Bald sind es vier Monate, in denen die Mietergemeinschaft in der Kopenhagener Straße 46 mitten in Prenzlauer Berg gänzlich in Baufolie eingehüllt wurde. Inzwischen hat es mehrere Rechtstsreite und zwei erfolgreiche Einstweilige Verfügungen gegeben, die Baufolie hat erste Lücken bekommen.
Das gesamte Vorderhaus ist noch immer fast vollständig mit winddichter weißer Baufolie eingehaust, nur ein Mieter im Erdgeschoß und und in der ersten Etage haben es geschafft, die Folie per Gerichtsbeschluß beseitigen zu lassen.
Zudem ist im dritten Stock ein etwa ein Quadratmeter großes Loch hineingeschnitten worden – von unbekannter Seite.
Noch immer harren hier Familien mit Kindern aus. Hinter der Folienkulisse gibt es rechtliche Auseinandersetzungen und Verhandlungen um die Duldung von Modernisierungsmaßnahmen, Güteverhandlungen und Verhandlungen um Abfindungshöhen bei Umzug und Verdrängung aus dem Haus.
Einige Mieter haben jedoch die Ferienzeit zum Anlaß genommen, in den Urlaub zu fahren, und haben den Streß mit der Sanierung vorerst hinter sich gelassen.
Nur drei Arbeiter am Werk
Im Innenhof bot sich gestern nachmittag folgendes Bild: die Rückseite des Vorderhauses war noch immer gänzlich mit Baufolie verhüllt. Drei Bauarbeiter unbekannter Nationalität sind damit beschäftigt, am Seitenflügel und am Hinterhaus Styropor-Wärmedämmung anzukleben. Die Arbeiten gehen offensichtlich sehr schleppend voran. Auch war kein professioneller Schneidetisch zu sehen, wie ihn normalerweise Fachfirmen für millimetergenaue Zuschnitte einsetzen.
Aufgrund der hohen Außentemperaturen haben die Arbeiten am Seitenflügel und am Quergebäude weite Teile der Folien entfernt. Hier können die Mieter schon wieder aufatmen.
Baufehler beim Anbringen der Wärmedämmung
Auch beim Anbringen der 14cm dicken Wärmedämmplatten sind ein Einbaufehler festzustellen, die den Wert einer Wärmedämmung erheblich schmälern: die Dämmung wird erst flächig an der Außenwand angebracht. Die Fensterlaibungen und Türlaibungen werden offensichtlich erst später gedämmt. Damit sind Bauschäden praktisch vorprogrammiert:
– Fensterlaibungen bekommen nachträglich eine viel dünnere Wärmedämmung, es verbleiben Kältebrücken
– unterschiedliche Materialien für „Laibungsplatten“ und „Dämmplatten führen rundherum um Fenster später zu Rißbildungen, wenn
nicht paßgenau gearbeitet wird, wenn Spalten und Lücken einfach mit Putz verschmiert werden.
– wenn Fenster innen an den Kältebrücken nicht mit einer Innendämmung geschützt werden, kann es langfristig rund um Fenster
herum zu Schimmelbildung kommen.
– bei der Fenstersanierung wird die Anschlußfuge zwischen Fenster und und Laibung nicht ausreichend mit Dämmung überdeckt.
Bei hochwertigen Sanierungen werden Fensterlaibungen und -stürze ausgestemmt, Laibungen ausgekappt, und so Platz für eine dicke Dämmung ausreichende geschaffen, die Kältebrücken verhindert.
Käufer von sanierten Altbauten müssen hier genau hinschauen, denn der Wert einer nicht fachgerecht ausgeführten Dämmung wird durch verdeckte Bauschäden ganz erheblich gemindert. Seriöse Investoren setzen bei derartigen Bauarbeiten Fachfirmen ein, und achten auf eine schnelle Baudurchführung.
Verstopfte Hofeinläufe – unzureichende Sicherung der Dachabläufe
Die ausführende Baufirma hat offensichtlich keine ausreichende Erfahrung mit Fassadensanierungsarbeiten, denn eigentlich vorhersehbare Schäden sind durch unsachgemäße Sicherung der Dachabläufe und Fallrohre eingetreten:
Aufgrund des Unwetters und des Starkregens der letzten beiden Tage sind einige Keller voll Regenwasser gelaufen. Mieter Sven Fischer hatte deshalb heute die Bauaufsicht eingeschaltet, und Herr Schulze vom Bauaufsichtsamt Pankow hat sich heute seit Wochen erstmals wieder das Mietshaus angeschaut.
Der Investor wird nun aufgefordert, sein Bauvorhaben fachgerecht gegen weitere Wasserschäden zu sichern.
Bauaufsicht Pankow in schwieriger Lage
Das robuste Vorgehen des Investors gegen die Mietergemeinschaft mit dem Anbringen einer dichten Baufolie ist bislang in Berlin ohne Beispiel. Die Mieter hatten anfangs mit einer überschaubaren Sanierungszeit gerechnet, und mit einer überschaubaren Einschränkung ihrer Wohnungen. Inzwischen sind sie von zeitlichen Dauer der Folieneinhausung über jegliche Zumutbarkeit hinaus betroffen.
Es fehlt das Tageslicht, auch eine Entlüftung der Wohnung ist bei geöffneten Fenstern erschwert. Bei hohen Außentemperaturen klettern in den Wphnungen die Lufttemperaturen auf ein dauerhaft unangenehmes Niveau.
Baustadtrat Jens-Holger Kirchner hat auf die erste und zweite Berichterstattung zur Kopenhagener Straße zwar reagiert, und auch eine Stellungnahme der Berliner Feuerwehr zur vermutenen Gefährdung im Rahmen des vorbeugenden Brandschutz angefordert. Die Feuerwehr konnte jedoch nur feststellen, dass ein Gerüst ein zusätzlicher Fluchtweg ist, und keine Gefahr besteht, wenn etwaiger Brandrauch hinter der Bauplane (etwa bei einem Wohnungsbrand) nach oben abziehen kann.
Offensichtlich hatte man bislang keine Besichtigung auf dem Gerüst vorgenommen, denn die am Vorderhaus angebrachte Plane ist oben derart am Gerüst befestigt, dass ein ungehinderter Rauchabzug durch die Gerüstplattformen selbst behindert wird.
Auch ein vom Bezirksamt Pankow weitergeleitetes Foto mit dem Hinweis, die Plane sei entfernt, erwies sich nur als Teilwahrheit, die lediglich den Seitenflügel betraf.
Der am 9.7. vorgefundene und oben beschriebene Zustand mit der dichten Baufolie am Vorderhaus besteht jedoch mindestens seit dem 26.5.2014 unverändert. Die hier im Artikel eingefügten Fotos stammen alle vom 9.7.2014 (14 Uhr) und zeigen nun den aktuellen Stand.
Baufolie technisch nicht notwendig
Die Putzarbeiten mit dem Verputzen von Rissen und Schäden waren am Mietshaus Kopenhagener Straße schon Ende April/Anfang Mai abgeschlossen. Der Putz wurde nicht entfernt, sondern nur ausgebessert. Die Wärmedämmung wird mit einem Klebemörtel auf den Altputz aufgeklebt.
Technisch gesehen ist die verwendete Baufolie eigentlich nur für Winterbauarbeiten, als Spritzschutz bei Reinigungsarbeiten (z.B. mit Kärcher-Wasserstrahltechnik) oder als Schutz gegen herabfallenden Putzbrocken und als Staubschutz erforderlich.
Doch noch immer sind die winddichten Folien am Gerüst befestigt, obwohl längst Dämmarbeiten anstehen.
Nach Aussage des Investors Christmann vor Gericht „bleiben die Baufolien auch dran!“.
Mehrmonatiger Druck auf die Mieter
Für die Mieter bedeutet die mehrmonatige Verschattung und Einschränkung der Lebens- und Wohnqualität eine ernste Belastung. Sie fühlen sich unter Druck gesetzt, entweder einer überhöhten Miete und einer Duldungsvereinbarung zuzustimmen, oder einer vom Investor angebotenen Umzugsentschädigung zuzustimmen.
Da die Baufolie bei Sommerbaustellen technisch unüblich ist, und bereits vor Gericht als „Winterbaufolie“ bezeichnet wurde, stellt sich nun die Frage, ob der Investor allein aus Gründen des Bauablaufs – oder aber aufgrund des für ihn wirtschaftlich günstigen Drucks auf die Mieter an der Baufolie festhält.
Die Baufolie ist inzwischen viel länger als bei üblichen Sanierungarbeiten angebracht. Innerhalb von vier Monaten ist normalerweise eine ganzes Haus saniert. Da auch Fassaden abgedeckt sind, an denen wochenlang gar nicht gearbeitet wird, stellen sich inzwischen ganz andere Fragen.
Nötigung, Erpressung – Freiheitsberaubung?
Die Anwälte der betroffenen Mietparteien haben offensichtlich ganz unterschiedlich agiert, und in einem Fall eine Einstweilige Verfügung zur Entfernung der Baufolien durchgesetzt.
In Anbetracht der nun fast viermonatigen Zeit und des schleppenden Sanierungsfortschritts stellen sich auch Fragen nach der Verhältnismäßigkeit der Ansprüche. Vor allem auch Gesundheitsschutz und Kindeswohl von 16 betroffenenen Kindern sind zu bedenken.
Sind die Ansprüche des Investors auf Umsetzung der Sanierung ganz ohne Beachtung des Kindeswohls und der Mieterrechte durchsetzbar? Ist eine rücksichtslose und schleppende Bauausführung sogar Absicht, um den Verhandlungsdruck gegenüber den Mietern zu erhöhen?
Überdies: wenn die Baufolie sogar die Bauarbeiter bei der Arbeit behindert, wird sie womöglich allein zur Herstellung eines Drucks auf die Mieter eingesetzt? Ist sie eine geplante Schikane?
Ergibt sich hier womöglich sogar ein Gesamtbild organisierten Vorgehens, weil der Investor ein ganz ähnliches Vorgehen an einem zweiten Mietshaus in Prenzlauer Berg „durchexerziert“?
Nachdem bisher weder Bauaufsicht noch vorbeugender Brandschutz der Feuerwehr ausreichenden baurechtlichen Bedenken geäußert haben, könnte der Fall „Kopenhagener Str. 46“ nun auch eine strafrechtliche Würdigung erfahren.
Der Straftatbestand der Nötigung wäre erfüllt, wenn nachgewiesen wird, dass die Baufolie als reine Schikane eingesetzt wird.
Sollte die Staatsanwaltschaft tatsächlich einen Strafantrag prüfen, ist sie auch in der unbequemen Lage zu prüfen, ob hier eine öffentliches Interesse besteht.
Da sich die Praxis des Investors (O-Ton: „Die Folie bleibt dran!“) auch an einem weiteren Mietshaus in Prenzlauer Berg bis in Gerichtsurteile und Protokolle nachvollziehen lässt, wäre sogar von einem organisierten Vorgehen und einer gänzlich neuartigen Sanierungspraxis auszugehen, die Mieter in Angst und Schrecken versetzt. m/s
Weitere Informationen:
Berlins brutalste Sanierer – 19.3.2014 – Pankower Allgemeine Zeitung
Graue Ostern in der Kopenhagener Str. 46 – 21.4.2014 – Pankower Allgemeine Zeitung
“Baufolien-KZ” in Prenzlauer Berg – 13.6.2014 – Pankower Allgemeine Zeitung