/// Glosse /// – Der Begriff „völkisch“ sollte nicht mehr so negativ verstanden werden, meinte Frauke Petry, die Vorsitzende der Partei AfD jüngst in der WELT AM SONNTAG. Man müsse „daran arbeiten, dass dieser Begriff wieder positiv besetzt ist.“ Petry findet, es sei eine „unzulässige Verkürzung“, wenn gesagt werde, „‚völkisch‘ ist rassistisch“.
Frauke Petry hat mit diesem Worten ihre politische Karriere praktisch beendet, die AfD wird ihre Vorsitzende nun in der Versenkung verschwinden lassen müssen, wenn sie noch 2017 zur Bundestagswahl antreten will. Petry offenbarte mit ihrer jüngsten politischen Verve ihr rechtsideologisches „Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom“: sie will den Mitmenschen „völkische Bonbons“ zum Lutschen geben, die alle Köpfe vergiften – um danach selbst als Heilerin auftreten zu können.
Originellerweise ist das Wort „völkisch“ seltsam geschmacklos, und wurde von einem Dichter der Sturm und Drang Periode in die Welt gesetzt: Gottfried August Bürger (* 31. Dezember 1747 – † 8. Juni 1794) – ein Dichter der Aufklärung, der vor allem durch seine Balladen sowie die Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen zu einiger Bekanntheit gelangte.
Bürgers Maxime: „Deutsche sind wir! Deutsche, die nicht Griechische, nicht Römische, nicht Allerweltsgedichte in Deutscher Zunge, sondern in Deutscher Zunge Deutsche Gedichte, verdaulich und nährend für’s ganze Volk machen sollen.“ Er war damit zu seiner Zeit populär als Dichter, Lyriker und Schreiber von Balladen.
Bürger wollte dabei mit seiner Dichtung „volkstümlich“ bleiben: „Alle Poesie soll volkstümlich sein, denn das ist das Siegel ihrer Vollkommenheit.“
In seinem dichterischen Überschwang wurde Bürger auch zum Sprachschöpfer, etwa 1018 Wörter umfasst die Liste seiner Wortneuschöpfungen. Darunter sind Worte wie Haremswächter, querfeldein, sattelfest, Unschuldsdieb, Gemeingut, Friedensbund, Volksgewimmel oder tiefbetrübt – und das adjektivische „völkisch“, das in kaum eine andere Sprache übersetzbar ist.
Politisch traf das in eine Zeit in der sich das deutsche Bürgertum nach den Freiheitskriegen nach einer nationalen deutschen Identität suchte.
Völkische Ideologie und Biologie als Boden für Rassenwahn
Die Völkische Bewegung gewann mit deutschnationalen und und antisemitisch-rassistischen Vereinen, Parteien, Publikationen und weitere Gruppen und Individuen im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts großen Einfluss auf die Öffentlichkeit im Deutschen Reich – und in Österreich-Ungarn.
Parallel zum Aufschwung von Biologie und Gesundheitswissenschaften und den Innovationen zur „Volksgesundheit“ und „Hygiene“, konnten sich auch „rassistische Denkmuster“ ausbreiten, und die ideologische Basis für den späteren Rassenwahn legen.
Das „Völkische“ wurde zum kulturell-politischen Kampfbegriff, der sogar von der Lebensreformbewegung mit ihren FKK-Vorkämpfern, und den Naturheilkundlern aufgegriffen wurde, bis es zum diffusen ideologischen Codewort wurde, das ím Umfeld von Begriffen wie volkhaft, volksmäßig, völkerschaftlich – und volklich auftauchte.
In den 1920er Jahre wurde das Wort zum Kampfbegriff, denn die Nationalsozialisten standen zuerst in Konkurrenz zur Völkischen Bewegung.
Anne Catherine Simon hat dazu in der Wiener Zeitung DIE PRESSE jüngst interessante Aspekte kommentiert.
„Volkstum“ bezeichnete im Sinne der Völkischen Bewegung die gesamten Lebensäußerungen eines Volkes oder einer ethnischen Minderheit als Ausdruck eines gemeinsamen „Volkscharakters“. Deutsche Nationalisten stellten im Kontext der Freiheitskriege damit einen Gegensatz zu den Idealen der Französischen Revolution, und den universalen Menschenrechten her.
Damit wurde der Boden für die Nationalsozialisten vorbereitet, die den Begriff später als Rechtfertigung der aggressiven „Volkstumspolitik“ und „Politik des Rassenwahns“ verwendeten.
Nationalsozialisten zerstörten damit die politischen Grundlagen des aufgeklärten liberalen Bürgertums in Deutschland.
Sprengsatz für die AfD
Frauke Petry hat mit diesem Rückgriff einen Sprengsatz in der AfD gelegt, sie treibt die Partei in die „Volkstümmeligkeit“. Ein Sprengsatz, der unweigerlich explodieren wird, auch wenn Petry selbst das nicht mehr im Amt der Parteivorsitzenden erlebt
Im Lichte moderner Kulturwissenschaften wissen wir heute: Identität ist nicht eine Frage der Biologie und Abstammung, sondern eine Frage der Kultur und gemeinsamer Kulturpraxis. Vor allem setzt Kultur Einsichtsfähigkeit und eine universelle Werteorientierung voraus, die Menschen frei von Ideologien denken und urteilen lässt.
Die AfD wird in den Parlamenten schnell lernen: Ideologie und „völkische Bonbons“ taugen kaum für praktische Politik.