Von Michael Springer
Bei der Bundestagswahl am 26. September 2021 kam es in einigen Berliner Wahlkreisen aufgrund von fehlenden oder falschen Stimmzetteln zu einer zeitweisen Schließung von Wahlräumen sowie aus anderen organisatorischen Gründen zu Schlangen vor Wahlräumen. — Insider und Betroffene unter den Wahlhelfende sprechen sogar von z.T. chaotischen Zuständen in Wahllokalen.
Der Bundeswahlleiter bemängelt: „Es kam daher zu teilweise sehr langen Wartezeiten, sodass in der Folge viele Wählerinnen und Wähler nicht von ihrem Wahlrecht haben Gebrauch machen können. Der Bundeswahlleiter hat deswegen am 19. November 2021 beim Deutschen Bundestag Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum 20. Deutschen Bundestag eingelegt.
Der Einspruch bezieht sich auf die Wahlkreise
- 75 Berlin-Mitte,
- 76 Berlin-Pankow,
- 77 Berlin-Reinickendorf,
- 79 Berlin-Steglitz-Zehlendorf,
- 80 Berlin-Charlottenburg-Wilmersdorf und
- 83 Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost.“
Der einspruchsberechtigte Bundeswahlleiter hat zur Prüfung der Vorfälle einen Bericht der Berliner Landeswahlleiterin angefordert. Denn nach allen aktuell (am 19.11.2021) vorliegenden Erkenntnissen haben die Vorkommnisse aus Sicht des Bundeswahlleiters wahlrechtliche Vorschriften verletzt.
Sie stellen „Wahlfehler“ dar, die unter anderem den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl nach Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz beeinträchtigt haben.
Aufgetretenen Wahlfehler können auch mandatsrelevant gewesen sein.
Der Bundeswahlleiter: „Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich ohne diese Vorkommnisse eine andere Sitzverteilung des Deutschen Bundestages ergeben hätte.“
Nachhaken und Einsprüche des Abgeordneten Marcel Luthe (MdA, Freie Wähler, früher FDP)
Vor allem das hartnäckige Nachhaken des Abgeordneten Marcel Luthe (MdA, Freie Wähler, früher FDP) hat dafür gesorgt, eine Überprüfung des Wahlergebnisses in Gang zu setzen.
Luthe hatte vor dem Verfassungsgerichtshof Einspruch gegen die Berlin-Wahl am 26. September 2021 eingelegt, nachdem er mit mehreren Eilanträgen im Berliner Abgeordnetenhaus gescheitert war. Luthe erklärte dazu:
„Freie, gleiche und geheime Wahlen für jeden wahlberechtigten Bürger sind der Kern unserer Demokratie, den es zu schützen gilt. Die Berliner Wahlen vom 26.09.2021 erfüllen nach meiner Überzeugung die zu Recht hohen Anforderungen unserer Verfassung und des Grundgesetzes an diesen Maßstab nicht, so dass ich den allein dazu berufenen Verfassungsgerichtshof um sorgfältige und wirksame Prüfung gebeten habe.“
Presse-Recherchen Magazin tichyseinblick
Das liberal-konservative Magazin „TICHYS EINBLICK“ (TE) von Herausgeber Roland Tichy hat die Kritik an den Wahlvorgängen in Berlin aufgegriffen, und in Zusammenarbeit mit vielen Informationsgebern und Redaktionsmitarbeitenden weiter nachgeforscht, nachdem die Offenlegung der Wahlunterlagen möglich wurde.
In einer sehr aufwändigen Aktion hat ein rund 10-köpfiges TE-Team die Akten und Wahlunterlagen und Protokolle aufgearbeitet. 65 Aktenordner und rund 50.000 Blätter wurden dokumentiert und digitalisiert um die Auswertung zu ermöglichen.
Der Redaktion der Pankower Allgemeine Zeitung wurde — wie allen Pressemedien — die Einsichtnahme offeriert. Leider stehen für eine eigene Analyse keine ausreichenden personellen und finanziellen Ressourcen zr Verfügung. So wird nur auf einen Ausschnitt der öffentlich verfügbaren Informationen hingewiesen.
Das Ergebnis der TE-Recherchen bedenklich, denn es stehen demach sogar noch mehr Wahlkreise zur Debatte.
In mehreren Beiträgen hat „TICHYS EINBLICK“ auf die gravierenden Wahlfehler und die Verantwortung des damaligen Innensenators Andreas Geisel (SDP) hingewiesen, die bis zu Wählertäuschung und Vertuschung reichen, siehe:
Wahlleitung erfand Kontrollrechnung
Exklusiv: Wahlfehler berlinweit mandatsrelevant – Vertuschungsaktion verhinderte Wahlwiederholung
Max Mannhart (TE) hat die Vorgänge scharf kommentiert: „Die Pi-mal-Daumen-Demokratie: Die Berlin-Wahl ist mehr als eine Panne.“
Die Rechtsaufsicht für die Durchführung der Wahlen lag beim damaligen Innensenator Andreas Geisel (SPD), der strukturelle Fehler in der Wahldurchführung mit zu verantworten hatte, siehe:
Berliner Pannenwahlen: Schriftverkehr belegt direkte Verantwortung von SPD-Innensenator Geisel
Die publizierten Fakten und Bedenken zu den Berliner Wahlen sind so schwerwiegend, das eine Wiederholung der Wahlen in Berlin geboten ist.
So wurde auch die Konsequenz gezogen: es wurde wegen der Faktenlage Strafanzeige wegen Wahlfälschung gestellt, siehe:
Berliner Bezirksamt ordnete Wahl mit falschen Stimmzetteln an – Strafanzeige wegen Wahlfälschung
Eine indirekte Folge: das notwendige Vertrauensverhältnis in den „Verfassungssenator“ ist schwer gestört, denn es wurde versucht, die Öffentlichkeit und damit auch Journalisten „hinter das Licht“ zu führen!
Für Lokaljournalismus entsteht zudem ein systemares Vertrauensproblem in mindestes sechs Berliner Bezirken, weil deren politische Mehrheitsverhältnisse bis zur Durchführung einer rechtsmässig und ordentlich durchgeführten Wahl fragwürdig sind.
In Bezug auf DIE LINKE ist im Ergebnis sogar offen, ob die Partei überhaupt das zweite Direktmandat errungen hat, mit dem sie gerade noch bei Unterschreitung der 5%-Hürde in den Bundestag eingezogen ist.
Bis zur Klärung und zu einer Wiederholung der Wahlen in Berlin, ist das Vertrauen in die Grundlagen und das Funktionieren der Demokratie in Berlin schwer gestört!
Weitere Informationen:
Bundestagswahl 2021: Bundeswahlleiter legt Einspruch in sechs Berliner Wahlkreisen ein