Ob der Flughafen Berlin Brandenburg (BER) wie geplant am 17. März 2013 eröffnet werden kann ist inzwischen zweifelhaft. In Tegel und in Pankow besteht nun eine große Unsicherheit, wann der Flughafen Tegel stillgelegt werden kann – und ab wann in der Pankower Einflugschneise Ruhe einkehrt.
Flughafen Berlin Brandenburg / Foto: Alexander Obst / Marion Schmieding
Der Brandschutztest im Flughafengebäude BER am „Tag der Entscheidung“ am 24.6.2012 testete die Entrauchung und Notstromversorgung – der Test verlief halbwegs erfolgreich. Die Tests beschränkten sich allerdings auf den Hauptpier des BER-Terminals und einige Funktionen der Brandschutzanlage. Echte sogenannte „Wirkverbundtests“, mit denen denen das Gesamtsystem des Terminals und das automatische Zusammenspiel aller Einzelteile auf die Probe gestellt werden, wird es jedoch erst im Winter 2012/13 unter TÜV-Aufsicht geben.
Eine vollständige Funktion kann erst hergestellt werden, wenn die Leittechnik vollständig angeschlossen ist. Viele zentral zu steuernde Funktionen, Türsteuerungen und Brandschutztüren müssen erst noch verkabelt werden.
An einigen Stellen im Untergeschoß sind auch Zwischendecken beschädigt worden, weil darüber liegende Kabelbrücken überbelegt wurden. Die Folge: einige Deckenabhängungen fielen hinunter. An vielen Stellen sind deshalb noch immer Decken geöffnet, weil umfangreiche Neuverkabelungen erforderlich sind. Damit sind noch ganz erhebliche Mängel zu beseitigen, bevor es überhaupt zum fehlerfreien „Zusammenwirken des Gesamtsystems“ im Brandschutz kommen kann.
Nach dem geplatzten Inbetriebnahme-Termin im Juni wurden die teuren Sicherheitskontrollen am Flughafen mit ihren zwei Sicherheit-Ringen ausgedünnt. Aus Kreisen von Bauzulieferern wurde sogar in der letzten Woche berichtet dass man nun zeitweise ohne Kontrolle auf das Gelände gelangen kann. Bei Kontrollen auf dem Gelände des neuen Hauptstadtflughafens in Schönefeld wurde in zwei Fahrzeugen verschwundenes Baumaterial entdeckt, darunter Kupferkabel für 25 000 Euro. Fünf Bauarbeiter (44-58) wurden im Juli festgenommen.
Inzwischen werden weitere unangenehme Details bekannt, die eine Inbetriebnahme erschweren.
So sind an einigen tragenden Pfeilern im Bahnhofsbereich Setzungsrisse aufgetreten – die noch näher und untersucht werden müssen. Setzungsrisse sind kein ungewöhnliches Problem be Großbauten. Aber nach Inbetriebnahme des unterirdischen Bahnhofs kommen Bodenerschütterungen durch den Zugverkehr hinzu – die die Statik weiter beanspruchen. Die Setzung kann sich daher noch im Zeitablauf verstärken – und erfordert monatelange Nachkontrollen und Sanierungsarbeiten. Ein der Länge nach gerissener Betonpfeiler, von dem der BERLINER KURIER berichtete, muss vermutlich sogar vollständig ersetzt werden.
Im unterirdischen Bahnhof fährt die S-Bahn bereits regelmässige Leerfahrten. Diese sogenannten „Belüftungsfahrten“ dienen dazu, die Tunnelbereiche zu belüften, da diese keine Lüftungsanlage haben und nur durch die „Zugluft“ belüftet werden. Frische Betonbauten geben erfahrungsgemäss 1-2 Jahre große Mengen an Wasser ab, das verdunstet. Um das Schwitzwasser aus dem Tunnelbahnhof abzuleiten, sind nun“Belüftungsfahrten bis zur geregelten Inbetriebnahme erforderlich – da es sonst erhebliche Probleme mit Schimmelbildung geben könnte. Ob im Tunnel Grundwasser zutage tritt, kann nicht überprüft werden – das Gerücht hält sich jedoch hartnäckig. Der Tunnelbahnhof ist bislang für die Öffentlichkeit gesperrt.
Berichte, die Startbahn-Süd sei unterspült, erweisen sich bei näherer Betrachtung als haltlos. In der Presse präsentierte Fotos zeigten lediglich durch Regenwasser erodierte Böschungsränder, die einfach durch Landschaftsgärtner repariert werden können.
Mängel gibt es aber an anderen Bauten. Das Parkhaus 3 weist zu schwache Decken auf und es wird sogar über einen Abriß spekuliert. Ein Gerichtsverfahren ist anhängig. Umfangreiche Betonsanierungsarbeiten sind sicher erforderlich – die mindestens 6 Monate dauern können.
Die unterirdische Betankungsanlage ist noch nicht betriebsbereit – die Sicherheitssteuerung muss erst noch eingebaut und technisch abgenommen werden. Bis dahin müssen Tanklaster das Kerosin über das Terminal-Gelände zu den Flugzeugen fahren.
Inzwischen hat die Flughafengesellschaft FBB die Planungsgemeinschaft pg bbi verklagt – die den Flughafenneubau entworfen und geplant hat. An ihr sind die Architektenbüros gmp (von Gerkan, Marg und Partner) und JSK beteiligt. In der mehr als 1000 Seiten umfassenden Klageschrift wird den Flughafenplanern ein Schaden von 80 Mio. € zur Last gelegt.
Hauptvorwurf:
In der Planungsphase des Flughafens wurde viel Wert auf Architektur und zu wenig Wert auf Funktionalität gelegt. Der Brandschutz gehöre zu dem Sicherheitstechnikkonzept, das laut Klageschrift „unnötig komplex“, unter „rein optischen Gesichtspunkten“ geplant worden sei und sich bei der Umsetzung „als kaum beherrschbar“ erwiesen habe.
Der Hauptvorwurf hat es in sich – weil er auf eine grundlegende System-Schwäche des neuen Flughafens hinweist:
In Wikipedia wird die Brandmeldeanlage beschrieben als „Die komplexe vollautomatische Brandmeldeanlage, in der Form weltweit einer der größten und neuartigsten, die im Brandfall durch 16.000 Melder und ein kilometerlanges Rauchgasabpumpsystem Menschenleben retten soll“. Die Brandschutzanlage zeigte bereits im Dezember (2011) erhebliche Mängel. „Das einwandfreie Zusammenwirken der durch fünf Firmen installierten Systeme ist nicht gewährleistet, worauf hin der TÜV die Abnahme verweigerte.“ (siehe Wikipedia).
Die Klage gegen die Flughafen-Planer könnte sich jedoch schnell als Bumerang für die Flughafengesellschaft erweisen – weil die Ursachen für das Planungsdesaster viel früher angelegt waren.
Ursprünglich war die Ingenieurgesellschaft IGK-IGR Ingenieur-Gesellschaft Kruck für die Planung der gesamten Haustechnik des Terminals verantwortlich – für die Elektrik, Be- und Entlüftung, also Strom-, Gas- und Wasserversorgung. Die Ingeniergesellschaft ging jedoch aufgrund von Zahlungsverzögerungen der FBB in Insolvenz. Fachleute hatten die FBB gewarnt, die für die Haustechnik verantwortliche Planungsfirma mitten in der Bauphase abzuschreiben.
Die Insolvenz erfolgte schon im Februar 2010, wurde aber in den Ansprachen zum Richtfest am 7. Mai 2010 mit keinem Wort erwähnt.
Im Mai 2010 wurden dann Details bekannt: wegen der Kruck-Insolvenz waren im Februar 2010 von den 1500 Innenausbauplänen bislang nur 300 bis 400 fertig.
Kruck gehörte zu der Planungsgemeinschaft BBI (pg bbi), bestehend aus dem Architekturbüro gmp von Volkwin Marg und Meinhard von Gerkan und JSK International Architekten und Ingenieure GmbH, die die kaufmännische Verantwortung der pg bbi tragen.
Fachleute warnten, dass sich aus der Insolvenz Verzögerungen ergeben könnten. Die Flughafengesellschaft verwies auf die Verantwortung für die fehlenden Innenausbaupläne bei der pg bbi als Auftragnehmer.
Flughafenarchitekt von Gerkan sagte damals in einem Interview der Berliner Morgenpost, „dass unter „chinesischen Verhältnissen“ der Zeitplan zu schaffen sei – also Arbeit rund um die Uhr und sieben Tage die Woche“.
Flughafensprecher Kunkel teilte danach mit: „Wegen dieser Insolvenz haben wir einen externen Gutachter gebeten, die daraus resultierenden Konsequenzen zu bewerten.“ Spätestens auf der Aufsichtsratsitzung am 26. Juni (2010) soll das Thema mit den Gesellschaftern, den Ländern Berlin, Brandenburg und dem Bund, besprochen werden. Kunkel:“Gegenwärtig sind 2500 Bauarbeiter auf der größten Infrastrukturbaustelle Deutschlands beschäftigt. Verbaut werden 2,5 Milliarden Euro.“
Ende Mai 2010 traf der Bericht des externe Gutachters ein. Nach Informationen der Berliner Zeitung führten das Gutachten und der brisante Brief des Projektkoordinators zum Zerwürfnis in der FBS-Chefetage. Im Gegensatz zum Flughafenchef Rainer Schwarz soll sich der damalige Flughafen-Geschäftsführer Manfred Körtgen dafür ausgesprochen haben, wenigstens den Aufsichtsratsvorsitzenden Wowereit über die Probleme zu informieren. Schwarz und Körtgen würden seitdem nur noch schriftlich miteinander verkehren, hieß es. Flughafensprecher Ralf Kunkel wies dies jedoch als „an den Haaren herbeigezogen“ zurück.
Die Insolvenz der für die gesamte Haustechnik verantwortlichen Planer im Frühjahr 2010 zog erhebliche Folgen nach sich, weil die planerische Gesamtverantwortung und Koordination für die komplexen Haustechnik-Gewerke wechselte und zumindest zeitweise gänzlich verloren ging. In der Praxis sind im Jahr 2010 viele „undokumentierte Änderungen“ zustande gekommen – die sich vermutlich bis heute zur Belastung des Gesamt-Systems auswachsen.
Inzwischen ist bekannt: mehr als 20 gravierende Mängel gibt es beim Brandschutz – von denen sechs Punkte noch einer intensiven Analyse bedürfen. Die Firma „hhp Berlin“ nahm damit ihr eigenes Brandschutzkonzept noch einmal mal unter die Lupe.
Neben leicht behebbaren Mängeln bei der Kennzeichnungssystematik von Fluchtwegen gibt es bei der Alarmierungssteuerung im Notfall zu große Verzögerungen. Sorgen bereitet die geschossübergreifende Entrauchung. Und die „Ausführung und Ausstattung der geschossübergreifenden Schächte“ wird kritisch gesehen. Im Klartext: die Rauchableitung durch lange Klimakanäle und Kellergeschosse wird als fehleranfällig beschrieben. Funktioniert nur eine einzige Rauchklappe nicht, können die Kanäle infolge Unterdruck implodieren. Bei Überhitzung durch heiße Rauchgase besteht zudem ebenfalls die latente Gefahr, dass die Kanäle sich verbiegen und vorzeitig versagen.
Ferner wird ein „fehlender Konstruktionssprinklerschutz in der Abflughalle“ bemängelt – der die fragilen Stützpfeiler vor Feuer und Überhitzung schützen soll.
Die Flughafengesellschaft hält inzwischen selbst nicht mehr viel von der Brandschutz-Anlage. Diese sei „viel zu kompliziert, schwer zu steuern, zu sehr auf die schlanke Architektur statt auf Praxistauglichkeit ausgerichtet“.
Inzwischen hat der neue Technikchef Horst Amann (59) sein Amt angetreten, und muss sich nun einen Blick auf tausende Pläne, Mängel- und Prüfberichte und die Gesamtlage verschaffen. Ob das bis zum 16.August 2012 – der nächsten Aufsichtsrats-Sitzung – geschehen kann, ist fraglich.
Damit ist auch der nächstmögliche „politisch geplante“ Inbetriebnahme-Termin 17.3.2013 für den Flughafen BER äußerst unsicher.
Das gesamte Betriebskonzept des FLughafens BER hängt nun von der technischen Funktionsfähigkeit eines hochkomplexen Systems ab.
TÜV und Bauaufsicht des Landkreises Dahme-Spreewald werden die Entscheidung treffen, ob und wann der Flughafen in Betrieb gehen kann. Der Landrat des Landkreises Dahme-Spreewald Stephan Loge (52, SPD) schrieb schon für das Bauordnungsamt an den Flughafen: „Nach Kenntnisnahme der übergebenen Terminpläne für die Fertigstellung des Fluggastterminals und für die Inbetriebnahme BER (…) muss ich Ihnen bereits heute meine Bedenken zum Betriebsaufnahmetermin am 17.3.2013 mitteilen.“
Es ist nun nicht mehr undenkbar, dass der Flughafen BER Willy Brandt erst zu Beginn des Winterflugplans im Herbst 2013 „unter Auflagen“ in Betrieb geht. Das komplexe Brandschutz-System ist längst eine schwere Hypothek für den Flughafenbetreiber – die auch eine neue Risikoanalyse für die Flughafenplanung zwischen Berlin und Brandenburg erzwingt.
Tegel könnte noch lange offen bleiben – wenn der Flughafen-Terminal nicht hinreichend betriebssicher ist – und umgebaut werden muss. Pankow bliebe dann noch auf lange Dauer Einflugschneise. m/s