Die Europäische Union befindet sich in einer tiefen Krise. Nach dem Brexit-Votum in Großbritannien haben die 27 verbliebenen EU-Staaten nun vor, auf dem Gipfel von Bratislava vor, die Lage umfassend zu analysieren und Auswege zu suchen. Der Blick richtet sich dabei vorwiegend auf die großen Krisen: Eurokrise und Finanzkrise, Flüchtlingskrise und Sicherung der Außengrenzen, Arbeitslosigkeit und ökonomische Ungleichgewichte innerhalb der Staatengemeinschaft und die Krise der südlichen EU-Staaten (Italien, Griechenland, Spanien, Portugal).
Die Auswirkungen der russischen Krim-Annektion und der Ukraine-Krise sorgen für eine Neubewertung und notwendige Neujustierung der europäischen Sicherheitsarchitektur.
Größte Sorge bereitet den Regierungen jedoch das Aufkommen populistischer, nach Vereinfachung und Überschaubarkeit strebender politischer Bewegungen. Diese bedrohen das gemeinsame Wertesystem der EU, die Prinzipien von Rechtsstaatlichkeit, offene Grenzen und Freizügigkeit. Nationale Alleingänge sorgen für eine Belastung der auf Kompromiss und gemeinsame Ziele ausgerichteten EU-Politik.
Das fein austarierte politische und parlamentarische System der EU droht daher außer Funktion gesetzt zu werden.
Die Europäische Union – ein fein austariertes System
Die Europäischen Union ist ein supranationaler Zusammenschluss souveräner Staaten und unterscheidet sich von allen bekannten einzelstaatlichen politischen Systemen. Ein dreigliedriges System, das jeweils auf den nationalem Parlamenten, nationalen Regierungen und den jeweiligen Staatschefs aufbaut, dem jeweils Europäisches Parlament, Ministerrat und Europäischer Rat als übergeordnete Gremien entsprechen.
Die Europäische Kommission hat in diesem System eine große Gestaltungsmacht, weil sie das Initiativrecht besitzt, und die Leitlinien des Europäischen Rates der Regierungschefs in Gesetzesinitiativen umsetzt, die dem EU-Parlament vorgelegt werden.
Das fein austarierte System ist zwischen den Modellen eines europäischen Bundesstaats einerseits und eines losen Staatenbunds andererseits angelegt. In diesem Spannungsfeld von Zielvorstellungen hat sich das derzeit bestehende Institutionengefüge herausgebildet, das in Deutschland üblicherweise mit dem Begriff „Staatenverbund“ bezeichnet wird. Die Funktionsweise der Europäischen Union wird auch in der ARD-Mediathek visualisiert – eine gute Hilfe zum Verständnis eines komplexen politischen Systems.
Politisches System der EU auf Ausgleich ausgerichtet
Das politische System der EU ist auf Ausgleich ausgerichtet. Doch deFacto nehmen Deutschland und Frankreich und die wirtschaftlich starken Länder über den Ministerrat stärker Einfluß, als für das Gesamtsystem auf Dauer zuträglich ist. Ein großer Teil der Konfliktlagen zwischen den EU-Mitgliedern hat mit der zunehmenden Spannung zwischen gemeinsamen Zielen und tatsächlichen Disparitäten und Fehlentwicklungen zu tun.
So hat etwa die Globalisierung zu einer zunehmenden Konkurrenz aus China gesorgt, die für die südeuropäische Industrie und Textilindustrie in eine Krise mündete. Die Schuldenkrise in Griechenland und Italien wurde so verschärft, abgesehen von Mißmanagement und Korruption.
Das auf Ausgleich und Förderung ausgerichtete System der Eu stößt hier jedoch auf Grenzen, die nicht sofort jedermann sichtbar werden: EZB und EU-Ministerrat sorgen gemeinsam mit der EU-Kommission für Schuldenfinanzierung, EU-Beihilfen und Förderprogramme. Doch die bereitgestellten Gelder werden nicht mehr ausreichend und schnell in strategische Investitionen und wettbewerbsstarke Innovationen gelenkt. Trotz niedrigster Zinsen befindet sich Europa in einer Investitionskrise und droht in eine Deflation und Stagnation abzurutschen.
Ideologien – Lobbyismus – Elitenstrategien
Die EU-Krise hängt in weiten Teilen von fehlender Demokratie, einseitiger Personalauswahl in der EU-Kommission und von Enflußnahme großer Interessen und Lobbys ab. Das organisierte und ursprünglich vernünftige Interesse, die Globalisierung voranzutreiben, hat zu einer übermächtigen Einflußnahme durch neoliberale Think Tanks und wirtschaftliche Interessenträger geführt. Die Auswüchse von Finanzkapitalismus und Geldpolitik haben schließlich die gesamtem westlichen Staaten in eine tiefe Systemkrise geführt, und bedrohen heute alle EU-Staaten in ihrer wirtschaftlichen Stabilität.
Die EU-Politik muss deshalb reformiert werden – doch gibt es derzeit kein tragendes volkswirtschaftliches Modell, denn die Ökonomen-Zunft ist selbst ratlos.
Der Blick auf den Einfluß der Großbanken und Investmentbanken reicht jedoch nicht aus. Wenn der ehemalige Kommissionspräsident José Manuel Barroso zu Goldman Sachs wechselt, um gegen die EU zum Brexit zu beraten, so ist das ein bedrohliches Warnzeichen.
Auch die Rolle von Mario Draghi, zwischen 2002 und 2005 Vice President bei Goldman Sachs, derzeit Vorstandsmitglied der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel und Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) zeigt, wie sehr die EU von Personen und Lobbyismus abhängt.
Die Grundkonstruktion des politischen EU-Systems ist auf den Elitenstrategien der einzelnen Staaten aufgebaut. Deren ausgewähltes Personal wird für die EU-Kommission vorgeschlagen. Seit der EU-Erweiterung 2004 entsendet jeder der Mitgliedstaaten je ein Kommissionsmitglied. Eines von ihnen nimmt als Präsident der Europäischen Kommission eine Leitungs- und Sprecherfunktion ein, ansonsten ist jedem Kommissar ein bestimmtes politisches Ressort zugeordnet. Das EU-Parlament wählt, ernennt und entscheidet zwar mit, doch in Realität besetzen die Regierungen der EU-Staaten die Kommissionsmitglieder.
Zu den zentralen Reformvorhaben sollte es gehören, eine bessere Mitsprache der Parlamente der EU-Staaten bei der Besetzung der EU-Kommission zu erreichen. Auch eine Direktwahl einzelner Kommissionsmitglieder, etwa für Arbeit, Soziales und Regionale Stabilität, könnte ein Weg sein, um den politischen Gestaltungswillen der EU-Bürger auf Kommíssions-Ebene zumindest zum „Verhandlungsgegenstand“ zu machen, und den Blick auf die Realökonomie der EU-Bürger zu lenken.
Wettbewerb – Digitalisierung – Markt
Das bisherige Leitbild der Förderung des Wettbewerbs und die fortschreitender Digitalisierung sorgen dafür, dass es vor Ort, in der Kommune und in der Region in jedem Projekt immer schwieriger wird, konkurrenzfähige und für den Weltmarkt skalierbare Innovationen und Produktionen aufzubauen.
Wirtschaftswissenschaften, ökonomische ThinkTanks und die Makroökonomie haben bisher noch kein ausreichendes Modell entwickelt, um zu erkennen, welche fatalen Auswirkungen eine Digitalisierung ohne eine „informelle Marktordnung“ mit sich bringt.
Vor Ort fehlt heute nicht nur die Kraft zu Innovationen, es fehlen auch die „informellen Marktbedingungen“, um neu zu investieren.
Ein Beispiel aus Griechenland zeigt, woran es hapert: Ferienappartements werden über weltweite Buchungsportale vermarktet, die zweistellige Internet-Mittler-Provisonen geltend machen. Es ist Geld, das aus dem Realgeschäft und der Region abfliesst, in einer Höhe, die Immobilienkreditkosten UND Refinanzierung übersteigt.
Die Notwehr der Akteure: vorgebuchte Reiseaufträge werden abgesagt, freie Zimmer danach auf direkten Wege per Mailkontakt vermittelt. Bezahlt wird in bar. Die Reisebuchung wird direkt in der Realökonomie verrechnet. Nur wer trickst, kommt zu einem angemessenen Gewinn, denn der durch Buchungsportale in Gang gehaltene Preiswettbewerb sorgt für Niedrigpreise.
Zusätzlich fehlen vor Ort auch die erforderliche politische Kultur und agile Strukturen, um neue kommunale, regionale und wirtschaftliche Konjunkturprogramme und Innovationsprogramme zu initiieren.
EU-Förderprogramme und Subventionen sorgen obendrein dafür, dass sich politische und wirtschaftliche Akteure auf Fördermittel, Laufzeiten und Förderthemen einstellen – statt in selbsttragfähige Strukturen und Einheiten zu investieren.
Subventionsmentalität breitet sich aus. Fähigkeiten zum Aufbau von Synergien fehlen. Skalierbare überregionale, transnationale und multilaterale EU-Projekte können praktisch nicht von Unten aufgebaut werden.
Trifft dies auf eine visionslose Wirtschaftspolitik, gibt es schon auf Projektebene keine ausreichende Finanzierungsbedigungen, um sich auf Preiswettbewerb UND Kreditrefinanzierung einzustellen. Banken verabschieden sich aus der Real-Kreditökonomie.
So nutzt die Digitalisierung vor allem bei weltweiten Finanztransaktionen, Steuervermeidung und Hochfrequenz-Börsenhandel, die jedoch immer mehr Kapital aus den Realökonomien „entführen“, „absaugen“ und „extrahieren“. Das Ergebnis: Stillstand, wachsende Arbeitslosigkeit, Investitions-Stillstand.
Die Herausforderung für Ökonomen und EU-Wirtschaftspolitik: eine Transformation der Realökonomien UND eine Schaffung von neuen informellen Marktordnungen, die realwirtschaftliche Kreditfinanzierung, Refinanzierung UND wirtschaftliche Tragfähigkeit absichern helfen. Bisher gibt es dafür kein Konzept.
12 Prinzipien für „Good Local Governance“
Der Europäische Rat hat schon im Jahr 2008 eine Strategie für Innovation und gutes Regieren auf lokaler Ebene (Strategy for Innovation and Good Governance at Local Level) begonnen.
Die Strategie wurde im Jahr 2007 in Valencia (Spanien), vom zuständigen europäischen Minister für lokale und regionale Regierung ins Leben gerufen und durch das Ministerkomitee des Rates vom Europa in 2008 (1022. Sitzung – 26. März 2008) bestätigt und 2009 verabschiedet.
Die Strategie wurde vor allem mit Blick auf die EU-Integration der osteuropäischen Länder entwickelt. Doch heute ist diese Strategie auch für Deutschland und Berlin von großer Bedeutung, weil sich die regierenden Parteien – und vor allem die Berliner Landesregierung weit von diesen Prinzipien entfernt haben.
Bezeichnenderweise wurden die wichtigen Grundlagen der Langfassung der „12 principles for good governance at local level, with tools for implementation“ mit über 5.000 Seiten bisher nicht in die Deutsche Sprache übersetzt. Nur wer der englischen Sprache mächtig ist, kann im Detail erkennen, wie weit beispielsweise Berlin und Pankow von den Prinzipien guten Regierens auf lokaler Ebene entfernt sind.
In Berlin hat vor allem die FU-Berlin mit der Arbeitsstelle für Europäische Integration und dem Jean Monnet-Lehrstuhl zum Zustandekommen des Frameworks zur Good Governance beigetragen. Das Arbeitspapier GOOD GOVERNANCE IN THE EUROPEAN UNION von Prof. Dr. Tanja A. Börzel, Yasemin Pamuk, Andreas Stahn gibt einen guten Einstieg in das Thema (PDF-Download).
Das kleine zweiseitige Booklet in deutscher Sprache vermittelt auch ein anderes Leitbild der EU und der nationalen Demokratie, das „Menschen als Herzstück der lokalen Demokratie“ sieht:
„Wo immer wir uns entscheiden, zu leben, zu arbeiten und zu spielen, unsere Lebensqualität wird immer zu einem großen Teil von der Qualität unserer lokalen Demokratie bestimmt.“
Das Leitbild lässt sich auch als Vision einer Bürgergesellschaft beschreiben, in der die übergebordete „Parteiendemokratie“ wieder mehr auf dienende Funktionen zurückgeführt wird.
Good Local Governance – ein Instrument das alle Parteien auf den Prüfstand stellt
Die europäische Strategie für eine qualitativ hochwertige lokale Regierungsführung ist ein Instrumemt, um Politik und Regieren beständig auf den Prüfstand zu stellen, und kontinuierlich zu verbessern.
Die 12 Prinzipien der „Strategie” fassen die Grundwerte der europäischen Demokratie zusammen und bilden das komplette Spektrum
der Anforderungen für eine gute demokratische Regierungsführung ab. Mittels der 12 Prinzipien können die Gemeinden der 47 Mitgliedsstaaten des Europarats ihre Regierungsführung kontinuierlich verbessern.
Es ist ein Weg, die EU von Unten zu reformieren – und auch ein Weg, um Abgeordnete, Parteien und gewählte Politiker auf einen Reformkurs zu bringen.
Berlin und Pankow brauchen die „Good Local Governance Strategie”!
Für die weitere Entwicklung Berlins und die weitere Entwicklung Pankows zu einer „Bürger-Metropole“ und einem „Bürger-Distrikt“ ist es wünschenswert, wenn alle Parteien sich dieser Strategie anschließen, und eine offizielle Erklärung über den Beitritt zu dieser Strategie erklären. Die Zeiten allwissender Allzuständigkeit der Parteien gehen zu Ende.
Ein umfangreicher Katalog erkannter Mängel und Verstöße in Berlin und Pankow wurde in den letzten drei Jahren von der Redaktion erarbeitet, und soll nach den Wahlen veröffentlicht werden. Es reicht von der Nichtbeachtung haushaltsrechtlicher Standards (BER) über Nichtanwendung von EU-Vergaberecht bis hin zu undemokratischen Eingriffen in landeseigenen Gesellschaften, etwa bei der Wahl von Mieterbeiräten. Auch die Mißachtung geltender Standards und Gesetze bei Baugenehmigungsverfahren, Investoren-Rahmenverträgen und Verstößen gegen das geltende Verwaltungsverfahrensrecht gehören dazu (Pankower Tor). Netzwerke der Begünstigung und politischen Korruption, Diskriminierung und Wettbewerbverstöße und Verstöße gegen das EU-Beihilfenrecht gehören dazu. Nicht zu Letzt: selbst in der Handhabung der Pressefreiheit handeln Pankower Parteien im Geist des alten Amtsstuben-Sozialismus der DDR.
Das „Direktorat für demokratische Institutionen der Generaldirektion für Demokratie und politische Angelegenheiten“ beim Europarat hat in Berlin und in Pankow dringenden Handlungsbedarf! Die Einhaltung von Regeln einer guten Regierungsführung und eine Achtung der europäischen Prinzipien und Grundwerte lassen zu wünschen übrig. Obendrein gibt es eklatante Regelverletzungen beim Regierungshandeln selbst, weil selbst einfachste politische Grundprinzipien der Parteien, einfachste Gesetze und Verwaltungsverfahrensgesetze mißachtet werden.
Parteiübergreifendes Ziel sollte es sein, dass noch vor Beendigung von Koaltionsverhandlungen die gemeinsame Verpflichtung auf die „Die zwölf Prinzipien guter, demokratischer Regierungsführung auf lokaler Ebene“ erklärt wird, und dem Adressaten in Strasburg mitgeteilt wird.
Direktorat für demokratische Institutionen
Generaldirektion für Demokratie und politische Angelegenheiten
Europarat – Straßburg – F-67075
Tel: +33 3 88 41 20 00
Email: Info.DDI@coe.int