrichten, die daran zweifeln lassen, ob die amtierende Bundesarbeitsministerin Andread Nahles (SPD) noch „ganz dicht“ ist. Ausgerechnet in der Woche, in der der erste Armutskongress in der Hauptstadt stattfindet, wird Nahles als „Armutsförderungs-Ministerin“ geoutet.
„Armutsförderungs-Ministerin“ baut Langzeit-Arbeitslosen-Verwaltung aus
Schon im Januar war Nahles dabei erwischt worden, wie sie am Parlament vorbei Mittel in ihrem Haushalt zweckwidirg umschichtet:
„Andrea Nahles betrügt Arbeitslose & Bundestag“ ( 30. 01. 2016 ).
Inzwischen sind offensichtlich rund 1,5 Milliarden Euro umgeleitet und „veruntreut“ worden, die eigentlich Langzeitarbeitslosen bei der Wiedereingliederung helfen sollten. Das Geld wird laut einem Bericht der „Berliner Zeitung“ von den Jobcentern vorzugsweise zur Deckung von Verwaltungskosten, Gehalterhöhungen und Zielprämien für Mitarbeiter verwendet.
Nahls konterkariert damit die Ziele der Agenda 2010, die eigentlich eine Verbindung von „Fordern und Fördern“ herstellen sollte. Stattdessen stellt sich die einst vom VW-Arbeitsdirektor Peter Hartz entwickelte Arbeitsmarkt-Reform als „Betrugssoftware“ heraus, die zuerst in die SPD und danach in den Sozialstaat eingebaut wurde.
Was als „Motorsteuerung des Arbeitsmarktes“ intendiert war, ist heute mit „verwalten und sanktionieren“ zum menschenfeindlichen Modell geworden, das sich zunehmend als eines der Triebfedern populistischer Parteien erweist.
Nahles schädigt damit nicht nur einzelne Betroffene, sonern auch Familien, Kinder, Vermieter und Händler, denen vor Ort der Umsatz fehlt. Ganze Städte stürzen dabei ab, und ausgerechnet das vom industriellen Strukturwandel und von der Energiewende betroffene Bundesland Nordrhein-Westfalen trägt inzwischen den größten Schaden davon, weil es bisher als Kernland der SPD galt.
Amt zahlt eigene Verwaltungskosten – gehen Langzeitarbeitslose leer aus?
Der Bericht der „Berliner Zeitung“ bezieht sich auf eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen.
In der Antwort wurde berichtet, wonach 2013 rund 426,2 Millionen Euro aus Eingliederungsmitteln in die Verwaltung übertragen wurden. Die Tendenz ist steigend: 2014 waren es bereits 522,5 Millionen Euro und 2015 sogar 605 Millionen Euro.
Brigitte Pothmer, Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Grüne und Arbeitsmarktexpertin hat Zweifel, ob die Mittel richtig verwendet werden, denn die für Verwaltung und Eingliederung vorgesehenen Haushaltsmittel können „gegenseitig deckungsfähig“ sein.
In der Anwort der Bundesregierung wird darauf hingewiesen, jedes Jobcenter entscheide „nach den örtlichen Gegebenheiten eigenverantwortlich“, ob mit den Eingliederungsmitteln Aktivierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen finanziert werden oder eine „eher personalintensive Betreuung der Leistungsberechtigten“ den Vorzug erhält.
Doch schon seit 2014 werden für Leitende Mitarbeiter der Jobcenter Zielprämien gezahlt, wenn vereinbarte Sparziele und erfolgreiche Daten erreicht werden. Auf viele Arbeitslose wird z.B. rechtswidrig Druck ausgeübt, sich Zwangsverrenten zu lassen, das die Jobcenter entlastet, aber Rentenkasse und Volkswirtschaft in eine Abwärtspirale drückt.
Brigitte Pothmer hat auch den Verdacht, dass Mittel für gestiegene Miet- und Heizkosten und für Tariferhöhungen der Mitarbeiter der Jobcenter eingesetzt werden.
Die Bundestagsabgeordnete kritisiert vor allemm dass die im BA-Haushalt vorgesehene „gegenseitige Deckungsfähigkeit“ immer nur als Einbahnstraße genutzt werde, um die chronisch unterfinanzierte Verwaltung der Jobcenter abzufangen. Allerdings gehe es hier nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch. Um die Langzeitarbeitslosigkeit spürbar zu verringern, bedürfe es einer intensiveren Betreuung plus einer besseren Personalausstattung der Jobcenter.
Arbeitsmarktpolitik: die Wirtschaftspolitik für den Kiez und die kleinen Leute
Was den Arbeitsmarktpolitikern offenbar nicht aufgeht: diese Art von Arbeitsmarktpolitik sorgt für volkswirtschaftliche Folgeschäden bei Langzeitarbeitslosen und deren Familien. Und sie kommt vor allem in den Kiezen und Stadtteilen an, in denen es schon lange strukturelle Folgen von Niedriglohnpolitik, prekärer Arbeit und „Down-Trading“ im Einzelhandel gibt. Es sind jene Städte und Regionen, in denen sich künftig die Altersarmut ausbreitet.
Und es sind genau jene Gebiete und Wahlkreise, in denen die SPD ihre frühere Stammklientel fand – und in denen sich das unsozialere Europa zeigt.
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Andrea Nahles definiert die Armut weg | 28.03.2015 | Michael Springer | Pankower Allgemeine Zeitung
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