Der neue Berliner Senat unter dem Regierenden Bürgermeister Müller wurde gestern am 8.12.2016 vereidigt. Der erste rot-rot-grüne Senat ist ein „Riesensenat“ mit 10 Senatoren, 11 Senatorenämtern und 25 Staatssekretären. Für Müller stimmten 88 der 158 anwesenden Abgeordneten. Zwei Abgeordnete fehlten. Die Rot-Rot-Grüne Koalition hat insgesamt 92 Parlamentarier, vermutlich haben bis zu vier Politiker aus dem eigenen Lager dem Regierungschef einen Denkzettel verpasst. Im neuen Berliner Abgeordnetenhaus sind 160 Abgeordnete vertreten – 40 Abgeordnete mehr als bisher.
Der Koalitionsvertrag von Rot-Rot-Grün umfasst insgesamt 245 Seiten, und ist so etwas wie eine Mischung aus „Wunsch-Bibel und Riesen-Agenda“.

Der neue Senat von Berlin
Der neue Senat wurde personell aufgestockt, und hat mitsamt Senatoren und Staatsekretären eine größere Personalstärke als die Regierung des Bundeslandes NRW. Neben intensiven Abstimmungsnotwendigkeiten zwischen den drei Koalitionären sind auch die neuen Ressortverteilungen und Zuständigkeiten abzustimmen.
Das Problem: neue Zuständigkeiten mit Querschnittsaufgaben und Fachzuständigkeiten müssen sich erst einspielen – genau wie die neu ins Amt berufenen Staatssekretärinnen und -sekretäre. Die Herausforderung besteht nicht nur darin, das umfangreiche Programm des Koalitionsvertrages abzuarbeiten – sondern auch Verbindungen und Synergien zu nutzen.
Die große Herausforderung: ist die neue Koalition zur fachübergreifenden Teamarbeit und lösungsorientierten Koordinierung, Programmierungen und „Orchestrierung“ der Zusammenarbeit fähig?
Sind die neuen Zuständigkeiten angesichts „systemischer Aufgaben“ auch hinreichend flexibel, um übergreifende Aufgaben sinnvoll zu lösen?
Angesichts der bisherigen Sparperiode und der Umsteuerung auf eine wachsende Stadt ist der vergrößterte Senat eine durchaus vernünftige Startbedingung, denn die Berliner Verwaltung muss in allen Teilen reorganisiert und modernisiert werden.
Berlin hat in der Vergangenheit große Schwierigkeiten gehabt, bereitstehende Mittel auszuschöpfen und rechtzeitig auszugeben. Die Verstärkung der Zahl der Staatssekretärspositionen ist insofern eher eine wachstumsfördernde Maßnahme – als „berlintypische Verschwendung“.
Übersicht: Neuer Senat und neuen Ressortverteilung
Regierender Bürgermeister und Senatskanzlei und Ressort Wissenschaft & Forschung: Michael Müller
Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie: Sandra Scheeres
Senator für Finanzen; Matthias Kollatz-Ahnen
Senatorin für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung: Dilek Kolat
Senator für Inneres und Sport: Andreas Geisel
Senatorin ür Stadtentwicklung und Wohnen: Katrin Lompscher
Senator für Kultur und Europa: Klaus Lederer
Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales: Elke Breitenbach
Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung: Dirk Behrendt
Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz: Regine Günther
Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe: Ramona Pop

Übersicht: Staatsekretäre und Staatssekretärinnen
Staatssekretär Björn Böhning (Senatskanzlei)
Staatssekretär Steffen Krach Wissenschaft (Senatskanzlei)
Staatssekretärin für Koordination der Bundesangelegenheiten Sawsan Chebli
Staatssekretärin Sigrid Klebba Jugend und Familie
Staatssekretär für Bildung Mark Rackles
Staatssekretärin Finanzen Dr. Margaretha Sudhof
Staatssekretär Finanzen Klaus Feiler
Staatssekretärin für Pflege Barbara König
Staatssekretär fur Gesundheit Boris Velter
Staatssekretär für Inneres Torsten Akmann
Staatssekretärin für Informations- und Kommunikationstechnik Sabine Smentek (Inneres & Sport)
Staatssekretär für Sport Christian Gaebler (Inneres & Sport)
Staatssekretär fur Kultur Torsten Wöhlert
Staatssekretär fur Europa Gerry Woop
Staatssekretärin für Stadtentwicklung Regula Lüscher
Staatssekretär für Wohnen Andrej Holm
Staatssekretär für Arbeit und Soziales Alexander Fischer
Staatssekretär für Integration Daniel Tietze
Staatssekretärin für Justiz Martina Gerlach
Staatssekretärin für Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Margit Gottstein
Staatssekretär für Verkehr Jens-Holger Kirchner
Staatssekretär für Umwelt und Klimaschutz Stefan Tidow
Staatssekretär für Wirtschaft Henner Bunde
Staatssekretär für Digitalisierung Christian Rickerts.
Herausforderungen: Synergien und Smart-City Lösungen fordern übergreifende Koordination
Bei Verkehrslenkung, Radwegen, Baustellenkoordination und Tiefbau müssen sich etwa die Staatsekretäre für Verkehr, für Digitalisierung, für Betriebe und für Wirtschaft auf gemeinsame Lösungen einigen.
Im Schulbau und in der Schulsanierung wären Stadtentwicklung und Klimaschutz einzubinden, und eine Einbindung des Wirtschaftssenats könnte die Nutzung der Dachflächen für Solarenergiegewinnung der Stadtwerke eine interessante finanzielle Synergie schaffen.
Bei Kindertheatern sind verbesserte Wirtschaftlichkeit und gute Arbeit durch eime Zusammenarbeit von Schulsenatorin Scheeres, Kultursenator Lederer und Arbeitssenatorin Breitenbach abzu sichern, weil etwa der Riesenaufwand bei der Herausgabe und Abrechnung von vergünstigten Tickets beseitigt werden kann.
Ob die Arbeit der Bürgerämter verbessert werden kann, hängt auch von der Zusammenarbeit zwischen Innensenator Geisel mit seiner neuen Staatssekretärin für Informations- und Kommunikationstechnik Sabine Smentek und der Wirtschaftssenatorin mit ihrem Staatssekretär für Digitalisierung ab. Die digitale Agenda sieht jeweils ganz anders aus. Moderne Formen und Themen des eGovernment und des selfGovernment sind bislang in Berlin noch nicht ausreichend geprüft und getestet worden. Während der Innensenator den Vorgaben des Normenkontrollrates des Bundes folgen muss, hat die Wirtschaftssenatorin viele innovative Firmen und IT-Cluster, die auf die Bühne drängen.
Interessant wird es auch bei den gemeinsamen Zuständigkeiten zur Landesplanung zwischen Berlin und Brandenburg, da nun Stadtentwicklung, Wohnen und Klima- und Umweltschutz in Berlin voneinander getrennt werden.
Durch Umstrukturierung der Internetseiten des Senats droht zum Beispiel aktuell auch das laufende Beteilligungsverfahren zum Entwurf des Landesentwicklungsplanes Haupstadtregion Berlin-Brandenburg (LEP HR – Entwurf von 19.7.2016) in der Einarbeitunsgphase des neuen Senates „unterzugehen“. Dort ist die Online-Beteiligung zum LEP HR noch bis zum 15.12.2016 möglich.
Die Herauforderung besteht vor allem darin, die bisherigen Entwicklungsziele zum Bauen und Wohnen arbeitsteilig mit den Zielen von Umweltschutz, Naturschutz und Daseinsvorsorge in Einklang zu bringen.
100 Tage Schonfrist – doch kein Tag zum Warten
Der neue Senat muss sich nun schnellstmöglich reorganisieren. Während die SPD-geführten Verwaltungen schon die Internetseiten ihrer Senatsverwaltungen redigiert und erneuert haben, müssen die neu gewählten Senatorinnen und Senatoren von Linkspartei und Bündnis 90/Grüne noch nacharbeiten, und zuerst ihre Büromannschaften in Gang setzen.
Die anstehenden Aufgaben und Infrastrukturprogramme müssen nun schnell gestartet werden und dulden im Prinzip keinen Tag Aufschub. Doch sollte es gute Praxis sein, die Arbeit des neuen Senates zunächst mit der gewohnten 100 Tage Schonfrist zu betrachten.