Es genau acht Jahre her: der damalige stellvertretende Präsident der EU-Kommission, Günter Verheugen (SPD) hatte mehr Wettbewerb und Transparenz in der europäischen Rüstungsindustrie gefordert. Die Bürger Europas hätten ein Anrecht darauf, für ihr Steuergeld, das für Rüstung ausgegeben werde, eine angemessene Gegenleistung zu bekommen, sagte damals Verheugen gegenüber Deutschlandradio Kultur.
Verheugen ergänzte weiter, es werde zu viel Geld in Europa für Rüstung ausgegeben, ohne einen entsprechenden Gegenwert.
Wörtlich sagte Verheugen damals: „Die Effektivität unserer Ausgaben ist wesentlich geringer als die der Amerikaner. Und da kein Mensch damit rechnet, dass die Verteidigungshaushalte in Europa gesteigert werden können, ist die einzige Lösung die, dass wir mehr Wettbewerb, mehr Offenheit und mehr Transparenz einführen.“
Bundeswehr heute bedingt einsatzbereit
Heute, acht Jahre später befindet sich die Bundeswehr in einem problematischen Zustand. Wichtige Transport- und Waffensysteme sind überaltert, weisen hohe Wartungskosten und Ersatzteilmangel auf. Die Flugbereitschaft beim „fliegenden Material“ wie Hubschraubern, Transporthubschraubern und Kampf- und Jagdflugzeugen ist unzureichend und im NATO-Vergleich unterdurchschnittlich schlecht.
Die zum Teil 53 Jahre alten C-160 Transall-Maschinen sollten eigentlich schon ausgemustert sein, Verzögerungen beim Bau des neuen Militärtransporters Airbus A400 M, dessen Prototyp vor acht Jahren Ende 2007 gebaut wurde, warfen alle Beschaffungspläne üer den Haufen. Inzwischen befindet sich die erste Serienmaschine in der Einsatzerprobung. Doch die im November 2014 ausgelieferte Maschine erfüllt noch nicht alle der mit dem Hersteller Airbus vereinbarten Anforderungen.
In einem vertraulichen Bericht des Bundesverteidigungsministeriums an den Bundestags-Verteidigungsausschuss wurde im Herbst 2014 berichtet:
Von 43 Marinehelikoptern waren im Herbst 2014 gerade mal sieben einsatzfähig, dazu gehört auch die betagte Sea King, die eigentlich auchSuch- und Rettungsmissionen durchführen soll. Ihr Ersatz durch modernere Hubschrauber vom Typ MH90 Sea Lion ist frühestens für Ende 2017 vorgesehen. Doch diese Hubschrauber sind womöglich gar nicht einsatzgeeignet und erreichen derzeit nicht die notwendige Flugleistungsklasse 3, die uneingeschränkte Seetauglichkeit und Eignung für Rettungsflüge ausweist.
Der mittlere militärische Transporthubschrauber NH90 (NATO-Helicopter 90) weist viele Mängel. Die militärische Beschaffung verteuerte sich, und die Stückzahlen wurden gesenkt. Inzwischen treten beim größten Hubschrauber-Beschaffungsprogramm der NATO in der Einsatzerprobung Mängel an den Motoren auf. Lasthaken wurden falsch bestellt, Korrosionsprobleme und viele Detailmängel machen die Luftwaffe zum „Erprobungs- und Optimierungsbetrieb“ – eigentlich sollte die Industrie doch selbst einsatzbereites Gerät liefern können.
Beim mittleren Transporthubschrauber CH-53D sieht es noch schlimmer aus. Ursprünglich wurden 1972 112 Hubschrauber beschafft. Im Jahr 2014 waren nach dem o.g. Bericht nur 16 von verbliebenen 43 Exemplaren einsatzbereit. Dabei waren erst 2002 20 Maschinen aufgrund der Erfahrungen der Auslandseinsätze aufgerüstet und zur Variante CH-53GS weiterentwickelt worden. Seit 2006 wird mit dem Projekt „Produktverbesserung CH-53G“ und der daraus resultierenden neuen Variante CH-53 GA (geplant 40 Luftfahrzeuge) bis 2015 ein weiterer Schritt unternommen um das Waffensystem für unterschiedliche nationale und internationale Missionsprofile anzupassen.
Bei der Luftwaffe sind nur 38 von 66 Tornado-Kampflugzeugen einsatzbereit. Nur 42 der 74 verfügbaren Eurofighter der Luftwaffe stehen zeitweise für Ausbildung, Übungsflüge oder Einsatz bereit.
Drei der fünf Aufklärungsflugzeuge des Typs P3-C Orion müssten 2014 wegen Mängeln am Boden bleiben. Auch eine der acht Fregatten war nicht einsatzbereit. Zudem könnten nur sechs der elf Minenabwehreinheiten der Marine genutzt werden.
Von 22 Hubschraubern des Typs Sea Lynx Mk88A der Deutschen Marine ist derzeit kein einziger Helikopter für einen Auslandseinsatz freigegeben. Nachdem Risse im Heckbereich einer Maschine festgestellt worden waren, wurden zunächst alle Hubschrauber dieses Typs gesperrt. Die Fregatte Lübeck wurde so gänzlich ohne Hubschrauber zur Mission Atalanta vor der somalischen Küste geschickt.
Beschaffungsprobleme und Planungsmängel
Die Aufklärungsdrohne Euro Hawk erwies sich als Milliarden-Flop: Die Luftraumzulassung fehlte und am Ende ist klar, dass es für den europäischen Luftraum eigentlich eine eigene militärische Luftfahrtbehörde geben muß, um Zulassungen und Einsatz von Drohnen zu regeln und Gefahren für den Zivilflugverkehr zu vermeiden.
Beim „Kampfzonentransporter“ Airbus A400 M sieht es ähnlich aus. So trägt der A 400 M nur 32 Tonnen Nutzlast. Ein Puma-Panzer wiegt aber 43 Tonnen, der nun nur ohne Schutzausrüstung und Zusatzpanzerung hineinpaßt. Passive Panzerung und Schutztechnik müssen in einem zweiten Flugzeug nötigenfalls nachgeliefert werden. Ein Planungsfehler, der das ganze Beschaffungskonzept einer schnell per Lufttransport verlastbaren Kampftruppe in Frage stellt.
Auch beim Preis gab es eine „explosive Entwicklung“: Deutschland hatte sich verpflichtet, 60 Transportflugzeuge zu kaufen – zu einem Festpreis von 8,3 Milliarden Euro. Jetzt kauft die Bundeswehr nur 53 Flugzeuge, muss aber dafür rund 9,4 Milliarden Euro zahlen.
Die Transporthubschrauber NH 90 und die Kampfhubschrauber Tiger halten weniger als versprochen, statt bestellte 202 Transport- und Kampfhubschrauber zum Preis von 8,3 Milliarden Euro werden nun nur noch 157 Hubschrauber für rund 8,1 Milliarden Euro abgenommen.
Die Inbetriebnahme von fünf neuen Korvetten der Braunschweig-Klasse für insgesamt 1,2 Milliarden Euro hat sich um rund vier Jahre verzögert. Zwei verschossene Flugkörper versanken nutzlos vor Norwegen im Meer, Produktionsprobleme und Fehler im Kraftstoffsystem waren die Ursachen. Die Getriebe auf allen fünf Schiffen mußten ersetzt werden, die Isolierung der Abgassysteme mußten erneuert werden, weil das Material bei Hitze Formaldehyd absonderte. Die für Auslandseinsätze wichtigen Klimaanlagen mußten wegen Schimmelbildung überarbeitet werden.
15 Jahre Reform des militärischen Beschaffungswesens – ohne Ergebnis
Die Reform des militärischen Beschaffungswesen ist nun schon 15 Jahre im Gespräch: Im Jahr 2000 monierte die Weizsäcker-Kommissionn, die Beschaffung müsse dringend verbessert werden: „Ein wirtschaftlicher Erwerb von Wehrmaterial wird bislang von zahllosen Vorschriften behindert und durch bürokratische Hemmnisse erschwert.“
Die Kommission empfiehlt eine „Rüstungsagentur“. Zehn Jahre später, im Jahr 2010 fordert die nächste neue Bundeswehr-Strukturkommission das Gleiche, nennt es nun jedoch „Beschaffungsagentur“.
Im Herbst 2014 untersuchten erneut Berater und Anwälte der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG, der Ingenieurgesellschaft P3 und der Kanzlei Taylor Wessing das Beschaffungswesen, und stellten wenigstens 140 Mängel fest:
„Die Untersuchung einiger, ausgewählter Beschaffungsvorhaben belege, dass eine Optimierung des Rüstungsmanagements in nationalen und internationalen Großprojekten dringend und ohne Verzug geboten ist.“
Sechs Bundeswehrreformen – nun endlich ein neuens Weißbuch
Insgesamt sechs Bundeswehrreformen sind seit 1990 nacheinander aneinandergereiht worden. Zuerst die Zusammenlegung mit der Nationalen Volksarmee, dann 1994 die Unterstützung militärischer Auslandsensätze. Danach folgte die Ausrichtung auf Kriseneinsätze, 2001 wurden erstmals Frauen auch zum Wehrdienst zugelassen, danach folgte die Abschaffung der allgemeine Wehrpflicht. Bis 2013 war noch die allgemeine Verkleinerung auf 250.000 Mann, und die Neuausrichtung als Berufsarmee auf der Agenda.
Der Afghanistan-Einsatz und die Friedensmissonen auf dem Balkan, haben völlig veränderte Einsatzanforderungen gebracht, die das Selbstverständnis der Führung und Soldaten verändert haben. Auch Einsatztaktiken und Waffenausstattung wurden quasi im laufenden Einsatz angepaßt, ob Einführung gepanzerter Transportfahrzeuge oder Einführung von Überwachungsdrohnen und Gerät zur Abwehr von Sprengfallen.
Auch die Einsatzprofile der Marine haben sich verändert, Überwachungsmissionen vor der libanesischen Küste, Anti-Piraterie-Einsätze vor der afrikanischen Küste haben völlig andere Einsatzprofile, als die für NATO und Landesverteidigung geplanten Aufgaben und Schutzziele vor Raketen, Flugzeugen, U-Booten und feindlichen Kriegsschiffen.
Die Okkupation der Ostukraine und der Krim durch eine von Rußland vorangetriebene hybride Kriegführung und den Einsatz von Soldaten ohne Hoheitsabzeichen hatte Ende 2014 dazu geführt, dass die NATO vollständig überrascht wurde.
Die Bundeswehr ist gemessen an den hohen Rüstungsausgaben völlig unzureichend ausgestattet – und angesichts der neuen Bedrohungslage im europäischen NATO-Raum auch nur noch bedingt „verteidigungsbereit“.
Unfreiwillig gibt das auch die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zu, wenn sie Bundeswehr-Kritikern entgegenhält: „Dass die Bundeswehr einsatzbereit ist, beweist sie täglich und weltweit in 17 Auslandseinsätzen.“
Doch wird umgesteuert, inzwischen hat die Bundesverteidigungsministerin zumindest teilweise reagiert, ein neues Verteidigungs-Weißbuch soll erarbeitet werden.
Eiertanz um das Sturmgewehr G 36
Inzwischen tobt eine wochenlange Debatte um das bereits seit Jahren eingeführte Sturmgewehr G 36 von Heckler & Koch. Dieses Sturmgewehr wurde für den typischen NATO-Verteidigungsfall als „Ordonanzwaffe“ für eine Wehrpflichtarmee eingeführt, die auch maßgebliche Dienstzeiten mit Wachdienst versahen. Das Anforderungsprofil sah eine hohe Trefferwahrscheinlichkeit bei kurzer Schussfolge und möglichst geringen Eigengewicht vor.
Inzwischen wird das G 36 kritisiert, weil es außerhalb gemäßigter Klimazonen eingesetzt wird und im heißgeschossenen Zustand im „fordernden Gefecht“ eine verringerte Zielgenauigkeit hat. Die Diskussion darüber wird aber völlig abgehoben geführt: eine höhere Streuung kann im bewegten Gefecht auch von Vorteil sein, weil sich insgesamt durch eine höhere Feuerkraft und Schußfolge eine höhere Trefferwahrscheinlichkeit ergibt.
Eine bedeutsame Frage fiel unter den Tisch: Müssen Einsätze wie in Afghanistan nicht von vornherein mit einem „Waffenmix“ aus mehreren Infanteriewaffen geplant und ausgestattet werden. Üblicherweise werden z.B. bei den US-Truppen neben Sturmgewehren auch leichte Maschinengewehre und zielgenaue Scharfschützengewehre arbeitsteilig in den „Platoons“ (= Zügen) verwendet.
So wurde etwa das unter den NATO-Versorgungsnummern 1005-12-336-6892 und 1005-12-336-6893 bereits eingeführte, aber nicht beschaffte leichte Maschinengewehr MG36 nicht ausgewählt. Es ist identisch mit dem G36, verfügt jedoch über ein wesentlich dickeres Rohr und wiegt insgesamt nur ca. 135g mehr als das G36.1 . Das dickere Waffenrohr weist unter den thermischen Bedingungen des Auslandseinsatzes genau jene Eigenschaften auf, die bei fordernden Gefechten nötig sind: Zielgenauigkeit bei hoher Schußfolge.
Der inzwischen ausgebrochene Streit zwischen Verteidigungsministerium und der Herstellerfirma Heckler & Koch lenkt womöglich von falschen Beschaffungsentscheidungen ab. Die Wehrtechnische Dienststelle (WTD) 91 in Meppen muss die Variante des MG36 eigentlich kennen.
Inzwischen zeichnet sich ab: eine Umrüstung vorhandener G36 mit dem stärkeren Rohr des leichten Maschinengewehr MG36 würde die entstandene Problematik beseitigen. Die Firma Heckler & Koch hat sich am 21.4.2015 dazu detailliert geäußert, und auf diese Möglichkeit hingewiesen.
Inzwischen melden sich auch immer mehr Stimmen aus Spezialeinsatzkräften, die die Vorwürfe gegen das G36 entkräften. Auf der Internetseite von Heckler & Koch melden sich schon 38 Soldaten mit Einsatzerfahrungen zu Wort.
Reformansätze für die militärische Beschaffung
Schon damals 2007 sprach sich der damalige EU-Kommissar Verheugen für eine stärkere europäische Rüstungskooperation aus. „Wenn in Europa fast zwei Dutzend verschiedene, gepanzerte Transportfahrzeuge zur selben Zeit entwickelt werden, dann kann das nicht effektiv sein.“ Schon damals blockierten nationale Regeln eine vernünftige Entwicklung.
Heute ist man zwar bei Projekten wie dem A400 M bereits bei europäischen Kooperationen, doch gibt es noch immer den Vorrang der Industriepolitik, der verhindert, dass es im Bereich von Rüstungsgütern offene europaweite Ausschreibungen gibt. Statt einer sinnvollen Kooperation auf NATO-Ebene gibt es auch noch keinen „Binnenmarkt“ für notwendige EU-Rüstungsgüter. Dies hatte schon der damalige EU-Kommissar Verheugen 2007 gefordert.
Die Politik muss allerdings wichtige wirtschaftliche Grundlagen bedenken: ein „Markt für Waffensysteme“ ist unter den politischen Bedingungen einer kontrollierten Proliferation immer ein „regulierter Markt“ und der sich nach „bestellter Zahl“ und „geplanter Systemnutzungszeit“ bemessen muß.
Werden etwa 100 Hubschrauber oder neue Panzer bestellt, so muß die Industrie auftragsbezogen entwickeln und kalkulieren. Jede Änderung, jeder Fehler und jede nachträgliche Systemerweiterung kostet IMMER zusätzliches Geld. Dazu kommt der für Wartung und Instandhaltung und Ersatzteile geltende nach Preis-Indexen zu verhandelnde Kostenanteil, der sich zusammen mit dem Beschaffungspreis zum „geplanten Systempreis“ addieren lässt.
Systempreise der Beschaffung in Wehrpflicht- und Berufsarmeen unterscheiden sich gravierend: ein höherer Spezialisierungsgrad führt tendenziell zu steigenden Systempreisen, die aktivere Ausrichtung der Einsatzkräfte in laufenden Einsätzen steigert Abnutzung, Munitionsverbrauch und Verschleiß.
Effektivere Beschaffung
Das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) muß künftig effizienter Planen, Denken und „Investieren“. Die Beschaffung muß künftig stärker von „Einsatzfähigkeiten“, „Informationsverbund im Einsatz“ und „Einsatzanforderungen“ her geplant werden. Dies läuft der bisherigen industriepolitischen Orientierung entgegen, die bisher auf die Herstellung einzelner Waffensysteme, Fahrzeuge und Luftfahrzeuge ausgerichtet war.
Neben der staatlichen Preisgarantie nach VO Pr 30/53 sollte es künftig Leistungspreise geben, die nach Erfüllungsgrad von technischen Anforderungen im Preiswettbewerb ermittelt werden (Demand Rate).
Z.B. Waffen-Leistung 100% = 100% Bestell-Budget
– Preisabschläge bei Erstbeschaffungen
– Preisabschläge bei Wartungsmängeln (Herstellerbezogen)
– Endpreis Beschaffung im Preiswettbewerb
– Endpreis System incl. Wartung, Nachrüstung etc. ebenfalls im Preiswettbewerb.
Außerdem sollten Beschaffungen nicht mehr allein von „militärische Bestellern“ sondern „von „Controllern“ und „Finanzcontrollern“ geleitet werden, die Vergabeverfahren ohne Ansehen der Person – nach Einsatztests durchführen
Die bisherige Verzahnung von Entwicklung, F+E, Industriepolitik und Beschaffung muß auf klar umgrenzte Teilprojekte begrenzt werden. Ebenso müssen Forschung und Einsatz-Erprobung klarer von anderen Bereichen in der Beschaffung getrennt werden.
Die in den USA bestehende Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) sorgt dafür, das Forschung und Entwicklung und militärische Beschaffung getrennt sind – eine wichtige Voraussetzung für mehr Kostenkontrolle und Einsatztauglichkeit von Waffensystemen.