Montag, 09. Dezember 2024
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Inliner-Verfahren: unterirdisch gut!

Inliner-Kanalsanierung Spreeweg

Berlins Abwasserleitungsnetz erfordert viele Sanierungsanstrengungen der Berliner Wasserbetriebe. Alljährlich müssen rund 60 Kilometer Rohrnetz saniert werden, um erfolgreich gegen Alterung, Verschleiß und Lecks vorgehen zu können. Ein sogenannter „A1-Schadensfall“ an einer Abwasserleitung am Spreeweg war Anlaß, einmal öffentlich zu zeigen, wie man in Berlin vorbildlich und umweltfreundlich Abwasserleitungen sanieren kann.

Inliner-Kanalsanierung Spreeweg
Inliner-Kanalsanierung Spreeweg: Offener Schacht zum Abwasserkanal

Die Berliner Wasserbetriebe forcieren schon seit ein paar Jahren die Sanierung der Kanalisation durch das „Inliner-Verfahren“, bei dem in die alten Leitungen glasfaserverstärkte Kunststoffschläuche eingezogen werden, die den alten Kanal auskleiden und nach einer UV-Licht-Bestrahlung zu einem neuen „Rohr-im-Rohr“ aushärten.

Das Verfahren ist inzwischen gut bewährt und sicher. Der Berliner Marktführer für das „Inliner-Verfahren“ kommt aus Pankow, die Firma Frisch & Faust Tiefbau GmbH hat sich auf innovative Verfahren zur Kanalsanierung spezialisiert.

Umweltverträglich, schnell und effektiv

Die Berliner Wasserbetriebe wollen in diesem Jahr auf insgesamt 27 Kilometern Länge Abwasserrohre wieder für die nächsten Jahrzehnte fit machen. Überraschenderweise können diese Baumaßnahmen ohne Aufgraben, ohne Bodenaustausch und ohne viele LKW-Fahrten durchgeführt werden. Das „Inliner-Verfahren“, auch „Schlauchlining“ genannt, kann „minimalinvasiv“ durchgeführt werden. Es gibt nur offene Gullydeckel, keinen Straßenabbruch, keinen Bodenaushub – und auch nur punktuelle Absperrungen.

In Pankow kennen vor allem die Niederschönhausener Anlieger die Firma Frisch & Faust, denn man hat sich immer gewundert, wenn Baumaßnahmen zur Kanalsanieurng angekündigt wurden, und schon nach wenigen Tagen wieder abgerückt wurde.
Es wurde nicht gebohrt, nicht gebaggert, nur ein Werkstattwagen, und ein Druckluftkompressor waren oberirdisch zu sehen.

In die offenen Gullys wurden merkwürdige „Schläuche“ und „Christbaumketten“ eingezogen, und nur ein paar Kanalarbeiter in leuchtorangefarbener Sicherheitskleidung waren zeitweise zu sehen.

Kanalsanierung am Spreeweg
Jörg Simon, Thomas Frisch und Stefan Natz bei der Vorstellung des Inliner-Verfahrens

Demonstrations-Baustelle am Spreeweg

Am Spreeweg zu Füßen der Siegessäule wurde am Montag zur „Operation am offenen Kanal“ eigeladen, um das Verfahren vorzuführen. Eine „Abwasserleitung DN 300“ wird hier im Laufe von 2 Einsatztagen saniert. Der alte Leitungskanal war undicht, es drang von außen Grundwasser in den Kanal ein. Lecks haben bei den Berliner Wasserbetrieben höchste Priorität, der „A1-Schaden“ mußte schnell saniert werden.
In diesem Fall kommt das „Inliner-Verfahren“ zum Zuge, bei dem Tiefbauspezialisten praktisch wie moderne „Gefäßchirurgen“ arbeiten. Ein auf paßgerechte Länge gefertigter Schlauch wird dabei in das alte Abwasserrohr eingezogen, und mit Druckluft „aufgestellt“.

Kanalsanierung Spreeweg
Kanalsanierung Spreeweg: U/V-Lichterschlange

So freut sich der Chemiker über die Innovation

Das Schlauchlining-Verfahren basiert auf einer innovativen Bauchemie. Der Schlauch besteht aus einem Glasfasergewebe das mit ungesättigten Polyesterharzverbindungen getränkt ist. Damit das Polyesterharz nicht vorzeitig aushärtet, ist der Schlauch mit Schutzfolien innen und außen geschützt.

Im Fachjargon der Chemiker klingt es so:

„Ein ungesättiger Polyester ist ein Makromolekül mit polymerisationsfähigen Kohlenstoff-Kohlenstoff-Doppelbindungen, das über eine Polykondensationsreaktion aus überwiegend zweiwertigen Alkoholen und sowohl gesättigten als auch ungesättigten Dicarbonsäuren (bzw. entsprechenden Anhydriden) aufgebaut wurde. Unter einem ungesättigten Polyester-Harz verstehen wir ein homogenes, flüssiges Gemisch des oben beschriebenen Prepolymers mit einem Vernetzungsmittel oder Monomer (meistens Styrol).“

Die Aushärtung wird vom Chemiker so erklärt: „Mittels einer radikalischen Copolymerisation zwischen ungesättigten Verbindungen in der Polyester-Kette und den Doppelbindungen des Monomers entsteht ein räumliches Netzwerk. – Diese Härtungsreaktion wird initiiert durch ein Peroxid oder UV-Licht, ggf. in Kombination mit einem Katalysator.“

Natürlich braucht es auch ein ausgekochtes chemisches Rezept:

„Durch die große Zahl chemisch unterschiedlicher Zutaten, aus denen das Polyesterharz aufgebaut werden kann, den Grad der Ungesättigtheit, Ort und Art der Doppelbindungen in der Kette sowie die Wahl der Monomere bietet sich eine fast unbeschränkte Palette an Harzvarianten. Die Kunst besteht darin, unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten Polyesterharze so zusammenzustellen, dass alle von der Relining-Branche gestellten Anforderungen erfüllt werden können und ein Produkt von Spitzenqualität hervorgebracht werden kann.“
Die Chemieingenieure mußten auch Spitzenleistungen erbringen, um z.B. bei „Epoxid-Bisphenol A-Vinyl-Ester-Urethan-Harzen“ neben der chemischen Zusammensetzung des Harzes Viskosität, Reaktivität, Rheologie, Lagerstabilität und Säurezahl sorgfältig aufeinander abzustimmen.

Der Baupraktiker sieht es ganz pragmatisch: „Im Prinzip wird ein Kunststoff vor Ort hergestellt, der als „glasfaserverstärkter Kunststoff“ (GFK) im Bootsbau bekannt ist. Nur muß dieser Kunststoff zuerst in den Abwasserkanal eingebracht werden, dort paßformgerecht aushärten – und möglichst 50 Jahre halten.“

Inliner-Probeschlauch
Inliner-Probeschlauch: die U/V-Lichterkette wird in den mit Druckluft „aufgestellten“ Schlauch eingeführt

Schlauch einziehen – Aufstellen – Lichterkette durchziehen – fertig

Ist der Schlauch in den defekten Abwasserkanal eingezogen, wird der Schlauch mit Druckluft „aufgepumpt“ bzw. „aufgestellt“. Dabei passt sich der Schlauch an die Innenseite des alten Kanal-Rohrs an, und kann auch Biegungen von 30° Grad auskleiden. Nach dem Aufstellen wird eine „Lichterkette“ mit starken UV-Lampem durch den Kanal gezogen. Das Aushärten dauert nur Sekunden, pro Minute können ca. 50 Zentimeter bis 2 Meter Rohr gehärtet werden, abhängig von der Nennweite des Schlauches und der
Leistungsfähigkeit der Lampenketten.

Während der Lichthärtung wird durch die Reaktion des Harzes Wärme erzeugt‚ dabei entstehen Temperaturen von über 100 °C. Die Einhaltung eines bestimmten Temperaturbereichs wird mittels Messsonden, die an der Lichterkette verteilt angebracht sind‚ kontinuierlich während des Durchziehens überwacht. Die Aushärtung des Liners ist nach Beendigung des Durchziehens der UVA-Lichterkette abgeschlossen. Nach einer Abkühlphase wird der Druck abgelassen die Verschlussstopfen werden ausgebaut. Die lnnenfolie‚ die als Schutzfolie während der Lichthärtung diente, wird zum Schluß entfernt.

Die Technik wurde anhand eines Probe-Inliner-Schlauchs oberirdisch vorgeführt, um das Verfahren verständlich zu machen.

Umweltverträglich – CO2-sparend und eine nervenschonende Bauweise

27 Kilometer Abwasserkanäle sollen in diesem Jahr saniert werden – eime Länge, de der Luftlinie vom Berliner Dom zum Potsdamer Landtag entspricht. In offener Bauweise mit Straßenabbruch und Bodenaushub müssten rund 90.000 m³ Boden bewegt werden. Das entspricht der Ladung von 3.600 schweren Lkws – die mit der innovativen Bauweise erspart wird.

„Wir setzen auf diese umwelt- und stadtverträglichen Bauverfahren, wo immer dies möglich ist, weil wir damit Staus und Lärm vermeiden und auch deutlich schneller und kostengünstiger bauen“, betont Jörg Simon, Vorstandsvorsitzender der Berliner Wasserbetriebe. Auch die Klimabilanz dieser Bauweise ist positiv. Simon: „Das Kanal-Schlauchsanierungs-Programm 2015 vermeidet – die Verkehrsentlastung nicht mal mitgerechnet – den Ausstoß von etwa 3.000 Tonnen CO2.“

„Die grabenlosen Verfahren werden den klassischen Bau insbesondere bei Neuverlegungen und Auswechselungen nicht komplett ablösen, aber der Trend zu diesen innovativen Verfahren ist gerade in den Großstädten ungebrochen“, sagte Thomas Frisch, Geschäftsführender Gesellschafter der Berliner Frisch & Faust Tiefbau GmbH, der auf die hohe gesellschaftliche Akzeptanz dieser Techniken verweist.

Das Pankower Unternehmen verlegt 2015 rund ein Drittel der Kanal-Inliner in Berlin. Diese erstmals im Wettbewerb vorgenommene Auftrags-Bündelung zu Paketen erlaubt den konzentrierten Einsatz der teuren Spezialtechnik ohne zeitaufwändige Umsetzung aus anderen Regionen. Das beschleunigt das Bauen und bringt zusätzliche Kostenvorteile.

Auch die Baustellenkoordination und die Zusammenarbeit mit der Verkehrslenkung Berlin wird vereinfacht, die Nerven von beteiligten Stellen, Behörden, Anwohnern und Autofahrern werden geschont.

Ausgehärtetes Inline-Proberohr
Ausgehärtetes Proberohr: die schützende Plastikfolie innen und außen wird entfernt. Atemschutz wegen GFK-Staub beim Aufschneiden des Proberohrs erforderlich

Fortschritte bei der Verkehrslenkung Berlin

Dr. Joachim Reichert, Chef der Bauplanung bei den Berliner Wasserbetrieben, freut sich auch über eine stetig besser werdende Zusammenarbeit mit der Verkehrslenkung Berlin (VLB). Mit dem Inliner-Verfahren entfallen viele Koordinations-Baustellen, denn bei den sogenannten „nicht-VLB-Straßen“ reichen einfache Baustellenabsperrungen für die Gullyschächte, die bei den Tiefbauämtern genehmigt werden können. Auf den VLB-Straßen muss dagegen auf die Genehmigung der VLB gewartet werden, sodass es einen Rückstau bei bereits vergebenen Baumaßnahmen gibt, die auf die Erlaubnis der VLB warten.

Reichert arbeitet an entscheidender Stelle mit, damit die Baustellenkoordination in Berlin immer besser wird: „Im Frühjahr 2015 gab es noch einen Genehmigungstau in Höhe von 9 Millionen € – letztes Jahr waren es zeitweise 13 Mio. €.“ Nach Reicherts Angaben sollen die nächsten Zahlen noch besser werden, denn die Tiefbaufirmen warten dringend auf Arbeit, und wollen loslegen.

Reichert gab auch einen kleinen Blick hinter die Kulissen: Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) macht in den internen Steuerungsrunden Druck, damit die Koordination zwischen den beteiligten Leitungsverwaltungen, den Behörden und der VLB besser klappt. Reichert: „Tatscählich hat sich auch längst etwas getan, zwei neue Mitarbeiter der VLB haben als Verkehrsingenieure dazu beigetragen, den Genehmigungsrückstau zu verringern.“

Dr. Joachim Reichert arbeitet zugleich auch als 2.Vorstand des „infrest – Infrastruktur eStrasse e.V.“ an der „Elektrifizierung der Tiefbaukoordination in Berlin“. Reichert ist auch optimistisch, dass bald der neue Baustellen-Atlas in Betrieb gehen kann.

Berlin bekommt dann endlich eine durchgängige Baustellenkoordination im Straßentiefbau, die von der Leitungsauskunft bis zur Baustellenkoordination und Genehmigung durch die VLB den Anforderungen des novellierten Berliner Straßengesetzes entspricht.

Weitere Informationen:

www.bwb.de
www.frisch-faust.de