Von Michael Springer
Die Wohnungsmärkte in Berlin und in vielen Ballungsräumen — vor allem in den Universitätsstädten Deutschlands — sind angespannt. Die Bau- und Wohnungspolitik steht vor sehr großen und vor allem auch disruptiven Herausforderungen, die die soziale Stabilität insgesamt in Gefahr bringen.
Die wichtigsten wohnungswirtschaftlichen Krisendaten (nach Destatis):
- 6,4 Millionen Menschen lebten in Deutschland 2019 in überbelegten Wohnungen
- 14 % der Bevölkerung im Jahr 2019 sind durch Wohnkosten überlastet.
- 85 % aller Seniorenhaushalte hatten 2018 keinen stufenlosen Zugang zur Wohnung.
- Mietbelastungsquoten steigen auf über 26% der Nettoeinkommen, in Berlin auf über 28,2 Prozent.
- Insgesamt gab es im November 2020 rund 42.512.800 Wohnungen.
- Die durchschnittliche Wohnfläche ist auf 47 Quadratmeter je Einwohner angestiegen.
In Berlin hat sich der Anteil der hochpreisigen Wohnungen mit einer Kaltmiete ab 14 Euro pro Quadratmeter sich seit 2012 vervierfacht. Lag der Anteil 2012 noch bei 15 Prozent, so ist der Anteil teurer Neubauwohnungen auf 60 Prozent. Dagegen ist der Anteil preiswerteren Wohnungen mit einer Kaltmiete bis zu 10 Euro pro Quadratmeter von 35 auf 16 Prozent gesunken.
Als Ursachen für die Verteuerung gibt das empirica-institut die gestiegenen Bodenpreise und Baukosten an. In Berlin sind danach auch zu wenig neue Sozialwohnungen entstanden. Die rot-rot-grüne Koalition hat z.B. ihr Ziel, 8500 neue Sozialwohnungen zu fördern, nicht erreicht. Es wurden bisher nur 5800 Wohnungen gefördert.
Massiver Druck auf allen Wohnungsmärkten
Inzwischen steigt der Druck, denn das beim Wohngipfel im September 2018 vereinbarte Maßnahmenpaket der gemeinsamen Wohnraumoffensive von Bund, Ländern und Kommunen verhindert nicht den Wegfall von jährlich tausenden Sozialwohnungen.
Die Corona-Pandemie und massenhafte Kurzarbeit haben darüberhinaus die Lage existenziell enorm verschärft. In weiten Bevölkerungskreisen hat sie zu Einkommensverlusten geführt, die bisherige Wohnkosten untragbar machen. Entlastung kann nicht mehr allein durch Neubau herbei geführt werden, es muss auch Stadtumbau, Sanierung, Umnutzungen und Verdichtung im Bestand und neue Förderzugänge geben.
Klimaschutz und CO-2-Preise verteuern Bauen und Wohnen rasant
Aktuell kommen auf breiter Front Preissteigerungen bei allen wichtigen Baustoffen in Gang. Gründe liegen in der steigenden weltweiten Baunachfrage. Überdies entwickeln sich Holzpreise aufgrund steigender Holzexporte nach USA mit bis zu 60% höheren Preisen.
Bauen und Sanieren wird so zum Teil unbezahlbar. Vor allem für wichtige Nachfrage-Gruppen mit Kindern wird Neubau immer mehr „unbezahlbar.“
Das Klimaschutz-Urteil des Bundesverfassungsgerichts und CO2-Bepreisung sorgen künftig für einen weiteren progressiven Preisauftrieb. Vor allem die ab 2021 geltende CO2-Bepreisung und das neue Emissionshandelssystem kommen schon jetzt im Baustoff-Markt an. Regionale Baustoffhändler geben inzwischen sogar nur noch „befristete Preisangaben“ an, und weisen auf global gestörte Lieferketten hin und begrenzte Lieferkapazitäten hin.
Überraschende Preissteigerungen und sogar Baustopps werden zum Risiko.
Mit weiteren hohen Preissteigerungen beim Neubau und in der Sanierung muss daher gerechnet werden. Klimaschutz, umweltfreundliches Bauen, Solarpflicht und die Anpassungen für moderne Heizsysteme sorgen nicht nur für hohe Umrüstungskosten, sondern auch für höhere laufende Betriebskosten.
Die Sicherung einer bedarfsorientierten und nach Leistungsfähigkeit bezahlbaren Bau- und Wohnungswirtschaft wird damit immer mehr zu einem Thema mit existenzieller UND volkswirtschaftlicher Bedeutung.
Mietendeckel-Thematik greift zu kurz
Mietendeckel können nur als zusätzliches Instrument angesehen werden, denn sie beheben nur Symptome von umfassenden Fehlentwicklungen. Niedrigere Modernisierungsumlagen und strengere Mietenspiegel sind wünschenswert, — aber auch sie korrigieren nur Marktsymptome.
Die politischen Absichten von Bündnis 90/Grüne, auch bundesrechtliche Voraussetzungen zu schaffen, um Mieten auf kommunaler Ebene zu deckeln, können sind nur ein kleiner Schritt, der ganz unmittelbare Not von Mietern lindern kann.
Infolge der Wohnungsnot ist auch die Bereitschaft zum Umzug geschwunden. Damit wird auch die Flexibilität im Generationenwandel ausgebremst. Die fatalen Folgen: junge Menschen finden keinen Platz für die Familiengründung. Alte Menschen sitzen in zu großen Wohnungen fest, wenn die Kinder ausziehen. Dazu wächst die „graue Wohnungsnot“, weil der Bedarf nach barrierefreien Wohnformen enorm wächst.
Da sich inzwischen auch auf dem Lande die Preise für die eigenen vier Wände an die allgemeinen Immobilienpreise in den Städten angleichen, ist Landflucht nur ein Übergangsphänomen.
Notwendig wird eine große Reform im Bau- und Wohnungsmarkt, die an den konkreten Interessen der jungen Generation und den unmittelbaren Nöten in Zielgruppen orientiert ist, und Eigenkapital-Bildung ermöglicht. Landesbanken und Kommunen müssen sich daher künftig auch mit Bürgschaften, Landeskinder-Klauseln und Finanzierunginstrumenten ausstatten, damit die junge Generation mehr Chancen auf dem Wohnungsmarkt gegenüber Immobilienbesitzern und großen Investoren bekommt. Die volkswirtschaftliche Falle zwischen steigenden Mieten und steigenden Abgabenlasten und stagnierenden Real-Einkommen muss abgebaut werden, um die Abwanderung von Arbeitskräften zu stoppen!
Was fehlt: der generationengerechte Bau- und Mietenschirm!
Knappheiten und Fehlsteuerungen im Wohnungsbau müssen durch Neubau und gezielte neue Wohnungsmarkt-Angebote abgebaut werden.
Dabei sollten auch besondere Nachfragen von Zielgruppen stärker in den Blick genommen werden:
- Wohnungen für Hochbetagte und Pflegewohnen — attraktive Angebote in Wohnortnähe und im Kiez sorgen schnell für den Freizug aus Bestandsimmobilien.
- Ausbildungs- und Studentenwohnungen – sollten auch durch Ansparmodelle und Prämien gefördert werden, damit die Nutzer beim Start ins Berufsleben mindestens einen Genossenschaftsanteil oder Immobilien-Teileigentum bilden können.
- Atelier- und Corworking-Modelle mit Gemeinschafts-Wohnen sind durch Konzeptverfahren und Beteiligungsmodelle zu fördern.
- Loft- und Gewerbehof-Bauten mit Wohn-Nutzungen sollten auch als Selbstbauprojekte aufgelegt werden, damit Eigenkapitalbildung per Muskelhypothek in Gang gesetzt werden kann.
- Familienwohnen und Generationenwohnen ist stärker zu fördern.
- Die Bautypen für Sozialwohnungen müssen flexibler gestaltet werden, um z.B. Musiker-Wohnen (Schallschutz), Kreativ-Wohnen (Oberlicht) und interkulturelle Kollaboration zu fördern (Gemeinschaftsanlagen).
- Stadtumbau und Verdichtung und Nutzungsmischung müssen auch auf bisherigen Industrieflächen und Gewerbeflächen realisiert werden. Hier sind noch große und gut erschlossene Flächenreserven aktivierbar.
Der generationengerechte Bau- und Mietenschirm entsteht durch konzertiertes und kommunal syntegriertes Handeln im Finanzierungs- und Grundstücksmarkt. Statt einer Anpassung an Kapitalmarkt-Zyklen sind Planungssicherheiten und Lebensperspektiven der Zielgruppen und ihr jeweiliger Wohnbedarf in das Zentrum politischen Handelns zu stellen:
- Jedes Kind sollte bis zum erfolgreichen Abschluß der Schulausbildung eine Wohnungsprämie als Startkapital ansparen können, die unabhängig vom Einkommen der Eltern als Genossenschaftsanteil oder Immobilienanteil ausbezahlt wird.
- Familien- und Bausparförderung muss an aktuelle Baupreisniveaus angepasst werden.
- Denkmalschutz- und Stadtumbauprämien müssen neu konzipiert werden, damit Eigenleistung, Selbstbau und Gemeinschaftsfinanzierung gegenüber Steuerabschreibungen gefördert werden.
- Die Kommunen sind gehalten, Grundstücks-Parzellierungen selbst vorzunehmen, und durch direkte Konzeptvergabe-Verfahren für Zielgruppen und besondere kommunale Nutzungsziele zu vergeben.
- Der kommunale Wohnungsmarkt muss künftig durch demografische Planungskoordination und Klimaschutz gesteuert werden können, damit keine neuen Fehlsteuerungen durch den Finanzmarkt in Gang gesetzt werden.
- Stadtumbau-Projekte sollten durch Konzeptverfahren, Nutzerbeteiligungen und „genehmigte Verdichtungen mit Sozialklauseln“ beschleunigt werden. Projektträger im Stadtumbau sollten nach ökologischen und sozialen Baustandards zertifiziert werden, wobei der Public Value zur Meßlatte wird.
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