Von Michael Springer
In Berlin werden jährlich tausende Bäume gefällt, weil sie abgestorben, geschädigt und nicht mehr standsicher sind. Viele dieser Bäume sind der vergangenen Dürreperiode zum Opfer gefallen. Drei Dürrejahre in Folge, zeitweilig ohne pflanzenverfügbares Wasser im Boden, haben hunderttausende Bäume geschädigt und sogar abgetötet. Wurzeln sind abgestorben, manche Bäume fielen danach überraschend um. Es gab sogar mehrere Tote und Verletzte in Berlin. Schwächeparasiten haben seitdem Bäume befallen, vor allem holzzersetzende Pilze sorgen für ein leises Dahinhinsterben von Bäumen.
Dazu gibt tausend Gründe, warum Bäume beseitigt und gefällt werden müssen: mal ist es eine geplante Spielplatzsanierung. Mal drücken alte Bäume mit ihren Wurzeln das Pflaster hoch, und sorgen für Wellen und Stöße auf den Fahrradwegen. Und immer wieder stehen Bäume einer baulichen Innenstadt-Verdichtung, einer Lückenbebauung oder einem Verkehrswegebau im Wege.
Der Antrag auf Fällgenehmigung ist bereits eine elektronische Dienstleistung im ServicePortal Berlin: Baumschutz – Ausnahmegenehmigung beantragen. Geht ein Antrag ein, prüft die zuständige Behörde im jeweiligen Bezirksamt, das Umwelt- und Naturschutzamt. Es prüft, ob der betreffende Baum nach der Berliner Baumschutzverordnung erhaltenswert und geschützt ist, und ob eine Fällgenehmigung erteilt werden kann. Dabei wird auch der Standort des Baumes auf öffentlichen Land oder auf privaten Grundstücken berücksichtigt.
Dazu muss in der Regel die Standsicherheit durch einen externen Gutachter beurteilt werden. Und erst danach kann entschieden werden, ob die „Legalausnahme“ gem. § 39 Abs.5 Satz 2 Nr.2 BNatSchG gegeben ist. Und ob ein höherrangiges öffentliches Interesse besteht, und die Verkehrssicherheit nur durch eine Fällung wieder hergestellt werden kann.
Ersatzpflanzungen mit Gehölzwertermittlung
Für Ersatzpflanzungen bestimmt die Berliner Baumschutzverordnung die Verwendung handelsüblicher Baumschulware. Die Ersatzpflanzungsverpflichtung ist erfüllt, wenn der Baum nach Ablauf von vier Jahren in der darauffolgenden Vegetationsperiode angewachsen ist.
Seit über 20 Jahren wird bei Baumfällungen die Gehölzwertermittlung nach der „Methode KOCH“ angewendet, die aber in der aktuellen Fassung der Ausgabe 2024/2025 (SVK/GALK) keine aktuellen Richtwerte für die Arbeit der Gartenämter enthält.
Der Grund: die für die Wertermittlung maßgeblichen Preise und Kosten haben sich inzwischen um mehr als 70 % erhöht (Destatis, 2022). Dazu sind auch die Anforderungen an eine fachgerechte Pflanzung und Pflege von (Straßen-)bäumen gewachsen (FLL, 2010).
Im neuen Tabellenwerk wird der Umfang der Richtwerte auf die Herstellungskosten für je einen Park- und Straßenbaum im Eigentum der öffentlichen Hand reduziert. Das ist aber ein großer „Faux-Pas,“ weil es hier nur um arbeitssparende Methoden, mit einer sehr übersichtliche Zusammenstellung der Richtwerte geht. Diese können aktuell nur mit einem Rabattsatz für vier gängige Gehölzgrößen und drei gewöhnliche „Herstellungs-Varianten“ abgeschätzt werden.
Neu gepflanzte Stadtbäume müssen heute auch über eine gesicherte Wasserversorgung und über einen dafür ausreichenden Wurzelraum verfügen. Im bebauten Bereich der Stadt kann dies hohe bauliche Kosten verursachen.
Klar ist damit: die rein monetäre Wertermittlung reicht heute nicht mehr aus, und blendet die ökologischen und klimatischen Werte eines Baumes völlig aus.
Klimaschutz, Schattenspende und das Baumkronenvolumen
Was unter den Tisch fällt: der Klimaschutz, die Gemeinwohl- und Klimaschutzfunktionen der gefällten Bäume gehen überhaupt nicht in die rein monetären Berechnungen für Ersatzpflanzungen ein!
Windschutzfunktionen, Schattenspende, Kühleffekte und Mikroklimaeffekte werden ausgeblendet, ignoriert und durch eine reine isolierte Geldwert-Betrachtung völlig übergangen.
Damit besteht für die Klima- und Stadtentwicklungspolitik ein essentielles Glaubwürdigkeitsproblem, denn das Grünvolumen in ganz Berlin schrumpft mit jedem gefällten Baum:
- Bürger könnten fragen, ob kommunale Klimaschutzpläne überhaupt methodisch begründet und abgesichert sind? Übliche Stückzahl-Bilanzen über Baumfällungen und Neupflanzungen und die bekannten Stadtbaumkampagnen verschleiern die tatsächlichen Verluste in den Ökobilanz- und Klimaschutzfunktionen in Berlin.
- Finanzpolitiker könnten die Frage aufwerfen, ob es überhaupt noch sinnvoll ist Ersatzbäume zu pflanzen, weil die Ausgleichswirkungen erst in vielen Jahren „aufwachsen.“
- Die Ausrufung des Klimanotstandes in Pankow im Jahr 2019 verebbt heute als völlig unglaubwürdige PR-Aktion. Denn schon bei einem so überschaubar einfachen Thema „Stadtbäume“ lügen sich Kommunalpolitiker in Pankow die Klimaschutzpolitik und die Gesundheitsschutzpolitik schön.
Vor allem wird die grüne Klimaschutzpolitik völlig unglaubwürdig, weil man es in über fünf Jahren Regierungszeit in Pankow nicht geschafft hat, einen Klimaschutz-Ausgleich für die Fällquoten von Straßenbäumen abzusichern!
Klimaschutz-Ultimatum zur Bundestagswahl 2025
Im Jahr 2025 ist die nächste Bundestagswahl. Es ist zugleich ein ultimatives Datum für die Glaubwürdigkeit der Klimaschutz-Politik! — Was ist eine Klimaschutzpolitik wert, die noch nicht einmal das kleinste „Klimaschutzelement“ in der Stadt richtig im Griff hat – den Straßenbaum?
Nicht nur in der Finanz- und Haushaltspolitik wird ein „Kassensturz“ fällig. Auch die Klimaschutzpolitik und die Klimaanpassungspolitik in Stadt und Land stehen auf dem Prüfstand.
In Pankow muss z.B. das bisher unvollständige Klimaschutzkonzept um das Thema „Ökologische Baumbilanzen“ ergänzt werden. Auch die „Charta für das Berliner Stadtgrün“ erneuert und methodisch richtig auf den Prüfstand gestellt werden.
Das gesamte Thema wurde von der Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik seit mindestens 2017 verschleppt. Auf der Tagung „Urbane Biodiversität – Grüne und Blaue Infrastruktur“ am 23./24. März 2017 der Universität Essen wurden dazu Erkenntnisse und Methoden diskutiert und veröffentlicht: „Städtische Baumbestände unter der Lupe -was wissen wir über ihre Ökosystemleistungen und was sollten wir wissen?“ (Quelle inzwischen offline).
Die Software i-Tree Eco bietet umfassende Wald- und Einzelbaumanalysen, um etwa die Verluste einzelner Ökosystemgrößen bei Baumfällungen konkret abzuschätzen, und muss nur an heutige Berliner Verhältnisse angepasst werden.
Es geht aber noch weiter: Es ist ein Ultimatum für die Glaubwürdigkeit der Klimaschutzpolitik. Parteien, Ministerien, das Umweltbundesamtes und die Bundesanstalt für Naturschutz – sie alle stehen auf dem Prüfstand. Zugleich stehen die Glaubwürdigkeit der Länder- und Kommunalparlamente und auch die Glaubwürdigkeit aller Amtsträger, Bürgermeister und Umwelt- und Gartenamtsleiter auf dem Spiel. Dazu auch die Glaubwürdigkeit sogenannter „zivilgesellschaftlicher Organisationen“ wie dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) und der NABU Naturschutzbund Deutschland) e. V., die das Thema völlig übersehen und ausgelassen haben.
Die nächste Bundestagswahl am 28. September 2025 hat nun einen ersten Prüfstein: „Das Koch-Ultimatum!“ — Gelingt es bis dahin, die Gehölzwertermittlung nach der „Methode KOCH“ durch eine
„allgemeinwohl-dienliche“ Methode der ökologischen Bilanzierung zu ersetzen?
Weitere Informationen:
Deutsche Gartenamtsleiterkonferenz (GALK) – www.galk.de