/// Kolumne /// – „Berlin lernt von Wien – Unser Maßnahmenpaket für ein sauberes Berlin“, so lautet ein Beitrag des Abgeordneten Tino Schopf und seiner Abgeordnetenkollegin Dr. Clara West, der mit mehreren anderen SPD-Abgeordneten verfasst wurde. Zusammen mit Franziska Becker, Joschka Langenbrinck und Franziska König (alle MdA-SPD) war man nach Wien gereist, um sich zeigen zu lassen, wie die Donaumetropole mit dem Thema „Müll“ und „Sauberkeit“ umgeht.
Die „Smart City Wien“ hat 2008 eine erfolgreiche Gesetzesinitiative für mehr Sauberkeit in der Stadt auf den Weg gebracht, und seitdem erfolgreiche Maßnahmen und Sauberkeitskampagnen umgesetzt. „Nun soll Berlin von Wien lernen!“ – wenn es nach den Vorstellungen der SPD-Abgeordneten geht.
„Wir sagen dem Müll in Berlin den Kampf an!“
SPD-Politik fängt immer mit martialischer Sprache an, „Kampf-Rhetorik“ statt „Nachdenken“ steht offenbar hoch im Kurs! Eine simple Logik stützt den neuen Politikansatz: „wachsende Stadt – wachsender Müll“:
„Berlin wächst — mit entsprechenden Folgen: In vielen Kiezen wohnen mehr Menschen auf weniger Raum, mehr Menschen sind auf Berliner Straßen unterwegs, verbringen ihre Freizeit in Parks und auf Spielplätzen. Dadurch wächst auch der Müllberg, der entsorgt werden muss. Alleine in den letzten sechs Jahren hat die BSR mehr als 130.000 Kubikmeter illegalen Sperrmüll von den Straßen geholt. Das hat 25 Millionen Euro gekostet.“
Angesichts der Abfallbilanz der Berliner Stadtreinigungsbetriebe 2016 von insgesamt 1.223 TMg ist die Menge von 130.000 Kubikmeter Sperrmüll jedoch ein vergleichsweise kleines und eher spezielles Problem.
Um sozialdemokratische Politik notwendig erscheinen zu lassen, wird eine politische Aufladung zum „sozialen Müllproblem“ formuliert, man könnte es auch „Müll-Populismus“ nennen, zumal man auch noch einkommensschwache Mitbürger_innen im Blick hat:
„Das Berliner Müll-Problem hat viele Ursachen: Wohnstraßen in sozialen Brennpunkten werden mitunter seltener gereinigt als Villen-Viertel und Pracht-Boulevards. Viele haben kein Auto, um Sperrmüll zum kostenlosen BSR-Recyclinghof zu bringen. Nicht jeder hat das Geld, um einen Mietwagen oder die BSR für die Abholung des Sperrmülls zu bezahlen. Firmen pfeifen auf die hohen Entsorgungskosten für Sondermüll. Der unterwegs achtlos weggeworfene Müll und liegengelassene Hundehaufen runden das Bild ab. Eine Metropole wie Berlin ist keine Kleinstadt, in der stündlich die Gehwege gebohnert werden. Das aber mit einem Achselzucken hinzunehmen, ist inakzeptabel.“
Die unkritischen Vermengung unterschiedlicher „Sachbereiche“ wird dann einfach ohne echte Aufgabenkritik und Analyse weiter getrieben:
„Verwaltung macht es zusätzlich kompliziert: Für die Reinigung von Parks sind die Bezirke zuständig, nicht die BSR. Automatische Sperrmüll-Touren gibt es nicht mehr. Die Ordnungsämter müssen jeden einzelnen Haufen der BSR zur Abholung melden. Straßen werden nicht immer nach Bedarf gereinigt, sondern unterliegen einzelnen Reinigungsklassen. Oft werden einzelne Abschnitte einer Straße unterschiedlich häufig gereinigt. Eine Wissenschaft für sich.
In den vergangenen Jahren hat sich einiges getan: Die BSR reinigt jetzt zehn ausgewählte Parks. Die Kotbeutel sind Pflicht für Hundebesitzer. Es gibt das Online-Ordnungsamt, mit dem voriges Jahr 27.000 Sperrmüll-Haufen gemeldet wurden. Aber das reicht nicht.“
Dann folgt die „fiktionale Aufladung“ des neudefinierten Politikbereichs „Kampf gegen den Müll“:
„Die Berlinerinnen und Berliner wollen in sauberen Kiezen leben. Es ist an der Zeit, dem Müll endlich den Kampf anzusagen. Deshalb fordern wir ein Gesamtkonzept, an dem sich alleverantwortlichen Behörden und Institutionen (Senatsverwaltungen, Grünflächen- und Ordnungsämter in den Bezirken, BSR) beteiligen.“
Die zündende Inspiration der Wien-Reise: „Wien macht es vor: Eine Großstadt kann den Kampf gegen Müll gewinnen!“
Der neue Politikansatz der SPD-Abgeordneten mündet in einer Forderung nach einem Gesamtkonzept und einer weiteren Ausweitung staatlicher Tätigkeit und einem Ausbau der Ordnungsämter mit 50 „Waste-Watchers“, die den Kampf gegen uneinsichtige Bürger aufnehmen sollen.
Drei Maßnahmenbereiche sollen umgesetzt werden: „Bessere Reinigung“ – „Mehr Kontrolle und härtere Strafen“ – und „Mehr Gemeinsinn und Rücksichtnahme.“
Berliner Stadtreinigungsbetriebe – eine Reise nach Tempelhof
Was aus dem Blick gerät: Berlin hat bereits eine vorbildliche Stadtreinigung, die sich als Betrieb mit einem eigenem Qualitätsmanagement-System stetig selbst optmiert und auch ein strategisches Smart-City-Konzept verfolgt. Die Berliner Stadtreinigungsbetriebe, eine Anstalt des öffentlichen Rechts, sind zugleich einer der größten europäischen Entsorgungsbetriebe, und haben auch eine vorbildliche Internetseite, die für Berliner Lokalpolitiker interessant ist.
Rund 2.300 Beschäftigte in der Straßenreinigung sind täglich an 365 Tagen im Jahr im Einsatz. Sie säubern jedes Jahr rund 1,44 Millionen Kilometer Straßen und Gehwege. 48.000 Tonnen Kehricht werden zusammengefegt und entsorgt. 22.300 Papierkörbe in der Stadt wrden teils mehrmals täglich geleert. 190.000 Gullys werden in Schuss gehalten und von Schlamm gereinigt. 130.000 Kubikmeter Sperrmüll werden entsort. Jedes Jahr werden 23.000 Kubikmeter illegal abgelagerter Müll auf Kosten des Steuerzahlers – nicht der Gebührenzahler – entsorgt. Die Kosten von rund 4 Mio. € im Jahr sind ärgerlich, umgelegt auf Einwohnerzahlen aber eher marginal.
Es gibt auch ein Gesamtkonzept mit Rechtsgrundlagen und Allgemeinen Geschäftsbedingungen, das alle Tätigkeiten der BSR regelt und Kosten- und Tarife festlegt.
Das BSR-Pilotprojekt zur Parkreinigung ist erst 2016 aufgenommen worden.
Die Müllprobleme der Metropole Berlin sind aus der Gesamtperspektive der BSR als „Teilsegmente“ und „Detailbereiche“ anzusehen. Für diese Teilsegmente hat der größte europäische Entsorgungsbetrieb BSR viele ausgefeilte Lösungen entwickelt, die auch die Vorgaben des Kreislaufwirtschaftsgesetzes erfüllen, um hohe Verwertungsquoten zu erzielen und Kosten verursacherbezogen umzulegen.
Was kann wirklich von Wien gelernt werden?
Wien hat 2008 einen Paradigmenwechsel in der Städtereinigung vollzogen. Mit dem Wiener Reinhaltegesetz wurde „Sauberkeit“ zum Ziel erklärt. Der §1 des Gesetzes lautet:
„§ 1. Ziel dieses Gesetzes ist die Freihaltung von Straßen mit öffentlichem Verkehr, öffentlich zugänglichen Grünflächen sowie öffentlich zugänglichen Wasserflächen von Verunreinigungen.“
Ergänzt ist das Wiener Reinhaltegesetz durch Strafregelungen, die über den deutschen Begriff der „Ordnungswidrigkeiten“ weit hinausgehen. Verstöße werden als „Verwaltungsübertretung“ mit einer Geldstrafe geahndet. Im Nichteinbringungsfall sogar mit einer Ersatzfreiheitsstrafe belegt.
Erfolge in Wien
Aktuell gibt es in Wien 50 hauptberufliche WasteWatcher und rund 400 ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der MA 48 und der Abteilung Wiener Stadtgärten (MA 42). Die OrdnungsberaterInnen von Wiener Wohnen können ebenfalls nach dem Wiener Reinhaltegesetz einschreiten. Die WasteWatcher sind mit Gilets mit der Aufschrift WasteWatcher beziehungsweise auch in zivil und zu unterschiedlichen Tageszeiten unterwegs.
Auch sonn- und feiertags sowie nachts können Sie einem WasteWatcher begegnen. Schwerpunkte sind Sperrmüll, Hundekot, Zigarettenstummel, Einkaufswagen und das Wegwerfen von Speiseresten.
Beim Thema Hundekot ist Wien rigoros und gleichzeitig großzügig:
„Die Problematik des Hundekots hat sich in den letzten Jahren drastisch verbessert. Unglaubliche 100.000 mit „eindeutigem Inhalt“ gefüllte Hundekotsackerl finden sich – wie Studien belegen – täglich in Wiens öffentlichen Papierkörben und Restmüllbehältern auf den privaten Liegenschaften. Die Zahlen, aber auch Umfragen und das subjektive Empfinden bestätigen: Die Hundehalterinnen und -halter nehmen das Angebot der Gratis-Sackerl fürs Gackerl an. Bei 55.800 gemeldeten Hunden in der Millionenstadt ist dies eine echte Erfolgsgeschichte. Jährlich landen somit über 36 Millionen Sackerl mit Hundekot in Wiens öffentlichen Mistkübeln und Restmüllbehältern. Es gibt mittlerweile 3.490 Hundekotsackerlspender mit Gratis-Sackerl fürs Gackerl in den Bezirken.“
Wien hat mit 24.000 öffentliche Papierkörben für 1.867.582 Einwohner und 414,87 km² Fläche eine wesentlich dichtere Papierkorb-Infrastruktur als Berlin (22.000 auf 890 km²).
Berliner Rechtssystematik ist anders & komplizierter
In Berlin ist noch die aus der Rechtssystematik des 19. Jahrhunderts stammende Form der „Gebührensatzung“ in Kraft, die vorrangig die Kostenumlage der regelmässig anfallenden Reinigungstätigkeiten zum Ziel hat, das Straßenreinigungsgesetz (StrReinG).
Ergänzt wird das StrReinG durch die „21. Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Straßenreinigungsverzeichnisse und die Einteilung in Reinigungsklassen.“
Eine „Pönalisierung“ ist in Berlin derzeit kaum möglich, weil ein viel zu kompliziertes Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) mit bezirklichen und fachlichen Zuständigkeitsbereichen in Übereinstimmung zu bringen sind. Bei Hunden und Hundekot müssen das Hundegesetz, der Ordnungswidrigkeitenkatalog und das Grünanlagengesetz angewendet werden.
Bei illegalen Abfallablagerungen ist das Kreislaufwirtschaftsgesetz und dessen Bussgeldkatalog anzuwenden, der Geldbußen zwischen 10-35 € kennt.
Da bei Hundehaltern der Leinenzwang nach Hundegesetz kaum durchsetzbar ist, kann auch das Verunreinigen von Grünanlagen nach dem Grünanlagengesetz praktisch nur beim Ertappen auf frischer Tat mit 35 € pönalisiert werden.
Vollzugsprobleme und fehlende Autorität als Ergebnis von Rechtsunsicherheiten
In der verschärften Praxis des Bezirksamts Berlin-Neukölln gegen illegale Sperrmüll- und Ablagerungen hat sich inzwischen auch herausgestellt, dass zur „gerichtsfesten Tatfeststellung“ praktisch ein „Ertappen auf frischer Tat bei Nacht“ erforderlich ist. Steigt der Verfolgungsdruck, werden illegale Entsorgungen in die Nacht verlegt, oder nach Brandenburg, oder auf ungesicherte Privatgelände.
Die neue Ordnungsamt-App lädt zudem zum Mißbrauch ein: das Ordnungsamt kann durch einfache Meldung zum „quasi-Entsorgungsdienstleister“ umfunktioniert werden, der stellvertretend für die Verursacher Kosten übernimmt, und die BSR mit der Entsorgung „beauftragt“.
Was wirklich von Wien gelernt werden kann: ein „Gesetz über Reinhaltung und Sauberkeit der Stadt“ mit klaren Zuständigkeiten und Strafregeln ist die Ausgangsbedingung, um zuerst das „Gesetz- und Verordnungschaos beim Müll“ zu ordnen, bevor über einen einheitlichen Ordnungsdienst nach dem Muster der „Waste Watcher“ nachgedacht wird.
Umdenken in Richtung auf „Smart City“
Bei den Berliner Stadtreinigungsbetrieben hat längst ein Umdenken eingesetzt: die Suchfunktion „Was kann ich wo entsorgen?“ ist ein wichtiger Schritt zur Benutzerfreundlichkeit der Internetseite. Unter dem Oberbegriff „Stadtsauberkeit“ werden alle Leistungsbereiche zum „Reinigen und Pflegen“ und die Aktionen „Mein sauberes Berlin“ zusammengefasst, die Gemeinsinn und Bürgeraktionen fördern.
Die BSR verfolgt längst gezielte Entsorgungsstrategien, die den Bedarf von Zielgruppen wie Privathaushalte, Geschäftskunden und Wohnungswirtschaft mit spezifischen Leistungsangeboten und definierte Entsorgungspfaden verbinden. Leider ist das kompliziert, eine Art „Abfall-Führerschein“ für „Otto-Normal-Wegwerfer“ würde das Informationsproblem lösen helfen.
Auf dem Weg der Abfallentsorgung und Stadtreinigung zur Smart City ist man bereits in Berlin ein gutes Stück vorangekommen, weil Leistungen und Gebühren und Entgelte im „System“ weiter entwickelt werden, und dabei Umweltkennzahlen, Verwertungsquoten und betriebswirtschaftliche Zahlen integrativ im Blick hat.
Rückschritt kostenlose Sperrmüllsammlung
Über die Forderung der SPD-Abgeordneten nach einer kostenlosen Sperrmüllsammlung ist man bei der BSR intern nicht glücklich. Die Problemstellung Sperrmüll und illegale Ablagerungen sind völlig unterschiedliche Themen, mit völlig anderen Verursacher-Gruppen.
Sperrmüll aus Wohnungen ist vor allem für Geringverdiener und Haushalte ohne PKW ein Problem. Der Transport zum Recyclinghof ist ist eine teure Dienstleistung von Fuhrunternehmen. Die Gebühr von 50 € für die Sperrmüllabholung wird als zu hoch empfunden – und ist vor allem aufgrund hoher Mieten auch nicht mehr vor allen tragbar. Sperrmüll-Gutscheine wären eine Lösung, die durch den Möbelhandel und durch Jobcenter vermittelt werden können.
Eine kostenlose Sperrmüllsammlung würde die Verwertungsquoten sofort senken. Richtig ist auch, die Verwertung von Abfällen zu verbessern.
Illegale Ablagerungen als Sonderproblem
Die Entsorgung von Laub- und Gartenabfällen per Laubsäcken, die je Stück 4,– Euro kosten, stellt leider einen Anreiz dar, auch andere Abfälle neben die zur Abholung aufgereihten Laubsäcke abzulagern. Vor allem im Umfeld von Kleingärten und Siedlungen mit freistehenden Häusern finden sich die wilden Ablagerungen. Alternativ bietet die BSR deshalb die Laub- und Gartentonne an, die von festen Stellplätzen 14-täglich abgeholt wird und 16,02 Euro je Entleerung kostet.
Bauschuttablagerungen und illegale Abfallbeseitigung mittels LKW, Pritschenfahrzeugen und Pritschenanhängern sollte durch eine Einstufung als Straftatbestand und Umweltstraftat höher geahndet werden. Nur gezielter Ermittlungsdruck und Prämien für Hinweisgeber können Täter wirksam abschrecken.
Statt „Kampf gegen den Müll“ wäre ein Berliner Gesetzentwurf zur Sauberkeit der Stadt nach Wiener Muster ein erster Schritt. Geordnete Zuständigkeiten im Ordnungsdienst – das ist vor allem ein bürokratischer Kampf um bessere Paragrafen und Buchstaben!
Weitere Informationen:
Wien als Vorbild:
Waste Watcher und Neuerungen 2017
Berlin
BSR – Berliner Stadtreinigungsbetriebe – www.bsr.de
Abfallrecht der Bundesrepublik Deutschland
Berliner Gesetze und Rechtsgrundlagen für Ordnungsamtsmitarbeiter mit u.a.:
NOWi – Verwarnungsgeldkatalog der bezirklichen Ordnungsämter
BT Kat OWi – Tatbestandskatalog Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten
GrünanlG – Grünanlagengesetz
HundG Bln – Hundegesetz Berlin (ehemals Hundeverordnung)
OWiG – Gesetz über Ordnungswidrigkeiten
ZustVO-OWiG – Verordnung über sachliche Zuständigkeiten für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten
StPO – Strafprozessordnung