Dienstag, 03. Dezember 2024
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Griechenland vor dem Grexitus?

Kommt Tsipras "Grexitus"?

Griechenland hat in den vergangenen Jahren über 320 Mrd. € Finanzhilfen von EZB, EU-Partnern und IWF erhalten. Gemessen am einst als Vorbild gefeierten Marschallplan für Deutschland, der 5,3% des Bruttoinlandsproduktes umfasste, hat Griechenland mit ca. 185% des BIP sogar 35 Marschallpläne im Verhältnis zur Wirtschaftskraft erhalten. Nun ist die Geduld und Solidarität der Institutionen EU, EZB und IWF erschöpft. Der Griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras hat heute im 11 Uhr ein Ultimatum erhalten.

Kommt Tsipras "Grexitus"?
Kommt jetzt Tsipras „Grexitus“?

Um 13 Uhr tagen die 19 EU-Finanzminister und müssen einen Beschluss zu fassen. Ohne einen Beschluss der Finanzminister hätten auch die EU-Staats- und Regierungschefs keine Grundlage, die am Abend zusammenkommen wollen, um die Lösung für die Griechenland-Schuldenkrise zu beschließen.

Für den griechischen Ministerpräsidenten Tsipras läuft nun die letzte Stunde und die letzten Minuten der Wahrheit sind angebrochen. Entweder es wird nach 13 Uhr ein glaubwürdiger Reformplan ohne „Luftbuchungen“ verhandelt – oder die Staatspleite und ein unkontrollierter Absturz in den „Grexit“ droht. Es könnte auch ein „Grexitus“ werden, dem nicht nur Tsipras, sondern ein großer Teil des griechischen Volkes zum Opfer fällt. Ausgerechnet jene sind bedroht, die arm sind, die über kein eigenes Einkommen verfügen, und vor allem jene, die in den letzten Tagen und Wochen kein Sparkonto oder Firmenkonto abheben konnten, und sich mit Bargeld versorgt haben.
Griechenland hat kein System der sozialen Grundsicherung – und ist bisher noch nicht einmal in der Lage, hierfür einer finanzelle Grundlage in Form eines vernünftigen Besteuerungssystems zu schaffen. Stattdessen blüht die Korruption, Steuerhinterziehung und die überaus eigennützige Kapitalflucht, die den griechischen Staat handlungsunfähig macht.

Griechenland Hilfen weitgehend verpufft

Von den rund 330 Mrd. Finanzhilfen sind rund ein Drittel in die Deckung der notleidenden Kredite deutscher und französischer Finanzinstitute geflossen, die 2010 eine große EU-Finanzhilfe notwendig machten. Von diesen Mitteln sind rund 30% in den griechischen Konsum geflossen, in Lohn- und Gehaltssteigerungen – jedoch kaum in neue Investitionen. Ein weiteres Drittel der Finanzhilfen ist aus heutiger Sicht in die Kapitalflucht der Griechen geflossen, die ihr Geld über die Grenzen in vermeintlich sicherer Anlageformen und auf Auslandkonten angelegt haben.
Inzwischen sind bis zu 89 Mrd. € von griechischen Konten abgehoben, ein Betrag der durch die Gewährung von sogenannten ELA-Notkrediten der EZB gedeckt wird, die dafür Bargeld gedruckt hat, um die Geldversorgung an den Geldautomaten zu sichern.
Die EZB wird den Finanzrahmen nicht über die heute geltende Summe aufstocken. Es hängt nun alles an der um 16 Uhr beginnenden Konferenz der EU-Staats- und Regierungschefs, die um ca. 16 Uhr zusammen kommen wollen.

Neues Papier nach Verstreichen des Ultimatums um 11 Uhr

Der griechische Ministerpräsident Tsipras hat nach Verstreichen des um 11 Uhr gesetzten Termins ein weiteres Papier eingereicht, das noch von den EU-Finanzministern geprüft wird. Doch in der Sache ist man sich bisher auch über Nacht nicht näher gekommen. Die griechische Regierung verlangt eine Umschuldung und einen Schuldenschnitt – und genau das wird von den EU-Partnern auf Grundlage der Abkommen von Februar 2015 verweigert.

Die Agenturen melden, aus Verhandlungskreisen verlautete, es gebe noch in keinem strittigen Punkt eine Einigung. Weder bei der Rentenreform, noch bei der Mehrwertsteuer, der Abgabe für hohe Einkommen, den Rüstungsausgaben. Es bleibt krisenhaft gespannt.

Einigung oder Staatspleite – Grexit oder sogar Grexitus – der heutige Tag wird die Entscheidung bringen!

Artikelupdate: Weitere Verhandlungen gehen in das Wochenende

Inzwischen ist das Treffen der Euro-Finanzminister beendet. Es gab noch keine Einigung mit der griechischen Regierung. Das nächste Treffen der Euro-Gruppe ist für den kommenden Samstagmorgen anberaumt. Der EU-Gipfel der Regierungschefs wird über den erreichten Stand der Verhandlungen unterrichtet, teilte Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem mit.

Der griechische Premier Tsipras hatte das Ultimatum von heute 11:00 offenbar knapp eingehalten. Doch seinen neuen eingereichten Reformvorschlag bekommt er nach der Sitzung der EU-Finanzminister vielen roten Anmerkungen und Korrekturhinweisen zurück.
Bundesfinanzminister ist inzwischen pessimistisch, ob es noch zu einer notwendigen Einigung kommen kann. Die Streitpunkte beziehen sich vorwiegend auf Unterschiede bei den Themen Mehrwertsteuer und Renten.

Zur Stunde beginnt der Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs. Offizielle Themen sind u.a. die Flüchtlingspolitik, die Zukunft der Wirtschafts- und Währungsunion – sowie Forderungen von Großbritanniens Premier David Cameron zur Reform der Europäischen Union. Die ungelöste Griechenland-Krise dürfte dabei größte Priorität haben.

Artikel-Update: Ultimatum an Tsipras

Die Entwicklung hat sich am gestrigen Tage teilweise überschlagen. Bis gestern abend lagen auch widersprüchliche Meldungen vor. Inzwischen ist deutlich geworden: die Gläubiger setzen Tsipras unter Druck. Am Samstag wollen die Euro-Finanzminister zur entscheidenden Krisensitzung in Brüssel zusammenkommen. Wolfgang Schäuble (CDU) und seine Kollegen wollen das griechische Schuldendrama lösen.
Auf dem Tisch liegt ein Plan mit insgesamt 30 Seiten, der die Vorschläge von IWF, EU und EZB zusammenfasst.

Dabei stellen die Europäer aber auch ein drittes bis November 2015 verlängertes Hilfspaket in Aussicht, das in einigen Teile sogar den Forderungen von Yanus Varoufakis entspricht, der rund 10 Mrd. € umwidmen will, die eigentlich für die Rekapitalisierung der griechischen Banken gedacht sind.
Ferner stellen die Institutionen bis einschließlich November der Athener Regierung insgesamt Finanzhilfen von 15,5 Milliarden Euro in Aussicht. Davon sollen zwölf Milliarden Euro von den Europäern kommen und 3,5 Milliarden vom IWF.

Die noch offenen Streitpunkte sollen am Samstag gelöst werden. Es geht vorwiegend um Rentenfragen und eine Senkung der Militärausgaben.
Bemerkenswert: die Institutionen fordern von der griechischen Regierung die Einrichtung eines Sozialsystems, das es bisher nicht gibt.

Artikelupdate: Historischer Krisen-Samstag

Es war ein Tag, an dem sich die Eurogruppe von Griechenland abwandte (ZEIT 27.6.2015). Es wurde ein dramatischer Moment, der nun für alle Griechen eine Politik der Zwangsläufigkeiten in Gang setzt. „Tatsächlich haben Alexis Tsipras, der junge und überforderte Premierminister, und sein verantwortungsloser Finanzminister Yanis Varoufakis ihr Land noch weiter in den Abgrund geführt“ (ZEIT 27.6.2015).

Die Last-Minute-Reaktion des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras vom Freitagabend hat für einen Krisensamstag gesorgt: Mit der Ankündigung eines Referendums und dem damit verbundenen Aufruf, gegen das erneute Rettungspaket der Eurogruppe zu stimmen, hat er sich selbst aus dem Spiel gebracht. Tsipras hat sich „verzockt“ – und zwar wegen eines vermutlich lapidar gedachten Nebensatzes, der eine schlimme Zwangslogik in sich trug.

Tsipras hat unbedacht eine „vollendete, unvollendbare Tatsache“ geschaffen, und das wird ihm wohl in den Annalen der EU und der Weltgeschichte als dümmsten Staatsmann aller Zeiten nachgetragen werden.

Hätte Tsipras hinter dem Berg gehalten, und nur ein Referendum und eine 5-tägige Verlängerung gefordert, man hätte ihm noch ein allerletztes Mal entgegenkommen können. Doch indem Tsipras zu erkennen gab, dass er sich gegen das Rettungspaket wendet, hat er sich selbst aus allen weiteren Verhandlungen herauskatapultiert.

Verhandlungen beendet, bevor man zusammenkommen wollte

Die für eine letzte Verhandlungssitzung zusammenkommenden EU-Finanzminister aus 18 Euro-Staaten wurden damit in einzigartiger Weise düpiert. Jeroen Dijsselbloem, Chef der Eurogruppe der Finanzminister mußte den Ausstieg von Tsipras konstatieren, auch Bundesfinanzminister Lothar Schäuble blieb keine andere Wahl.

Nach nunmehr sechsmonatigen Verhandlungen war allen Beteiligten klar: es gab vor dem 30.6.2015 als Stichtag nur noch einen Tag für die notwendigen Parlamentsabstimmungen in mehreren EU-Staaten, unter anderem im Deutschen Bundestag.

Tsipras hat sich damit gegen 18 europäische Demokratien und ihre Regierungen gestellt, und deren demokratische, volkswirtschaftliche und währungspolitische Spielregeln gewendet.

Die Rücknahme des angebotenen Verhandlungspaketes durch die EU war unausweichlich. Noch schlimmer: der weitere Vertrauens- und Regelbruch seitens der griechischen Regierung hat eine einmalige historische Hilfsbereitschaft der EU-Staaten zerstört, unwiederbringlich zerstört. Keiner der EU-Finanzminister wird sich jemals zu Verhandlungen mit Tsipras und Varoufakis neu an den Tisch setzen – denn keine Regierung kann nun noch neue politische Mehrheiten für die Griechen organisieren.

Grexitus – die möglichen Folgen

Die Politik hat vorerst abgedankt, es entsteht eine chaotische Zwischenphase bis zum geplanten Referendum, in dem nur noch volkswirtschaftliche und psychologischen Eigendynamiken wirken werden.

Die „ideologische Haltung“ von Tsipras und Varoufakis, volkswirtschaftliche, finanzwirtschaftliche und währungspolitische Zielsetzungen zu Fragen „politischer Würde“ zu stilisieren, hat auch dafür gesorgt, dass nun das Volk an den Geldautomaten abstimmt. Tsipras und Varoufakis werden von „Spieltheoretikern“ zu „Getriebenen“.

Jetzt ist allein die EZB am Zuge, und sie muß nun verantwortlich für die Währungsstabilität des Euro handeln – und entscheiden.

Es wird keine politische Rücksichtnahme der EZB geben können, wenn die nächste fällige Zahlung an den IWF am kommenden Dienstag, dem 30. Juni 2015 ausbleibt.

Die Entscheidung der EZB, weitere ELA-Notkredite auszusetzen, wird voraussichtlich noch heute fallen, und morgen in die Tat umgesetzt. Eine Option besteht noch: die befristete Bereitstellung „dosierter und konditionierter Notkredite“.

Dies aber würde das politische System in Griechenland letztlich zu Neuwahlen zwingen.

Griechenlands Verbleib in der Eurozone

Ein Ausscheiden aus der Euro-Zone ist nicht einfach möglich. Die EU-Verträge sehen diesen Fall nicht vor. Tsipras hat auf ganz fürchterlich dumme Weise taktiert. Er hätte heute verhandeln können, die Idee mit dem Referendum vortragen können, und die Eurogruppe wäre auch durchaus geneigt gewesen, noch ein Referendum einzuholen.

Die Nachrichtenseite Protagon.gr veröffentlichte einen Artikel des bekannten Autors Nikos Dimou, der sehr skeptisch ist:

„Nach dem Referendum werden wir uns in einem anderen Land wiederfinden. Egal wie es ausgeht. Wenn Syriza gewinnt, wird es ein armes, randständiges Land sein, das zur Dritten – wenn nicht Vierten – Welt gehört. (…) Wenn Syriza verliert, können sie nicht an der Macht bleiben. Eine nationale Einheitsregierung, die das Land rettet, ist nicht vorstellbar – also Neuwahlen. Wer wird für sie bezahlen? Wer wird in der Zwischenzeit die Löhne und Renten auszahlen? Werden Banken weiterexistieren können? (…) Alexis Tsipras hat sich selbst in den Fuß geschossen. (…) Was für eine Erleuchtung dieses Referendum ist! Lose-Lose. Egal wer gewinnt, wir werden alle Verlierer sein.“

In Griechenland droht nun der „Grexitus“ – eine Art Zombie-Status, bei dem der Euro zwar formal Währung bleibt, aber den Rentnern, Staatsbediensteten ggf. Schuldscheine ausgestellt werden. Kapitalverkehrskontrollen werden auf Dauer für eine Disziplin sorgen müssen, damit keine Kapitalflucht einsetzt.

Und parallel dazu gibt es eine ewige Hängepartie, bei der im Prinzip ein harter Sanierungskurs gefahren werden muss, damit die Schuldscheine je nach Liquidität auch in Euros konvertibel bleiben. Bargeld ist nun genug da – es müssen nur Steuern erhoben werden.