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Styrol & Feinstaub quälen Mieter

Kopenhagener 46 am 14.8.2014

Die Redaktion erreichte Montagabend ein verzweifelter Notruf von Mietern aus dem Mietshaus Kopenhagener Straße. Die Mieter sind seit fast 5 Monaten vollständig hinter einer Baufolie eingehaust. Nicht nur Licht und Sonne sind eingeschränkt, sondern auch der Luftaustausch. Nun liegen Styrolgeruch und Feinstaub in der Luft.

Kopenhagener 46 am 14.8.2014
Mietshaus seit 5 Monaten hinter Baufolie eingehaust.
Kopenhagener 46 am 14.8.2014

Die schleppend laufende energetische Sanierung wird entgegen mit Mietern einvernehmlicher Sanierungspraxis auf brutale Weise durchgeführt: das Haus wurde „vollständig“ in Baufolie eingehaust. Die Folie wurde sogar am 14. August noch zusätzlich ausgebessert und festgezurrt. Es gibt damit keine ausreichende Möglichkeit zur Querlüftung der Wohnung.

Baufolieneinhausung als Schikane

Üblich ist es eigentlich, dass jeweils nur eine einzelne Fassade mit Folie abgedichtet wird – üblich ist auch, die Bauarbeiten zügig und schnell auszuführen, um die Einschränkungen für Mieter während der Sanierung gering zu halten.

Doch in der Kopenhagener Straße ist alles anders: die Bauarbeiten verlaufen schleppend, es sind nur drei Arbeiter unregelmässig auf dem Bau.

Die Baufolie wird so zur lang wirkenden Schikane. Die Mieter sollen offensichtlich möglichst schnell zur Duldung der Mieterhöhung oder zum Auszug zu bewegt werden.

Wenigstens acht Mietparteien sind auch schon ausgezogen. Zwei Mieter offensichtlich ohne Abfindung. Ein klarer wirtschaftlicher Vorteil für den Investor, der hier seinen nötigenden Druck auf die Mieter auch noch wirtschaftlich belohnt sehen kann.

Aktuelle Bauarbeiten an der Fassade

An der Fassade werden Hartschaum-Dämmplatten angebracht. Das Material: expandiertem Polystyrol-Hartschaum nach DIN EN 13163, Anwendungstyp WAP gemäß DIN 4108-10, Qualitätstyp WDV der Fa. Brillux. Wärmedämmplatten emittieren Styrol aus den fabrikneuen Platten. Diese dürfen daher erst nach 4-wöchiger Lagerung in den Handel gelangen. Werden die Dämmplatten angeschnitten oder geschliffen, so gelang auch bei abgelagerten Platten Styrol in die Außenluft.

Auf der Baustelle wurden am gestrigen Montag Styroporplatten innerhalb der Einhausung geschliffen. Die Schleif-Arbeiten werden notwendig, um die Kanten an den Fensterlaibungen millimetergenau auszugleichen, und um Grate und Schnittkanten zu glätten. Da die Mieter nicht vorgewarnt wurden, konnten sie auch nicht die Fenster von Innen abdichten.

Auch der bereits angebrachte Putz wird glattgeschliffen und hinterlässt dabei Mengen von Feinstaub innerhalb der Verplanung. Feinstaub und Styroldämpfe gelangen hinter der Verplanung auch in die Wohnungen, die mangels Querlüftung auch nicht entlüftet werden können. Da die Fenster nicht luftdicht sind, reichern sich Styrol und Feinstaub auch in der Wohnungsluft an.

Die Bauarbeiter führen zudem die Arbeiten ohne Atemfiltermaske aus – ein klarer Verstoß gegen Arbeitsschutzbestimmungen.

Erkrankte Kinder in mehreren Wohnungen

Am Abend der ersten Schultages nach den Ferien waren die Kinder in ihre Wohnungen und Kinderzimmer zurückgekehrt, und schon nach wenigen Stunden zeigten sich allergische Reaktionen, die den Eltern bisher unbekannt waren.
In einer Wohnung im Hinterhaus im 2. Stock sind zwei Kinder betroffen. Ein Kind weist juckende Haut und Rötungen auf. Ein zweites Kind leidet an Atemwegsproblemen, Hautjucken, benennt ein starkes Kratzen am Hals, dazu muß es häufig niesen und klagt über brennende Augen.

Auch im Vorherhaus sind Kinder betroffen, und zeigen allergische Reaktionen. In einer Wohnung im 1.Stock zeigt ein Kind die ähnlichen Symptome, wie ein Kind aus dem Hinterhaus: permanentes Niesen, starkes Kratzen am Hals, Hautekzeme. Der kleine Bruder hat eine zugeschwollene Nase, Nasenkribbeln und geschwollene Nasenhöhlen.

Auch im Erdgeschoß zeigt ein Kind ähnliche Symptome: Hautrötungen, juckende Haut, Atemwegsproblem , tränende Augen.

In der Wohnung im Vorderhaus im 2.Stock sind die Eltern mit einem Kleinkind wegen gesundheitlicher Probleme bereits ausgezogen.
Auch im Vorderhaus im 3. Stock ist eine Mutter mit Kleinkind schon wegen gesundheitlicher Probleme ausgezogen.

Die Symptome deuten auf eine Reaktion mit dem alkalischen Feinstaub hin, bei Hautkontakt und Kontakt mit Schleimhäuten in Mund und Nase chemisch reagiert.

Versagen von Behörden und Bauaufsicht?

Die Mieter haben schon viele Anstrengungen unternommen, um sich gegen die uneingeschränkte Baufolieneinhausung zu wehren. In Zwei Fällen konnten einstweilige Verfügungen durchgesetzt werden, vor den beiden Wohnungen ist die Folien ausgespart worden.

Beschwerden bei der Pankower Bauaufsicht verliefen im Sande. Als der Bauläufer im Juli vor Ort war, hatten die Arbeiter wegen hoher Außentemperaturen selbst Teile der Plane im Hinterhof (Seitenflügel) entfernt. Der Bauläufer meldete Entwarnung an seine Behördenleitung. Doch schon Tage später waren die Folien wieder dicht. Am 14. August wurden die Baufolien sogar völlig umgehängt und noch dichter als zuvor abgedichtet.

Berliner Feuerwehr mit Kompetenzproblemen bei vorbeugenden Brandschutz?

Eine Beschwerde bei der Landesbranddirektion der Berliner Feuerwehr erbrachte eine seltsame Stellungnahme: demnach sah die Berliner Feuerwehr keine Gefahr. Im Gegenteil, das Gerüst wird als zweiter Fluchtweg angesehen. Bezüglich der Gefahr der möglichen Rauchmausbreitung hinter der Bauplane wurde auf einen möglichen „Kamineffekt“ verwiesen, „wenn der Rauch oben abziehen kann“. Vor Ort geprüft wurde jedoch nicht. Hätte man oben im Gerüst nachgeprüft – wären die Bedenken wohl bestätigt worden.

Völlig ignoriert wurde der Umstand, dass die Styropor-Dämmung nicht zügig verputzt wurde, sondern wochenlang ungeschützt an der Fassade klebte. Der Brandfall „Styroporbrand während der Bauausführung“ wurde von den Fachleuten des vorbeugenden Brandschutz vällig außer Acht gelassen.

Landesamt für Arbeitsschutz – nicht zuständig

Das Berliner Landesamt für Arbeitsschutz und technische Sicherheit wurde ebenfalls eingeschaltet. Doch Dr. Rath winkte ab – nicht zuständig für den Schutz der Mieter. Aber auch bei der Bautätigkeit sieht man wohl keine Bedenken. Nach Baustellen-Verordnung hätte längst ein Sicherheit- und Gesundheitsschutzkoordinator tätig werden müssen. Man hält es nicht einmal für notwendigt, vor Ort nachzuschauen.
Offensichtliche Mängel beim Arbeitschutz der Arbeitnehmer bleiben so behördlich „unentdeckt“ – und der Investor hat offensichtliche Bahn, die Sanierung unter größtmöglicher Beeinträchtigung der Mieter durchzuziehen.

Strafanzeige wegen Nötigung – noch nicht entschieden

Auf eine am 14. August gestellte Strafanzeige wegen Nötigung hat die Berliner Generalstaatsanwaltschaft bislang nicht reagiert. Die belegbaren strafwürdigen Aspekte für eine staatanwaltliche Ermittlung sind inzwischen in den vielen Prozeßakten der Mietrechtsprozesse und Duldungsklagen zu finden.

Das Ermittlungsverfahren wegen Nötigung und schwerer Körperverletzung gegen den Eigentümer Wulff Christmann ist bei der Staatsanwaltschaft Berlin bereits seit dem 14.07.2014 anhängig.

Doch es ist fraglich, ob sich die Staatsanwaltschaft der Fleißaufgabe stellt, hier ein organisiertes Vorgehen des Investors nachzuweisen. Dieser versucht immer wieder den Eindruck zu vermitteln, es geschehe nichts Ungewöhnliches am Bau.

Zuständigkeit der Bauordnung und Nichteingreifen des Baustadtrates

Die Bauordnung regelt Anforderungen, die bei Bauvorhaben zu beachten sind. Neben baurechtlichen Anforderungen, Anforderungen an das Bauwerkt sind auch Anforderungen an die Sicherheit von Baustelle und Bauwerk gestellt. In der Sanierungspraxis energetischer Sanierungen fehlen bislang jedach genauere Ausführungsvorschriften und Sicherheitsanforderungen.

Die Bauordnung fordert jedoch übergreifendes Denken:

„§ 3 Allgemeine Anforderungen
(1) Bauliche Anlagen sowie andere Anlagen und Einrichtungen im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 sind so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, daß die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit oder die natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefährdet werden. Sie müssen ihrem Zweck entsprechend ohne Mißstände zu nutzen sein.“

Die politische Streitfrage lautet: „Ist das öffentliche Baurecht an diese Stelle tatsächlich ohne rechtliche Handhabe, kann der Baustadtrat nicht wirksm eingreifen? Sind die Mieter tatsächlich ganz allein auf zivilrechtliche Wege gestellt?“

Es obliegt nun dem Baustadtrat, diesen Passus im Ermessen anzuwenden. Liegt hier ein Mißstand vor? Werden Sicherheit oder Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit oder die natürlichen Lebensgrundlagen gefährdet?

Muß eine Bauaufsicht hier aus eigener Verantwortung handeln? Und wird es nach 5 Monaten nicht endlich Zeit, dem Bauherrn klarzumachen, dass eine „Folien-Volleinhausung“ ein schwerwiegender und nicht hinnehmbarer Mißstand ist? Oder haben wir hier schon einen rechtsfreien Raum, in dem das Recht des Stärkeren vor allen Schutzgütern gilt?

Fachleute schätzen, es dauert nur rund zwei Stunden, die Folie an jeweils einer Fassadenseite abzuhängen, und den Mietern Frischluft zu verschaffen!

Weitere Informationen:

Strafanzeige gegen Investor gestellt | 18. 8. 2014 | Pankower Allgemeine Zeitung

Update: Stellungnahme der Bauaufsicht des Bezirksamtes Pankow – Abt. Stadtentwicklung – 27.8.2014 : 15:30 Uhr

Die letzte Kontrolle des Fachbereiches Bau- und Wohnungsaufsicht (FB BWA) erfolgte am 24.06.2014. Hierbei wurde festgestellt, dass die hier in Rede stehenden Planen zum größeren Teilen abgenommen waren.

Es besteht beim FB BWA keine Kapazität bei Baumaßnahmen, welche im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach § 64 der BauO Bln ausgeführt werden, regelmäßige Kontrollen auszuführen. Dies ist auch nicht im Sinne der Liberalisierung des Bauordnungsrechtes.

Die Ausführung von Wärmedämmverbundsystemen stellt als Einzelleistung eine nach § 62 der BauO Bln verfahrensfreie Baumaßnahme dar. Weiterhin stellt auch die Ausführung von Gerüsten in der Regelausführung eine verfahrensfreie Baumaßnahme dar.

Bei der Ausführung von Wärmedämmverbundsystemen sind Systeme mit Styrol oder gleichwertigen Produkten die in Deutschland am häufigsten angewendeten Systeme. Grundsätzliche Gesundheitsbedenken sind bei Einhaltung der jeweiligen Zulassungsbedingungen nicht zu erwarten.

Eine Ausführung der Sicherung der Gerüste mit Gerüstplanen ist grundsätzlich nicht zu beanstanden auch wenn diese blickdicht sind. Brandschutztechnische Bedenken gegen blickdichte Gerüstplanen bestehen grundsätzlich nicht.

Die langsame Bauausführung stellt sicherlich für die betroffenen Mieter eine erhöhte Belastung dar. Es gibt in den bauordnungsrechtlichen Bestimmungen aber grundsätzlich keine Reglungen über die Zeitdauer in der eine genehmigte oder verfahrensfrei gestellte Bauleistung zwingend abgeschlossen sein muss. Insofern besteht hier keine Eingriffsmöglichkeit für die Bauaufsichtsbehörde. Hier besteht nur die Möglichkeit einer privatrechtlichen Reglung.

Mit besten Grüßen
Diana Kerait

Bezirksamt Pankow von Berlin
Abt. Stadtentwicklung
Koordinatorin beim Bezirksstadtrat